wo ich war

2012:Dec // Esther Ernst

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12-2012
















WILSON ROBERT                     3. Sept. 2012
John Cage: Lecture on Nothing
Akademie der Künste (Hanseatenweg), Berlin

+ Robert Wilson verzögert den Beginn um 20 Minuten, baut Spannung auf im ehrfurchts- und bumsvollen Studio, inszeniert, liest, performt und gibt dann den sich dauernd selbst unterbietenden Hampelmann. Und keiner steht auf und geht. Sensationell.
Die Bühne grottig. Was soll dieses Zeitungs-Gebastel? Das Licht krakelig (ein erbärmlicher Scheinwerfer simuliert ein Verfolger...), Bob selbst senil, ver-schenkt durch sein Altherren-Klamauk alles, was an diesem wunderbar meditativen Text rauszuholen ist. Statt einfach zu lesen und sich auf seine detail-reiche Stimme zu verlassen, macht der echt einen Gang ins Bett. Und auf dem Weg dahin bekloppte Hüpfer. Tut mir leid, aber dieser Abend war unverzeihlich. Zum Glück bin ich eingeschlafen. Und noch zum Glücker hab ich keine 30€ dafür bezahlt. Und am glücklichsten war ich hinterher bei den Bulletten mit Bier. Pfui Herr Wilson, pfui!


SALOMON CHARLOTTE                 12. Sept. 2012
Leben? oder Theater? Ein Singspiel
Documenta Kassel, Fridericianum

+ Vielleicht ist der in Vitrinen präsentierte Aus-schnitt aus dem gezeichneten Tagebuch etwas eng aus-gestellt, zu düster auch. Und die Zusammenstellung von Salamons und Anna Boghiguians Zeichnungsserie „I Dance and I Dance the Cosmic Dance of the Atom, 2011“ find ich zwar mutig, weil so ähnlich und darin so nahe und der Bezug so klar wird, aber der Raum kippt irgendwie ins kirchlich Beklemmende. Wahrscheinlich auch, weil Boghiguian ihre Zeichnungen wie Kirchen-fenster installiert hat. Eigentlich geben beide Künstlerinnen mit ihren Zeichnungen ja ziemlich in-time Einblicke, so dass beim Betrachter schon einiges passiert und die Kunst gar keine Inszenierung oben-drauf braucht. Das ist hier so ausgestellt, wie wenn man Chopin extra romantisch spielt. Geht gar nicht.
Abgesehen davon bin ich gerne in die jeweiligen Bild-welten eingestiegen. Diese Innenweltbilder sind schon ein Knaller und wie sich daraus eine Zeichnungs-sprache ergibt, fast wie bei der Art Brut.


ALLORA & CALZADILLA                 13. Sept. 2012
Raptor’s Rapture
Documenta Kassel, Bunker im Weinberg

+ es geht um eine Flöte aus Speichenknochen eines Gänse­geiers von vor 35000 Jahren, welche Archäologen in Süd­deutschland gefunden haben. Das ist in der Tat bemer­kenswert aber noch lange kein Grund, eine so plaka­tiv doofe Arbeit zu machen (und es hat mich geär­gert, dass ich bis zu diesem scheiss Weinberg runter stapfte und dort in der Helmschlange stand und in den Bunker hat alles ewig gedauert und ich dachte irritiert: Moment mal, dass kann’s doch noch nicht gewesen sein, die machen doch sonst auch anständige Kunst...). Also da flötelt eine Spezialistin für prähistorische Instrumente im Beisein eines Gänse-geiers auf der Flöte, während dieser ab und zu den Hals reckt, den Kopf in Schieflage bringt wie er’s wahrscheinlich auch sonst tagein tagaus tut. Tier wie Flöte sind für sich genommen imposant, aber zusammen in einem derart aufgeladenen Kunstprojekt strunzöde und meines Erachtens an den Haaren herbei erzählt. 


THEA DJORDJADZE                       13. Sept. 2012
?
Documenta Kassel, Karlsaue

+ Ihre Arbeiten sehen immer so super proper geilomat aus auf ihren Abbildungen. Diese bestechende Klarheit von Kunst im Raum, der Charme und Humor ihrer Obje-kte, die Konzentration und Reduktion auf das Material in seiner Umgebung, alles wunderbar magazinabdruck-fähig, als ob da jemand alle Störfaktoren aus dem Foto eliminiert hätte.

Und in der Installation selbst wirkt die Kunst dann irgendwie stümperhaft trotzig, unelegant, unfertig, hausbacken...

In der Kunsthalle Basel ist der Oberlichtsaal so dermassen glatt und erhaben, da passte das Verhältnis ihrer rohen Skulpturen wunderbar zum Ausstellungs-raum. Aber im Kassler Gewächshaus schauts schmuddelig und lustlos aus.


FAST OMER                        13. Sept. 2012
Continuity, 2012
Documenta Kassel, Karlsaue

+ auch diesmal erzählt Omer Fast eine never ending story, geloopt und aus den verschiedenen Sichtweisen, mit all seinen detailreichen Veränderungen im Weiter-erzählen, mit fiktiven Traumsequenzen durchsetzt, un-terbrochen von realen Wiederholungen. Ruhig hält die Kamera aufs Desaster: ein Ehepaar (der Ehemann hat echt ein Gesicht zum Reinhauen und spielt fantas-tisch) bestellen sich Callboys, die jeweils die Rolle des als Soldat in Afghanistan gefallenen Sohns spie-len. Immer wieder holen sie einen neuen Jungen in Militärkleidung vom Bahnhof ab, feiern Weihnachten, Mutter zeigt ihm sein Zimmer, schlüpft mit ihm unter die Decke, führen Gespräche aus der Hölle, bringen ihn irgendwann um (?) und bestellen den Nächsten.
Das Fantastische an diesem Video ist, wie die Kamera all dies dermassen nüchtern einfängt, dass man sich erst eingucken muss und währenddessen denkt, öh, was ist denn jetzt los... Der Omer hat nicht nur einen tollen Namen, der macht auch tolle Filme.


MEHRETU JULIE                     13. Sept. 2012
Documenta Kassel, Documenta Halle

+ es ist eigentlich vollkommen egal, was Mehretu ver­zeichnet, es sieht einfach immer wahnsinnig gut aus. Und ich habe weder ihre Berliner Plätze in der Gug-gen­heim erkannt, noch sehe ich den arabischen Früh-ling, den Tahrir-Platz oder die im Katalog angekün-digten Ausschnitt von Science-Fiction-Bucheinbän-den... Das sind undurchsichtige Staunekartographien, gewaltig gross, dicht, hübsch ohne Ende. Und darin auch ein bisschen hohl. Ich glaub der nicht, dass die da ernsthaft was verzeichnen will. Ich glaube viel eher, dass sie ihre Themen als Anlass zur Bildfindung nimmt. Als Zufallsoperationen für ihr Liniennetz sozusagen. Aber genau die Verbindung von Karto-graphie, ihrer allgegenwärtigen Schönheit, mit ihrer offenen (unleserlichen oder unpräzisen) aber derart blendenden Arbeitshaltung zu verbinden, bildet meiner Meinung nach diesen fahlen Nachgeschmack, der mir bei Mehretu schon einige Male eingefahren ist...


SEGAL TINO                     13. / 14. Sept. 2012
This Variation
Documenta Kassel, Bode Saal

+ ein stockdunkler Raum, eigentlich eine Art Disco-schuppen. Mache sofort wieder kehrt, weil ich solche Räume nicht betreten kann, überwinde mich später doch noch und halte mich direkt am Eingang auf. Und es dauert fantastisch lange, aber dann haben sich die Augen an das wenige Licht gewöhnt.
Tanzende Sänger gestalten die Disco ausschliesslich a capella, arrangieren Dynamiken von super fein und leise gesungenen Liedern bis zu beatträchtigen und druckvollem Hiphop, folgen manchmal einer Choreo-graphie, verteilen sich im Raum, singen einem direkt ins Ohr usw. Das Publikum mischt sich unter die Dar-steller, hat Spass am Erleben, manche bewegen sie sich vorsichtig, andere tanzen mit. Fröhlich ist die Stimmung, meist konzentriert, kommt eine hysterische Gruppe Jugendlicher, holen die Sängertänzer sie gemächlich von dem Geisterbahnfeeling runter.
War echt beeindruckt und erfreut von das Ganze.


BASUALDO EDUARDO                     20. Okt. 2012
The End of Ending
PSM Galerie, Berlin

+ ein raumhohes- wie breites schwarzes Darmgebilde füllt den ganzen Galerieraum aus. Ich drücke mich an der Wand entlang und merke sofort, dass mir die Draufsicht, der Abstand zum Betrachten fehlt. Mir wird hier dauernd die Sicht verschnitten, ganz bewusst natürlich, und das hat was ungewohnt Schönes.
Eigentlich hat genau dieses Werk die oft benutzte Bezeichnung „raumfüllende Installation“ verdient.
Dennoch fühle ich mich nicht bedrängt (und trotz Klaustrophobie...). Meine Bewegungen sind klar vorgegeben durch das Werk, wie ne Führung ohne Führer.
Neben der massiven Präsenz hat die Skulptur durch ihr leichtes Alumaterial (?) und ihre Hohlheit was Zerbrechliches an sich. Sie zittert beinahe durch meinen Luftzug, den ich beim Gehen verursache.

Und Wahnsinn, wie viel Licht diese Wurst schluckt.

Gibt’s eigentlich noch die Papierlampions mit Kerzen?


HONERT MARTIN                     23. Okt. 2012
Kinderkreuzzug
Hamburger Bahnhof

+ angewidert von seiner Kinderkreuzzugarbeit, in der plastische Figuren aus dem Bild in den Raum laufen, denk ich, so ein Quatsch, wat’n ditte? Aber schon bei Haus, einem Modellnachbau eines Wohnhauses aus dem Ruhrpott wurde ich neugierig und ergriffen von den eigens geschriebenen persönlichen Texten in seinem hübsch produzierten Begleitheft.
Erinnerungen und damit verbundene Emotionen aus sei-ner Kindheit dienen im als Ausgangslage. Aus dem kindlichen Staunen heraus schöpft er Welten. Ich denke an Aufklappbilder in Kinderbüchern, dem Spiel zwischen realistischer Wiedergabe und Traumdarstel-lungen. Zusammengehalten wird das ganze durch seine Texte zu den einzelnen Arbeiten. Die Ausstellung gleicht vielleicht ein wenig einem Walt-Disney-Skulp-turenpark, oder ist die plastische Umsetzung der Fotokolumne im Zeit-Magazin.
Der dreidimensionale, aber zu flach geratene Weih-nachtsmann (eine Umsetzung einer Kinderzeichnung) ist allerdings spitze. Und sein Zelt vor dem Museum auch.
 
WILSON ROBERT, 3. Sept. 2012.JPG (© Esther Ernst)
SALOMON CHARLOTTE, 12. Sept. 2012 .JPG (© Esther Ernst)
ALLORA & CALZADILLA, 13. Sept. 2012 .JPG (© Esther Ernst)
THEA DJORDJADZE, 13. Sept. 2012 .JPG (© Esther Ernst)
FAST OMER, 13. Sept. 2012 .JPG (© Esther Ernst)
MEHRETU JULIE, 13. Sept. 2012.JPG (© Esther Ernst)
SEGAL TINO,13. Sept. 2012 .JPG (© Esther Ernst)
BASUALDO EDUARDO, 20. Okt. 2012 .JPG (© Esther Ernst)
HONERT MARTIN, 23. Okt. 2012.JPG (© Esther Ernst)
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