Mit der Linie als thematischem Verbindungsstück, platzierte Schmid die drei Elemente seiner künstlerischen Tätigkeit im Galerieraum, der durch eine freistehende Wand in einen kleinen vorderen Teil und einen großen hinteren Teil strukturiert war. Der vordere Bereich war mit an der Wand angebrachten Leuchtstoffröhren in Weiß-, Grün- und Gelbtönen ausgestattet, die zum einen durch ihre physische Gestalt selbst zur Linie wurden und zum anderen durch das ausstrahlende Licht Spuren auf Wand, Decke und Boden hinterließen. Im größeren hinteren Teil des Ausstellungsraumes fanden sich eine Verbindung von Linienführungen, die aus Tape oder mit Pigmentfarben direkt auf die Wand gebracht wurden, und diverse kleinere gerahmte Arbeiten. Auf verschiedenen Papierträgern in neutralem Weiß oder millimetergerastertem Rosa griff Schmid das Klebeband wieder auf und kombinierte es mit gestischen Linien in Buntstift oder Tempera.
Schmids Vorgehensweise ist immer raumbezogen, er erfasst die Charakteristika des Raumes und verändert ihn durch die Setzung der Linie in ihrer zeichnerischen Funktion. Die Eingriffe, die dabei vorgenommen werden, sind schlicht und schnörkellos, haben aber durch ihr rhythmisches und gezieltes Auftauchen großen Einfluss auf den Gesamteindruck. Im Gespräch mit dem Galeristen erfahren wir, dass Schmids Arbeitsweise stark von den Methoden der Kalligraphie geprägt ist, welche er von 1983–1986 in China studierte. Die bewusste Setzung von „Zeichen“, der Einsatz von Leerräumen als Material, sowie die Wiederholung von bestimmten Linienfolgen lassen eine starke Verbindung zur Arbeitsweise der Kalligraphen erkennen. Schmid übertrug diese Grundlagen in die dritte Dimension der Räumlichkeiten der Galerie. Der Raum selbst wurde zum Bildträger, die verschiedenen Materialien an den Wänden zur grafischen Komponente, so als ob uns der Künstler eine begehbare Zeichnung anfertigt. Durch die gerahmten Papierarbeiten wird das Spiel mit der Räumlichkeit an der Wand auf zweidimensionaler Ebene fortgeführt, weil sie den eigentlichen Galerieraum zu imitieren scheinen. Die Symbiose dieser präzisen Eingriffe lassen den Raum zu einer künstlerischen Arbeit zwischen den Dimensionen werden, die weitere räumliche Vorstellungen und Möglichkeiten entwirft. Die Überlegung, durch eine graphische Setzung die Gegebenheiten des Raums neu zu strukturieren und zu hinterfragen, macht die reduzierten Lineaturen zum Instrument von Schmids Raumuntersuchung und sollte damit eigentlich eine rein dekorative Funktion ausschließen. Soweit verständlich, es geht ja schließlich um Raum – um den Raum, um die Veränderung des Raumes durch „zeichnerisch“ gedachte Eingriffe und die räumliche Übertragung von etwas eigentlich Nicht-Räumlichem. Was dann allerdings schnell störend auffällt, sind die Papierarbeiten, akkurat und ästhetisch gerahmt ins Gesamtkonzept integriert. Die drei zeichnerischen Elemente, mit denen Schmid die Eigenschaften des Raums hervorheben oder verändern möchte, scheinen irgendwie nicht ganz gleichwertig zu sein, nicht auf formell-gestalterischer Ebene, sondern im Hinblick auf ihre Beständigkeit.
Ein potentieller kunstinteressierter Käufer wird sich aufmerksam dem innovativen Raumkonzept hingeben, die Leuchtstoffröhren und die Klebebänder an der Wand positiv überrascht zur Kenntnis nehmen, und schließlich doch an der reduzierten Ästhetik der Zeichnungen hängenbleiben, die durch ihre Präsentation geradezu zum Kauf verführen. „Der Kunde muss ja auch sehen, wie die Arbeiten gerahmt aussehen“, erklärte uns der Galerist.
Der Titel der Ausstellung „… sondern dass sie ist“ ist Teil eines Wittgensteinzitates, das vollständig „Nicht wie die Welt ist, ist das Mystische, sondern dass sie ist.“ lautet. Es ist als Hinweis auf die Existenz von Schmids konkreten Setzungen und die daraus entstehenden Möglichkeiten ihrer Auffassung zu deuten. Wahrscheinlich hat der Künstler hier aber etwas zu tief in die philosophische Trickkiste gegriffen, da er so sein analytisches Konzept nur unnötig mystifiziert, zumal die Unvollständigkeit dieses Zitates unnötig abgelenkt. Das gekonnte Spiel zwischen den Linien, ihre formale Konstruktion und das innovativ neue Verständnis von der Zeichnung im Raum wäre gut ohne Wittgenstein ausgekommen.
Andreas Schmid „…sondern dass sie ist“ fruehsorge contemporary drawings, Heidestraße 46–52, 10557 Berlin, 29.10.–4.12.2010