Wie kann man einen künstlerischen Arbeitsprozess sichtbar machen? In einer Ausstellung oder besser vielleicht in einer Ausstellungsfolge? Wie kann man seine Spuren aufzeichnen und nachvollziehbar machen? Welche Spuren hinterlassen künstlerische Arbeitsprozesse überhaupt? – Schmutz, Schrammen, Löcher, Schleifspuren am Boden, gar Fußabdrücke …? Im zu besprechenden Falle werden die Spuren auf Handouts in Form von beschrifteten Grafiken mit Kalenderblattcharakter notiert. Was passiert aber, wenn der Prozess nicht weit über ein Notat auf Papier hinaus geht? Rhea Dall und Kristine Siegel setzen es sich mit ihrem eben neu gegründeten Not-for-profit-Ausstellungsraum PRAXES zum Ziel: sie wollen künstlerische Arbeitsprozesse, unvollendete Werke oder gescheiterte Ideen, die ja oft hinter geschlossenen Türen verborgen bleiben, immer anhand der Arbeiten zweier Künstler auf zwei Etagen im St.-Agnes-Areal sichtbar machen (Stichwort: Investigation). Dabei soll es immer mehrere Phasen geben. Und genau hier sehen die beiden dänischen Kuratorinnen ihr Alleinstellungsmerkmal. Doch wären die eingangs formulierten Fragen nicht erst zu diskutieren, bevor man versucht, „es“ zu tun – und gewissermaßen scheitern muss? Denn haben wir es nicht genau an dieser Stelle mit einem schon recht alten Dilemma der Kunstvermittlung zu tun? Sobald das Format Ausstellung abgemacht ist, lässt der erste Clinch mit dem ephemeren Prozessualen nicht lange auf sich warten: denn es ist schon mal zumindest ein fester Zustand anvisiert. In diesem Fall sind im CYCLE 1 von Jutta Koether zum Beispiel bereits zwei Fixpunkte „prozessual“ geplant. Man kann wählen zwischen Objekt A mit Bild A oder Bild B. In der nächsten Phase wechselt dann Objekt A zu Objekt B, vielleicht kommt dann noch Bild C oder D.
Erste Kombination: Objekt A „Viktoria“, 2013 + Bild A „Mad Garland Berlin (1#, WTF)“, 2011: „Viktoria“ war kürzlich bereits in London ausgestellt und ist ein flacher, transparenter, aus Polyethylen und klarem Harz gefertigter Tisch, auf dem allerlei Krimskrams, darunter – und hier scheint die Trash-Attitüde von Galeriekollegin Isa Genzken durchzuschlagen – ein Plastik-Empire-State-Building, ein in Gießharz konservierter Käfer, Perlenketten und Spiegel arrangiert sind, entlang eines Leinwandstreifens, der über den ganzen Tisch läuft und zu Boden hängt, wohin sich auch das getrocknete Flüssigglas zu einer starren Pfütze ergossen hat. Abstrakt gesehen könnte man dieser Installation auch etwas Körperhaftes, eventuell Weibliches zusprechen. „Mad Garland Berlin“ ist hingegen ein dunkles Gemälde, das sich auf Nicolas Poussins Bild „The Funeral of Phocion“ (1648) bezieht. Poussin ist ja eine Paradereferenz von Koether. Der Bezug visualisiert sich am deutlichsten an einem menschlichen Bein, das man rechts im Bild erkennen kann: das Bein eines Totenträgers. Bei näherer Betrachtung könnte auch ein dunkles Knäuel in der Mitte als vielleicht toter, in Leinentücher gehüllter Körper auf einer Bahre entschlüsselt werden, umrahmt von einer dunklen Girlande. Und in der Mitte steht ganz klein mit silbernem Fineliner reingekritzelt: „WTF“ (What The Fuck). Dieses Bild, dessen Ecken mit flachen Winkeln versehen und dann mit Flüssigglas (cold glaze) übergossen wurden, konzipierte Koether anlässlich der Art Basel 2011 wohl laut Handout als „signpost of the often glossy and accelerated functions of paintings in such a context.“ Hier im Berliner Ausstellungsraum trifft aber der tote Phocion auf einen erschlafften Leinwandstreifen auf einem blassen Plexicorpus. Man könnte imaginieren: Das flüssige Glas wird zu Blut! Der Tod des weiblichen Marat! Der Tisch wird zum Traueraltar für die Malerei. Der Leinwandstreifen – vielleicht Gedärm, Wirbelsäule – ein letztes Ächzen, ciao Malerei! Zweite Kombination: Objekt A „Viktoria“ + Bild B „Alostrael“, 2009: Alostrael, mit bürgerlichem Namen Leah Hirsig, war das sogenannte „vaginal medium“ (Handout) des britischen Dandy-Okkultisten Aleister Crowley. Koether kopierte für ihr Gemälde ein Porträtfoto aus dem Jahr 1919, für das Hirsig vor einem von Crowley gemalten Porträt ihrer selbst posiert. Wer meint, hier ginge es um eine tiefere Recherche der Künstlerin, wird enttäuscht sein: im Internet findet man das Foto auf Anhieb und kann es auch ganz schnell als Vorlage identifizieren. Naja, Hauptsache Magie, Spiritismus, Geisterbeschwörung, Kult … die Plexiglaspfütze verwandelt sich auf einmal in Sperma, verläuft sich, schillert. Der Tisch beginnt zu schweben und wird zum Altar, auf dem dem Sekret gehuldigt werden kann. Während unseres Besuchs bei PRAXES wurden Bild A und Bild B auf unseren Wunsch hin von Praktikantinnen in weißen Handschuhen ausgetauscht. Unbedingt zu erwähnen sind dabei die beiden einzigen Elemente neben „Viktoria“, die im aktuellen Zustand nicht prozessual verschoben werden: zwei große, spiegelartige Platten, die auf weiß lackierten Bords stehen, und vor die jeweils eines der Bilder gestellt wird. Die Position der Bilder orientiert sich dabei übrigens an kleinen Bleistiftmarkierungen. Wir lassen das Szenario auf uns wirken: große matte, leicht verzerrende Spiegel, Verklärung, Erlösung, Okkultismus, Kitsch – und ein kleines bisschen Aggression: WTF … eine magische Messe, eine Totenbeschwörung rund um einen Malereialtar, eine Opferstelle der Idiosynkrasie? Man kann sich entscheiden, ob man die Séance nun zusammen mit Aleister Crowleys „Scarlet Woman“ oder dem toten Phocion, der nach Verurteilung durch Gift getötet wurde, begehen will. Muss man diese (kleine) Wahlmöglichkeit haben? Und: was soll uns dieser überschaubare und im Voraus geplante Prozess mit eingeübter Choreographie schon groß bringen? Gerade dann, wenn die Exponate schon existierten, bereits anderweitig ausgestellt waren und jetzt nur neu kontextualisiert, „reanimiert“ (Zitat Handout) werden. Da beginnt man ja eher alte Zusammenhänge neu zu interpretieren und Schnittmengen zu analysieren, anstatt dem Vorschlag zu folgen, sich das Prozessuale zelebrieren zu lassen. Hier scheint es uns mehr um eine verdeckte Psychoanalyse für die ausstellenden Künstler zu gehen. Die Arbeitsweise von Jutta Koether trifft auf jeden Fall den zentralen (Bewegungs-)Nerv des Projekts und legt das System dadurch gewissermaßen lahm: Denn Referenzsysteme sind das A und O ihrer Arbeit. Das Spezial-Angebot dieser Minimalauswahl wirkt dabei nur wie eine dürftige didaktische Veranschaulichung ihrer Praxis. Ein einfacher Ausweg aus dieser Redundanz wäre, einfach alles gleichzeitig zu zeigen. Dann könnte man auch jeweils einige Wochen der geplanten Neuarrangements einsparen. Aber vielleicht geht es hier wirklich vor allem um Kult und Passion, um Kunst-Kult, um eine neue Idee der Slow-Art? Nicht umsonst will PRAXES allen Künstlern sechs Monate Zeit geben. Oder eben um die Sehnsucht nach (zumindest gedachter) permanenter Künstlerpräsenz, das Begehren, doch möglichst nah und unmittelbar dran zu sein am Künstler und seinen Entscheidungen: The artist is present and present, and present, und bleibt, und ist immer noch da. Don’t go. Stay with me – mentally. Eingeschworen auf die Kunst der Kunst dienen. Die Frage aber bleibt: Wie lang kann, soll, muss man einen Luftballon eigentlich aufblasen? – Nice! Amazing! Yes, absolutely …
Jutta Koether, im Rahmen von „Cycle 1“ (parallel zu Gerard Byrne), PRAXES, Alexandrinenstraße 118–121, 10961 Berlin, „Viktoria“ 31.8.–6.10.; „Luise“ 12.10.–3.11.; „Isabelle“, 14.11.–14.12.2013