Tobias Zielony

Berlinische Galerie

2013:Dec // Naomie Gramlich

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12-2013
















Wie sieht eine Sexarbeiterin aus?
/ Tobias Zielony in der Berlinischen Galerie

Auf dem Weg zur Arbeit verlasse ich gegen zehn Uhr morgens den Ausgang der U-Bahn-Station Kurfürstenstraße Richtung Genthiner Straße. Bereits um diese Zeit tummeln sich die Sexarbeiterinnen auf dem Gehweg. Ich nehme die rechte Straßenseite, vorbei an Frauen, die den kommenden Autos entgegentänzeln und biege rechts in einen kleinen Durchlass in der Umzäunung des angrenzenden Geländes von Möbel Hübner ein. Dahinter sitzt auf einem ramponierten Stuhl eine in Neonfarben gekleidete Frau. Ich gehe an ihr vorbei auf den Parkplatz und sehe nach einigen Schritten eine gewaltige Silberweide vor mir. Einige Wochen später sehe ich diesen Baum wieder. Auf einer Fotografie in Tobias Zielonys Ausstellung in der Berlinischen Galerie aus der Serie „Jenny Jenny“ (2011–2013). Ich erkannte ihn und das dahinter liegende freistehende Haus sofort wieder. Mit der Wucht seiner silberfarbigen Blätter steht er auf einem von Asphalt freigelassenen Erdstrich, um den parkenden Autos Schatten zu spenden. Die Fotografie zeigt ihn bei Nacht, extrem lange belichtet. Auch wenn ich ihn immer nur im Sonnenlicht gesehen habe, holt das Foto dieser gewöhnlichen Weide sofort meine Erinnerung und das Gefühl an den Straßenstrich der Kurfürstenstraße hervor.
„Jenny Jenny“ ist eine Serie von Fotografien aus dem Umfeld junger Frauen, von denen einige ihr Geld mit Sexarbeit verdienen. Neben Porträtaufnahmen nutzt Zielony andere Genres wie Stilleben und Architekturfotografien, um sich den Frauen und der Sexarbeit anzunähern. Die Fotoserie, die rund 40 Aufnahmen umfasst, hat Zielony damit begonnen, dass er in der Berliner S-Bahn ein Pärchen ansprach, um es zu fotografieren. Er erfuhr, dass die Frau auf dem Weg zum Straßenstrich war. Nach und nach lernte er andere Frauen kennen, die der Sexarbeit nachgehen. Ab diesem Zeitpunkt verabredete er sich über zwei Jahren mit ihnen und fotografierte sie bei Nacht auf der Straße oder in künstlich ausgeleuchteten, kargen Räumen.
Die Fotografien könnten eine Geschichte von Jenny erzählen, die so anfinge: Eine junge Frau, die bei Nacht rauchend am Straßenrand steht und auf einen Freier wartet. Cut. Das nächste Bild zeigt eine nackte Frau im Badezimmer. Hier endet die Geschichte. Die nächste Fotografie zeigt surreale, rote Leucht-Funken. Wie die Fotografie der Silberweide, die ich als Passantin zufällig mit dem Straßenstrich in Verbindung bringe, kommen viele Motive assoziativ aus dem Umfeld der Frauen. Vordergründig harmlose Sujets wie Häuserfassaden, ein mit Sternen besprühtes Holzhüttchen, Kinosessel oder ein bunter Plastikblumenstrauß vermitteln genauso wie der Titel der Serie ein bestimmtes soziales Milieu. Die Sujetaufnahmen reihen sich neben Porträtfotografien (jedenfalls irgendwelche Fotografien auf denen irgendwelche Frauen zu sehen sind). Oftmals nur schemenhaft und mit geringer Tiefenschärfe fotografiert, verlieren sich die Frauen in einer Zweidimensionalität des Raums, wenn die Gesichtszüge in der starken Schattenkontrastierung überhaupt auszumalen sind. Und doch scheinen einige Fotografien ganz bewusst Assoziationen wecken zu wollen. Da hilft es auch wenig, dass Zielony die Zuschreibungen der Frauen als „Nicht-Prosti­tuierte“ und „Prostituierte“ zu erschweren versucht. Mein Blick sucht die Aufnahmen der Frauen nach Indizien der Sexarbeit ab. Codes, die ich wiedererkenne und zuschreiben kann  – Codes, die meiner schon im Vorfeld vorgenommenen Zuschreibung eine Bestätigung geben könnten. Die Aufnahmen, die in Räumen entstanden sind, geben den Blick frei auf eine lieblose und altmodisch zusammengewürfelte Inneneinrichtung und wecken Assoziationen an ein billiges Stundenhotel. Teilweise sind es inszenierte Fotografien, die die Situation von bezahltem Sex nachahmen und eine soziale Realität der Sexarbeiterinnen charakterisieren. Eine nackte Frau beugt sich über ein Waschbecken – ist es die typische Mach-dich-sauber-nach-dem-Sex-Pose? Eine freie Armbeuge ist mit einem Tuch abgebunden – steckte da gerade noch eine Nadel drin? Die Frauen auf den Fotos tragen Lederhalsbänder, Goldketten, haben lange Fingernägel, oder Narben auf der Haut. Mit rot geschminkten Lippen liegt eine Frau oberkörperfrei auf einem Bett, die eine Hand auf der Brust drapiert, und fokussiert mit ihrem Blick die Kamera. Ob sie selbst die Pose, die von ihr in dem heterosexuellen Sex-Business erwartet wird, während der Fotosession mit Zielony aufgreift oder seinen Anweisungen folgt, bleibt unklar. Zum einen wird hier auf eine gesellschaftliche und soziale Zuschreibung rekurriert,  gleichzeitig vermeiden andere Fotografien aus der Serie archetypische, medial vermittelte sexuelle Posen und Bilder.
Einige Tage davor in der World-Press-Fotoausstellung im Willy-Brandt-Haus: Neben durchtrainierten SportlerInnenkörpern und exotischen Tieraufnahmen wird das Bild der Welt durch einige Fotografien der Sexarbeit vervollständigt. Diametral entgegen zu Zielonys Serie steht das Porträt der dänischen Fotografin Marie Hald. Gestochen scharf ist die 38 Jahre alte Sexarbeiterin Bonnie Cleo Andersen en face abgebildet. In ihrer faltigen, gebräunten Haut mit den bereits verblassenden Tätowierungen und den schwarz geschminkten Augen scheint mir die Fotografie unausweichlich vermitteln zu wollen, dass sich das Lebensschicksal der Prostituierten in ihr Äußeres eingeschrieben hat. Die Person die hier zu sehen ist, MUSS einfach eine Prostituierte sein, als Blumenverkäuferin geht sie einfach nicht durch. Porträtfotografie als Mittel der analytischen Physiognomik. Die ebenfalls ausgestellten Fotografien aus Paolo Patrizis Serie „Migrant Sex Workers“ (2009) verzichten dagegen weitgehend auf die Protagonistinnen. Bemüht distanziert festgehalten sind die schäbigen Matratzen im Wald inmitten einem Haufen gebrauchter Kondome und Taschentücher, auf denen nigerianische Migrantinnen in Italien der Sexarbeit nachgehen. Dieser Sex-Müll im Wald, in dem ab und an eine Frau drapiert ist, droht mir nur so mit dem erhobenen Zeigefinger. Entgegen dem Anliegen der World-Press-Fotografie-Ausstellung mit ihrem bildjournalistischen Impetus dokumentarisch die Welt zu erfassen, wird bei Zielony deutlich, dass sich soziale Realitäten, auf Film gebannt, nur konstruiert und inszeniert darstellen lassen. Zielonys Nacht- und Kunstlichtfotografien, die oft durch den Kontrast von greller Farbigkeit und düsterem Nachtlicht dominiert sind, sind atmosphärische, irgendwie beklemmende Tableaus und bemühen sich gar nicht, ihre Stilisierung und Fiktionalisierung zu verschleiern. Die gewählten Stilmittel der extremen Farbigkeit, Tiefenunschärfe und künstlich ausgeleuchtete Szenen lassen die Fotos beinah surreal wirken. Der glänzende rosafarbene Vorhang erinnert an David Lynchs „red curtain“. Die bedrohliche und gleichzeitig reizvolle Stimmung des 80er-Heroin-Chics einer Christiane F. findet einen direkten Bezugspunkt in einem Buch in den Händen einer Frau. Stilisierung, atmosphärische Einfärbung und popkulturelle Zitationen – warum auch nicht? Objektive Dokumentation, neutrale Tatsachenaufnahmen mit dem Mittel der Fotografie – das gibt es nun mal nicht. Angefangen bei der fotografierenden Person, die auf eine Situation nur durch ihre bloße Präsenz einwirkt, bis hin zur Wahl des Ausschnitts sind soziale Realitäten per se nur fiktiv zu fassen. Sie lassen sich nicht auf Fotopapier bannen, ohne dass sie beim Fotografieren und Betrachten eine Färbung erhalten. Wenn klar ist, dass die Welt der Sexarbeiterinnen nicht objektiv darstellbar ist, stellt sich die Frage, wie Zielony sie wahrnimmt. Zielony vermittelt mit „Jenny Jenny“ keine wirklich positive Welt. Mögen die fotografierten Frauen auch selbstbewusst und individuell auftreten, verraten ihre Gesichter, die stets einen ernsten bis elegischen Ausdruck haben, sowie die Tristesse der Räume, eine Situation, die sich die betrachtende Person nicht selbst wünscht.
Sieht man „Jenny Jenny“ vor dem Hintergrund von Zielonys Foto­serien wie „The Cast“ (2007) oder „Trona“ (2008), in denen er sich mit städtischen Randzonen und einer „lost generation“ beschäftigt, für die der Bus nur Richtung Boredom oder Nowhere fährt, ist das Thema wieder das der gesellschaftlichen Outsider. Zumindest geben sich die Fotos Mühe, aus den Frauen welche zu machen. Gleichzeitig spiegelt die Serie das gesellschaftliche Bild von Prostitution wieder. Denn auch nach dem Prostitutionsgesetz von 2002, das SexarbeiterInnen eine gewisse soziale Sicherung zugesteht, und auch wenn laut der polizeilichen Kriminalstatistik Zwangsprostitution, Menschenhandel zum Zwecke sexueller Ausbeutung und Zuhälterei in Deutschland stark rückläufig sind, haftet dem Geschäft mit dem Sex immer noch das gesellschaftliche Stigma eines dunklen Milieus und eines kriminalisierten Arbeitsfelds an. Gleichzeitig scheint es nur dadurch für die Kamera interessant zu sein, sonst würden weder Zielony noch die zahlreichen BesucherInnen der Ausstellung einen Reiz daran finden, einer Art des fotografischen „slummings“ zu frönen.

Tobias Zielony „Jenny Jenny“, Berlinische Galerie,
Alte Jakobstraße 124–128, 10969 Berlin, 21.6.–30.9. 2013
Thomas Zielony aus der Serie „Jenny Jenny“ 2011–2013, Courtesy Tobias Zielony und KOW, Berlin (© )
Thomas Zielony aus der Serie „Jenny Jenny“ 2011–2013, Courtesy Tobias Zielony und KOW, Berlin (© )
Thomas Zielony aus der Serie „Jenny Jenny“ 2011–2013, Courtesy Tobias Zielony und KOW, Berlin (© )
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