Die additive Aneinanderreihung künstlerischer Positionen birgt wie nahezu jede Gruppenausstellung auch spannende Arbeiten und unser Regierender Bürgermeister freute sich in seiner Eröffnungsrede beharrlich über die ‚Leistungsschau‘ der Berliner Szene. Nun gut, ein kleines verbales Phlegma im Theater der politischen Selbstinszenierung. Künstlerinnen und Künstler sollen also zur Reputationsrente beitragen. Indes muss besagte Kunstszene als Wundermittel herhalten, das mehr gibt als es nimmt. Angesichts der beträchtlichen finanziellen Mittel für diese Sommer-Eintagsfliege ist die schubweise Aufmerksamkeitskonzentration auf achtzig Auserwählte freilich katastrophal. Schließlich ist das Image der vitalen Kunststätte Berlin nicht ex nihilo dem Reißbrett des Stadtmarketing entsprungen, sondern verdankt seine magnetisierende Attraktivität in hohem Ausmaß den zahlreichen kleinen Projekträumen und -initiativen, die – es ist bekannt – keineswegs mit genügend eigenen finanziellen Mitteln ausgestattet sind und mit viel Selbstausbeutung und großem Engagement in Berlin operieren. Gegenwärtig gibt es laut einer Studie der Soziologin Séverine Marguin in Berlin 130 Projekträume- und initiativen. Sie heißen Art Laboratory Berlin, arttransponder, Büro komPlex, Flutgraben, Scotty Enterprises, Stedefreund, centrum, um nur einige zu nennen. Es sind wuchernde, dezentrale und zuweilen auch überlappende Aktivitäten, die dort ausgiebig entfacht werden.
Die Kunstproduktion dieser polyzentrisch versprengten Orte ist nicht auf einen Nenner zu bringen, mitunter sind es weniger spektakuläre Ausstellungen, manchmal aufregende Experimente und bisweilen wirkt es unbeholfen lala, was dort zu sehen gegeben wird. Manche Initiativen sind für Beteiligte und Besucher nicht ausschließlich auf eine Begegnung mit Kunst beschränkt und zuweilen ist eine Ausstellung schon vorbei oder exakt an jenem Tag geschlossen, an dem man sich auf die lange Reise durch die Stadt gemacht hat. Aber egal, denn jene spezifischen Gemeinschaften ähnlich denkender ProduzentInnen und RezipientInnen erproben und entwickeln neue Arbeitsweisen und Organisationsformen, sie fungieren gleichermaßen als Orte kritischen Austauschs und stellen somit die Infrastruktur für eine nicht etablierte Kunstproduktion her, welche nicht ausschließlich im Sinne einer funktionierenden Marktlogik zu funktionieren gedenkt. „Based in Berlin“ ist insofern eine reine Wahnvorstellung, weil die Form des konzentrierten Spektakels wesentliche Aspekte verfehlt, die der gefeierten Leistungsschau den Nährboden bereitet haben: Die Vielfalt von Szenen und Inhalten, die verschiedenen Professionalitätslevels – bei unterschiedlichen Begriffen von Können, Gelingen und Scheitern, die Pluralität der Kunstbegriffe, der Pluralismus von Deutungsmöglichkeiten und nicht zuletzt große Finanzierungslücken, die mit ungleicher Reputation einhergehen. Vorerst genug der Meckerei, die Show hat auch katalysatorische Wirkungen. Zunehmend, wenn auch nicht im wilden Stil, schält sich aus der lang gereiften Frustration Widerstand heraus und es machen sich Stimmen breit, die neue Umverteilungsmaßnahmen fordern.
Im aktuellen Kulturhaushalt wird Bildende Kunst mit dem kleinsten Anteil gefördert. Genauer gesagt wird Bildende Kunst mit 1 Prozent von insgesamt 420 Millionen, demnach mit 4 Millionen Euro unterstützt. Davon wurden etwa im Jahr 2010 rund 40.000 Euro für die Projektförderung freier Gruppen vergeben. Ein Tropfen auf den heißen Stein, denn geeignete Örtlichkeiten werden in absehbarer Zeit unbezahlbar. Vielen Initiativen wäre erheblich geholfen, wenn ihre laufenden Kosten mit vergleichsweise geringen Sockelbeträgen von ungefähr 6.000 Euro gedeckt wären.
Die Selbstorganisation braucht neben sozialen auch ökonomische Ressourcen. Darum ist das Durchhaltevermögen für viele Projekträume eindeutig berechenbar und deren dünne Finanzlage entkräftet derweil Thomas Kapielskis einstige Diagnose, dass die Stadt vor allem solche Leute anzieht, die im Rechnen eine Fünf, im Malen aber eine Eins hatten. So bringt der Berufsverband Bildender Künstler in seinem im Frühjahr veröffentlichten Rundbrief die miesen finanziellen Produktionsbedingungen von KünstlerInnen und Projekträumen auf den Punkt, der Salon Populaire veranstaltet unter der Federführung von Ellen Blumenstein und Florian Wüst eine lebendige, mehrteilige Diskussionsreihe über kulturpolitische Handlungsmöglichkeiten. Darüber hinaus tritt das seit 2009 existierende Netzwerk unabhängiger Berliner Projekträume und Initiativen vermehrt auf den Plan. Zunächst wurden hier punktuelle Ansätze mit ähnlich gelagerten Belangen kurzgeschlossen, um mit den bisher 25 teilnehmenden Projekträumen einen pluralen Verbund zu generieren und gemeinsame Interessen zu formulieren. Es geht voran: Anfang Mai veröffentlichte das Netzwerk ein umfangreiches Positionspapier, welches eine fundierte Basis bildet, um längst fällige, auf die Bedürfnisse der Projekträume abgestimmte Förderrichtlinien zu entwickeln. Zudem wurde im April ein zweimonatlich stattfindender Jour Fixe mit der Senatsverwaltung für Kulturelle Angelegenheiten eingerichtet, dessen Zusammensetzung der anwesenden Netzwerkmitglieder ebenso wechselt wie die Dialogpartner der Senatsverwaltung. Was sich mit diesem Dialog andeutet, ist die notwenige Einsicht, dass die Gegenwartskunst nicht wie bisher einer funktionalen Logik der Politik untergeordnet werden kann, sondern als Gradmesser dienen soll, um die vielverzweigten Projekträume und künstlerischen Aktivitäten nicht mit kurzfristigen Gelegenheiten, sondern mit langfristigen Perspektiven am Laufen zu halten. Die optimistische Lageverkennung scheint offenbar einer nüchternen Situationsanalyse zu weichen. Es bleibt zu hoffen, dass die verbale Aufgeschlossenheit nicht die Illusion von Zustimmung hervorruft, um nach der Wahlpropaganda zur Tagesordnung der Sachzwänge überzugehen.
weitere Informationen unter: www.projektraeume-berlin.net