Stereo Total

/ Gong Show bei Micky Schubert, Bell Show bei Lüttgenmeijer

2011:May // Wayra Schübel

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03-2011
















Die Frage, die mich lange beschäftigte, ist, wie aus der Hand eines einzigen Kurators derart grundverschiedene Ausstellungen gelingen konnten. Er hat natürlich zwei Hände. Sicher – sie ergänzen sich thematisch, die „Gong Show“ in der Micky Schubert Galerie und die „Bell Show“ in der Galerie Lüttgenmeijer.

Bereits Friedrich Schiller hat innerhalb des deutschsprachi­gen gutbürgerlichen Bildungskanons mit dem „Lied von der Glocke“ dem Herstellungsprozess des Glockengusses und der darin gespiegelten menschlichen Schicksalhaftigkeit ein Denkmal gesetzt. Global und kulturgeschichtlich ist mit dem Klang von Glocken oder eines Gongs meist ein zeremonieller Hinweis verbunden. Er erinnert an besondere Uhrzeiten, alarmiert, mahnt, gedenkt. Selbst eine eigene Wissenschaft, die Kampanologie, befasst sich neben der technischen Ebene der Herstellung und Akustik auch mit kunsthistorischen und kulturwissenschaftlichen Aspekten von Glocken.

Eine von vielen wichtigen Inspirationsquellen des belgischen Kurators Dieter Roelstraete jedoch ist der Film „Andrej Rublev“ (1966) von Andrej Tarkovskis. Darin markiert die Szene des Glockengusses einen Wendepunkt. Sie steht für die Umsetzung von Visionen, die dabei frei gesetzten übermenschlichen Mächte im Entschluss zur künstlerischen Schaffenskraft sowie die Zerbrechlichkeit, an dem scheinbar Unmöglichen vielleicht doch scheitern zu müssen. Doch zu den Ausstellungen selbst. Die Künstler der „Gong Show“: Pierre Bismuth, Marco Bruzzone, Karl Holmqvist, Annika Larsson, Mark Soo, Zin Taylor und Wolfgang Tillmans, scheinen sich auf investigativ künstlerische Recherchereise begeben zu haben.

Der Raum ist lautmalerisch eingenommen von der Video­installation Pierre Bismuths („A Brief Historical Survey of Continuity in the J. Arthur Rank Organization“, 2011), in der sich die Eröffnungssequenz der Filme der „Arthur Rank Productions“ offenbart. Das Charakteristikum im Vorspann ihrer Filme ist stets der sogenannte „Gongman“, dargestellt von Kenneth Richmond, einem Schwergewichtsathleten, der in den 1950ern als Symbol des Unternehmens sicher der meist gesehene Schauspieler war, ohne je zu eigenem Ruhm gekommen zu sein. Der Künstler Bismuth hat auf vier Bildschirmen eine Art Simultaneität erzeugt, in der er die einzelnen Phasen: der Gong alleine, der Auftritt des Gongmans, der Schlag und die Einblendung der Produktionsfirma, auf vier Bildschirmen ablaufen lässt. Der Klang füllt, wie gesagt, bereits den Raum, noch bevor die Vier-Kanal-Installation in den hinteren Bereichen des Galerieraums zu sehen ist. Auch seien die Papierarbeiten von Annika Larsson erwähnt („Owl Saying Gong, Adorno Saying Gong, Stork Saying Gong“, 2011, „Piece for Two Gongs (Score)“, 2010), die zu ganz reduzierten Strichen zusammenfassen, dass ein Gongschlag zwar ein neues Thema einläutet, dass dabei aber, wie bei jedem Neuanfang, ein vielschichtiges Spektrum an Entwicklungsmöglichkeiten noch bevor steht. Sucht der Ausstellungsbe­sucher nach einer Fotoarbeit, weil Wolfgang Tillmans mit ausstellt, sucht er vergeblich, wie der Alchimist seine Goldformel. Nachträglich gefällt mir die verspielte Ebene der Ausstellung. Doch vor Ort erdrückte mich förmlich das Versteckte, das Winken des Wissenden herab zu mir, einer unwissenden Besucherin, die in der Hinter- und Untergründigkeit der Exponate zunächst sehr verloren war.

Anders nebenan in der Galerie Lüttgenmeijer. Stand ich eben noch vor den eisernen Toren Micky Schuberts, so bin ich diesmal vor einer gläsernen Schiebetür, durch die ich bereits einen Eindruck von dem bekomme, was mich drinnen erwarten könnte. Beide Male betätige ich eine Klingel, um Einlass zu bekommen und freue mich insgeheim sehr über dieses Detail. Hier hat Dieter Roelstraete mit den Textarbeiten von Karl Holmqvist eine poetische Schnittstelle beider Shows geschaffen, die in der „Bell Show“ mit Carsten Höller, Lothar Hempel, Hadley + Maxwell, Jason Dodge und Ruth Ewan zwar ebenso verspielt, dafür aber unmittelbarer, direkter ausgerichtet scheint. Und drückten mir eben noch virtuelle Informationswolken aufs Gemüt, so verziehen sie sich hier. Meine Wahrnehmung kann sich ganz emotional der Ausstellungssituation öffnen. Und die erste Emotion ist tatsächlich: Angst. Keine Jahrmarktspanik, keine Gefühle auf Daily-Soap-Niveau. Zwischen Boden und Decke steht die Arbeit von Carsten Höller, „Vertigo-Glocken“ von 1997. Ein schwerer Stahlpfeiler, von dem kreuzförmig an einer horizontalen Stange zwei fein gegossene Glocken hängen. Ein Motor dreht den Pfeiler, so dass enorme Zentrifugalkräfte aus zwei kindskopfgroßen baumelnden Glocken im Ruhezustand eine rasende zirkulierende Scheibe machen. Inständige Hoffnung, dass die Konstruktion diesen Kräften standhält. Ein externer Klöppel – parallel zum Stahlpfeiler – berührt sie zu Beginn und zum Ende der Rotation an einer einzigen Position, um ihnen ihren Klang zu entlocken. Der erste laute Ton überrascht, löst alle Hemmungen, das Rotationsspektakel in gefasster Contenance durchstehen zu können. Doch um so größer ist die Freude über die Schönheit des Klanges bei der zweiten Berührung, die das Ende der Rotation einläutet. Die eigentlich sensationelle Information, dass diese Arbeit nach ihrer ersten Ausstellung in einem Kunstraum in Eckernförde 1997 im dortigen Lager für 14 Jahre verschwand und fast in Vergessenheit geraten wäre, kommt dabei fast einer Nebensächlichkeit gleich. Wie eine Randerscheinung scheint zunächst auch eine Arbeit des Künstlerduos Hadley + Maxwell mit dem Titel „The Step When I Forget What I Thought My Calling Was“, 2011. Eine ausgestopfte Spielzeugkatze, liegt neben einer kleinen Glocke, die aus ihr raus operiert wurde. Die darin spürbare Flüchtigkeit von Bewusstheit, auch von organischer Körperlichkeit, von Lebendigkeit geht zwar anders, aber auch, von der Arbeit Lothar Hempels aus: Ein überlebensgroßer C-Print eines Tänzers im Sprung, umrahmt von Draht, an dem zwei kleine Glöckchen hängen – „Plakat (Spartacus)“, 2011. Tief in die Kulturgeschichte von Glocken und in die eigene Werkgeschichte taucht die dreiteilige Arbeit Ruth Ewans ein („Post Anti-Bell Study II (Rosie)“, 2011). Auf jedem der drei Teile eines Vintage-Posters stehen die Wörter Vanity, Utility, Egality – in Anlehnung an die während der Französischen Revolution zur Kanonenkugel verschmolzenen Glocke der Kathedrale von Rouen. Auf dem Weg hinaus kann im Augenwinkel mit etwas Aufmerksamkeit eine Unebenheit der Wand erkannt werden: Zwar ist sie gleichmäßig weiß gestrichen, doch scheint sie an einer Stelle neu verspachtelt zu sein. Diese Stelle hat Jason Dodge gewählt, um einem Bauopfer gleich, eine Glocke einzumauern, „Bell In A Wall“, 2011.

Noch bis 16. 04. 2011 sind beide Ausstellungen zu sehen. Gegenüber der Galerieräume befindet sich ein gemeinsam genutzter Glaskasten, genannt Projektraum „Taut and Tame“, in dem über den Ausstellungszeitraum Performances sowie auch ein Glockenkonzert stattfinden sollen. Ein guter Anlass, vielleicht noch vor dem Gallery Weekend durch das Hansaviertel zu schlendern.

„The Gong Show“ Pierre Bismuth, Marco Bruzzone, Karl Holmqvist, Annika Larsson, Mark Soo, Zin Taylor, Wolfgang Tillmans, Galerie Micky Schubert, Bartningallee 2–4, 10557 Berlin, 26.2.– 23.4.2011

„The Bell Show“ Jason Dodge, Ruth Ewan, Lothar Hempel, Carsten Höller, Karl Holmqvist, Hadley + Maxwell, Bartning­allee 2–4, 10557 Berlin, 25.2.– 16.4.2011

The Bell Show, Ausstellungsansicht (© Lüttgenmeijer, Berlin, Foto: Robert Brecko)
The Gong Show, Ausstellungsansicht (© Galerie Micky Schubert)
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