An einem Samstag, einem gar lauschigen im gerade verblühten August lehnt Anselm Reyle, sichtbar erleichtert, an einem der Pfeiler vor dem Mutterschiff des Arndt und Parnter Trios in der schönen Zimmerstraße. Er trägt ein weißes Hemd, von wem wird er nicht erzählen und hält einen Mochito in einem altmodischen, gelblichen Glas. Viel hat er gearbeitet, noch mehr als sonst und über 1.000 Zeichnungen angefertigt. Wie eine gefräßige Raupe haben sich sein Team und seine Arbeiten die Leere der Sommerpause hier zunutze gemacht und ein großes Geisteslabyrinth gebaut. Die filigranen Erzählungen sind ein Atlas nun entweder der Reyleschen Reisen, und somit der ganzen Welt, oder seiner Träume; in diesem Fall nur der Welt. Alles ist irdisch, selbst die abstrakten Zeichnungen sind von bodenständigem Charakter und gefallen sich nicht darin, sich nicht erfassen zu lassen. Reyle zeigt, indem er Fotomaterial von berühmten Kriminalfällen durch penibles Nachzeichnen in seine Sprache übersetzt und sich auch inhaltlich aneignet, dass sich die ungeklärten Fragen – und nochmehr die unaufklärbaren – durch Nichtbearbeitung in ihrer dunkeln Schrecklichkeit nurmehr verstärken würden. Und, als sollte hier Buergel lernen, wie man so etwas macht, sind die Räume farbig gefasst – jedoch in einem Code, der sich dadurch auszeichnet, dass er sich nicht erschließt. Lediglich die Zeichnungen wirken natürlich sehr unterschiedlich, jedoch will niemand glauben, dass sei Grund genug gewesen. Reyle genießt es sichtlich, wieder einmal, wie er sagt, eben nur Kunst zu zeigen, die er ganz allein und selbst gemacht hat. Vor allem, so wird getuschelt, gefalle es ihm, dass ihn niemand auf seine Pläne, ein schönes und tolles Atelierhaus in Mitte zu bauen, anspricht. Zum Ende des Abends, diesmal gibt es kein Essen nach der Eröffnung, verteilt Heiner Bastian lila Annemonen.
Bei Axel Haubrok am ebenso schönen wie temporär schnöden Strausberger Platz haben die schlag- und humorfertigen Kulturmoderatoren Volker Wieprecht und Robert Skuppin eine Ausstellung realisiert, wie sie aus dem echten Leben gegriffen nicht mehr sein könnte. Die Schau KOTZE & KUCHEN beschreibt die primären euphaktorischen Erscheinungsformen kleiner Kinder und Wieprecht, selbst Vater weiß und sagt es jedem; Kinder riechen entweder so, oder eben so. Sie zeigt in exakt 280 Exponaten, ebenso viele Tage dauert eine durchschnittliche Schwangerschaft beim Menschen, wie Kinder in der glatten Welt ihrer Eltern Spuren hinterlassen, die den Dingen ihre Demut nehmen und sie so in dieses ‚echte‘ Leben integrieren. Wir sehen Brötchen, einst aufgeweicht und dann ins Brockhaus gedrückt, zerkratzte Schallplatten, bemalte Sofas, Tischdecken und Tapeten, zerstörte Computer, die mit Wasser gegossen wurden, damit die Blumen im Bildschirmschoner endlich mal etwas wachsen. Ein Zündschlüssel der Marke Volkswagen zeigt leichte Dellen und gelblichen Spuren im Plastik; er wurde als Beissring gehandelt. Im Büro der Ausstellungsräume hat man eine zusätzliche Arbeit versteckt; sie zeigt in ähnlichem Gefäß aus dem heraus schon diverse Großkünstler das Publikum mit ihrem Konterfei aus Scheiße oder Blut erschreckt hatten einen Kuchen aus Kotze. Gekotzt am 13. Juni, von Lia, 7 Jahre. Mehr jedoch erfährt der Leser nicht. Das mit Abstand schönste Ausstellungsstück ist ein Soundpiece, nämlich eine Abwandlung des öden Radio-Eins-Jingles „… für alle, die gern Rollschuh laufen, und natürlich nur für Erwachsene!“ Skuppin und Wieprecht, im Hauptberuf beschäftigt bei Radio Eins, haben das Stück selbst gesprochen: „Für alle, die gern Kuchen essen, und dabei nicht nur für Erwachsene.“
Conclusió heißt die Arbeit, mit der uns Tino Sehgal beglückte. Im Toilettenvorraum des hotten Clubs, dem Weekend direkt am Alexanderplatz stehen zwei Männer, und küssen. Es sind Michael Elmgreen und Ingar Dragset; sie stehen beide in leichtem Ausfall schritt zueinander, es hat etwas von Tango. Dragset trägt eine grüne Hose zu gelbem, cremefarbenen Sakko und ein Hemd aus Bordeauxfarben. Ein echter Dandy. Elmgreen steckt in einem Overall aus changierendem Stoff, der vom weißen ins hellblaue wechselt. Ob sie mit Zunge küssen müssen ist nicht klar, Sehgal hat wohl die Anweisung gegeben, es habe wie ein Filmkuss auszusehen. Alle 90 Sekunden hören sie mit dem Küssen auf, drehen die Köpfe zur jeweils anderen Seite als sie sonst liegen und von der Hand des anderen gehalten werden, holen betont röchelnd Luft und rufen dann singend: „ANGIE, OH ANGIE … !“ Und weiter gehts mit Küssen. Es dürfen sich immer nur 21 Besucher und dann 21 Besucherinnen des Clubs in den Klovorraum begeben, um bis zu zwei Kussrunden zu beobachten. Doch beobachtet wird nicht viel, es werden die Posen kichernd kopiert und echte Filmküsse und filmreife Echtküsse zelebriert.