Einen ersten Einblick in die Ausstellung mit Fotoarbeiten von Heidi Specker konnte der neugierige Betrachter schon anlässlich der Veröffentlichung eines Buches erhalten. Am 5. Juni vergangenen Jahres wurde es im Mies-van-der-Rohe-Haus vorgestellt. Das Buch trägt den schönen Titel „Konzentrat der Moderne“ und widmet sich ausführlich dem sogenannten „Landhaus Lemke“, einem lange übersehenen Schmuckstück des Architekten Mies van der Rohe im unauffälligen Lichtenberg. Mein eigenes Exemplar besitzt einen handschriftlichen Eintrag einer Person mit dem Namen „Heidi Lemke“. Auffallend ist ein zweiteiliger Bildessay im Buch, auf Grundlage der Fotos von Heidi Specker. Einen kleinen Teil dieser Fotografien findet der Betrachter jetzt im van-der-Rohe-Haus wieder als Teil der Ausstellung. Das Bildessay im Buch ist Teil einer Auseinandersetzung mit der Person Mies van der Rohe, dessen Leben und Bauten und deren Historie. Und es ist gleichzeitig auch die Basis für die Ausstellung.
Wer die Räumlichkeiten schon kennt, wird dieses Mal überrascht, denn zum Anlass der Ausstellung scheint das Gebäude plötzlich entleert zu sein. Oder ist es nur eine Illusion, die durch die kongeniale Hängung der einzelnen Arbeiten hervor gerufen wird? Dabei lässt sich gar nicht so einfach von einzelnen Arbeiten sprechen. Die Künstlerin hat sozusagen Werkgruppen gebildet, die auf den Raum antworten oder ihn sogar überschreiten. So finden sich zwei Fotos in unmittelbare Nähe der großen Fenster zum Garten. Was auf ihnen zu sehen ist, sind ebenfalls Blicke auf das Äußere des Gebäudes: Das Bild einer Fassade und das Bild einer Hecke. Bei passenden Wetterverhältnissen ergibt sich so eine unbewusste Reflexion über die Mittel der Fotografie und unsere eigene Wahrnehmung. Zuweilen glaubt man, die Außenwelt hätte sich konfiguriert nach dem Modell der Fotografien im Innern. Das ist ein Momentum dieser Ausstellung.
Ein anderes Momentum zeigt sich im anschließenden Raum, der sich durch seine Fotografien nach innen kehrt. Im Vordergrund stehen dabei Details der Möbel aus dem Haus, die heute zum Teil der Öffentlichkeit zugänglich sind, zum Beispiel im Kunstgewerbemuseum am Kulturforum. Was auf den Fotos zu sehen ist sind Details der Inneneinrichtung. Diese Details geben den Abbildungen eine spezifische Körperlichkeit, die man schon in den Abbildungen der Fassade spüren konnte. In der Vergrößerung des Details gewinnt das Objekt eine Bedeutung, die dessen bewusste Gestaltung deutlich hervorkehrt. Ist das nun die Körperlichkeit des Bildes oder die des abgebildeten Objekts.
Schon ist man als Betrachter ein wenig konditioniert und erwartet ähnliche Bilder im letzten Raum. In einer seltsamen Art und Weise produziert dieser Raum durch seine Fotos eine Art Sehschock. Einerseits weil sich hier die Geschichte zeigt, auch in ihrer Grausamkeit, von der gerade die deutsche Historie gezeichnet ist. Wer die Beobachter beobachtete, schien dann auch bei diesen eine spezifische Abwehr zu bemerken.
Mies van der Rohe war keinesfalls ein Widerständler. Er hat rechtzeitig den Absprung über den großen Teich geschafft und das Haus Lemke blieb im Schatten des Kalten Krieg unbeachtet. Die Neue Nationalgalerie erhielt die Deutungshoheit über das Werk und zu deren sechzigsten Geburtstag konnten sich die Verantwortlichen noch nicht zu einer Renovierung des Gebäudes aufraffen.
Warum also denkt man, wenn man die Lampenschirme im letzten Raum sieht, an Konzentrationslager? Weil das Pergament dieser Lampen einen Hautton hat? Und weil einem erzählt worden ist, dass die Haut der Opfer zu Lampenschirmen verarbeitet wurde. Diese Erinnerung verhindert einen offenen Blick auf diese ‚letzten‘ Bilder und sie stellen gleichzeitig die Frage nach der Wahrheit der Fotografie.
Eigentlich müsste diese Ausstellung als Dauerinstallation eingerichtet werden; aber sie ist nur noch bis zum 1. März zusehen.
Heidi Specker „Landhaus Lemke – Mies van der Rohe“
Mies-van-der-Rohe-Haus Oberseestraße 60 13053 Berlin
13.12.2008–1.3.2009