André Butzer / In diesem Falle spielt Hölderlin als
Name sicher eine wichtige Rolle, aber die gesamte Ausstellungsserie ist eine
lose Folge von Ausstellungen, die unter dem Motto „Kommando“ geführt werden.
Sie sind aber nicht kuratiert im eigentlichen Sinne, sondern werden von mir
teilweise verursacht. Das läuft meistens so: Ich werde eingeladen und gebe dann
die Ausstellung vor. In dem Moment wird der eigentliche Ausstellungsmacher von
seiner Macht enthoben, indem er etwas ins Haus bekommt, was er so nicht zeigen
würde, wo er nicht unbedingt mitsprechen kann, sei es bei der Auswahl der
Künstler oder der Auswahl der Werke. Das ist natürlich in jedem Fall immer
anders gelaufen.
Und „Kommando“ meint, dass die Ausstellung immer unter
einem anderen, höheren Auftrag steht, unter einer machtvollen Geste, die dann
wieder in Ohnmächtigkeit aufgehen soll. Dafür steht in diesem Falle Hölderlin,
den habe ich schon mehrfach porträtiert; er ist mein Lieblingsdichter. Er steht
für eine Sehnsucht nach was auch immer. Sehnsucht ist, was Kunst generell
formulieren möchte. Hölderlin formuliert, genauso wie Disney, Sehnsüchte und
die kann man verwenden. „Kommando Kartoffelschälen“ steht für das andere Ende.
In Gefängnissen gab es zum Beispiel auch das „Kommando Kartoffelschälen“. Diese
historischen Referenzen eignen sich dazu, sie symbolisch ins Feld zu führen.
Letztlich ist es ein fahrlässiger Umgang mit ihnen. Ich benutze Disney nur als
Referenz, erträume mir mit ihm mein System. Diese künstlerische Welt besteht
aus diesem Traum, in den ich mich begeben habe. Und da treten diese Figuren und
Persönlichkeiten neben mir auf und inspirieren zukünftige abstrakte Kunst.
Franke / Warum haben die Figuren, zum Beispiel die aus der Serie
„Friedens-Siemense“, immer Riesenköpfe mit weit aufgerissenen Augen, deren
Körper beinahe verschwinden?
Butzer / Das ist eine Versinnbildlichung von allgemein
herrschender Deformation, die zu tun hat mit einer Vorstellung von einem
zukünftigen Bild von Mensch, Körper, Fleisch und von Kartoffelchips. Es ist ein
Menschenbild, auf das man in der Alltagskultur häufig trifft. Aber diese Form
von sogenannter Gegenständlichkeit spielt weniger eine Rolle, denn ich mache
eigentlich abstrakte Kunst, glaube ich. Selbst in einer solchen Darstellung
wird ein hoher Grad von Abstraktion deutlich. Und diese Figurenwelt ist das
Ergebnis vom Ende, von Abstraktionsausweglosigkeit. Sicher nicht der Anfang von
Figuren, die sich dann als Abstraktion auflösten, sondern es ist genau anders
herum. Sie sind das Ergebnis von einem vorläufigen Ende der figürlichen
Darstellung. Anfang und Ende fallen immer zusammen. Der Weg, wohin das Ganze
führen könnte, ist eine kosmische Darstellung von einer anderen Welt. Das geht
aber nicht ohne die Figur, also nicht ohne Körper und Raum, ohne dieses
unauflösbare Verhältnis. Ich habe aber eine ganze Reihe von Bildern gemalt,
davon sind nur einige ,Kopfausgeburten‘.
Franke / Wenn es sich bei den ,Kopfausgeburten‘ um abstrakte
Formen figürlicher Darstellung, also um weder figürliche noch abstrakte Kunst
handelt, welche Rolle spielen dann die extremen Gefühlszustände, die sich über
die farbigen Formen ausdrücken?
Butzer / Die Gefühlszustände sind in der gleichen Weise, wie sie
extrem sind auch künstlich verursacht, sie sind fiktiv und leicht übertrieben.
Künstliche Emotionen haben natürlich immer auch eine Entsprechung in der realen
Gefühlswelt, aber ich glaube nicht, dass die Bilder davon wirklich Zeugnis
ablegen können. Die haben fast nichts mit meiner eigenen Gefühlswelt zu tun,
sind möglichst anti-authentisch, das heißt, sie sind echt.
Franke / Manche Bilder tragen Titel wie „Blumm Blumm“ das
Humorvolle und Unverbildete daran gefällt mir. Setzt du Humor gezielt ein?
Butzer / Ich darf Humor nicht als Stilmittel einsetzen, sonst
würde es gefährlich werden, weil ich humorlos bin. Ich mache eigentlich keine
Witze, glaube aber, dass die Bilder trotzdem lustig sind, auch ein Titel wie:
„Blumm Blumm“. Dieser Titel ist aber eher eine Ausnahme; das hat das Bild zu
mir gesagt, nicht ich ihm. Eine rudimentäre Sprache, wie sie in Comics
verwendet wird, drückt sich auch in diesem Bild aus. Es ist leicht ohne
schweren Inhalt. Deshalb habe ich den Titel durchgelassen und aufgeschrieben.
Franke / Wann und wie hast du angefangen mit der Malerei?
Butzer / Als Zivildienst-Leistender bin ich nach dem Abitur nach
Hamburg gegangen, dort habe ich sieben Jahre gelebt und habe im Krankenhaus
angefangen zu malen. Ich kann ziemlich genau zurückdatieren wie es begann:
Damals habe ich die Sammlung Guggenheim in der Hamburger Kunsthalle gesehen. Im
letzten Raum vor dem Ausgang hingen Werke von Francis Bacon, Jean Miró und
Asger Jorns „Green Ballet“. Bacon und Miró haben mich weniger interessiert,
aber Jorn dafür umso mehr. Ich ging nach Hause, habe mir grüne Farbe gekauft
und habe ein scheinbar ähnliches Bild nachgestellt, was natürlich komplett
anders aussah.
Kunst studiert habe ich nicht. Zwar war ich an der
Kunsthochschule Hamburg erst zugelassen, aber bei der endgültigen
Aufnahmeprüfung wurde ich abgelehnt. Den Hauptteil meiner Hamburger Zeit war
ich Mitglied einer künstlerischen Gruppierung: Die Akademie Isotrop war ein von
Künstlern gegründetes Lehrinstitut. Über vier, fünf Jahre des Bestehens haben
wir Texte geschrieben, Veranstaltungen organisiert, Ausstellungen gemacht und
uns sozusagen selbst unterrichtet.
Franke / Warst du beeinflusst von der Generation der 80er Jahre,
von Malern wie Martin Kippenberger, Albert Oehlen, Werner Büttner?
Butzer / Selbstverständlich. Bei meinem Einstieg seinerzeit in den
mittleren 90er Jahren habe ich die Generation Oehlen-Kippenberger vorgefunden,
die sind bis zu einem bestimmten Punkt gegangen. Kippenberger war ein
fleischlicher, körperlicher Maler. Bei Oehlen ist es eher umgekehrt, also sehr
neblig. Und wenn man das historisch weiter zurückverfolgt, spielt natürlich
Sigmar Polke eine Rolle, der eine Art
deutsche Pop Art für Arme betrieben hat, was wiederum Oehlen und Kippenberger
beeinflusste. Eine andere Linie geht auch zurück auf den sogenannten
Expressionismus über Georg Baselitz bis hin zu Ernst Ludwig Kirchner und Emil
Nolde, der sogenannte ‚Nasa-Nolde-Expressionismus‘. Die Linie auf der
Französischen Seite verbindet Matisse und Jorn, die interessiert mich. Auch ist
Henri Matisse neben Henry Ford für mich das Größte überhaupt gewesen. Denn ich
habe für mich entschieden, dass ich die Linie, die auf Matisse zurückgeht,
fortführen muss, natürlich nur unter Berücksichtigung der anderen Linien. Von
der Tradition Oehlen-Kippenberger wollte ich mich dann distanzieren. Auch die
Witze von Polke, seine Ironie und die Entmystifizierung der Malerei, indem er
sie als Lüge begreift, haben mich nie begeistert. Aber ich konnte die andere
Linie nur fortführen, indem ich die Vorstellung von Malerei als Lüge auch
verinnerliche. Das eine geht ohne das andere nicht. So kam es dazu, dass ich
Köpfe gemalt habe, weil Abstraktion, also eigentlich eine Abtrennung, trotzdem
immer mit dem Figur-Raum-Dilemma verbunden bleibt. Dann kann man auch einen
Kopf malen, ohne einen Kopf zu malen, mit oder ohne Kopf. Aber es geht um
Kunst, nicht unbedingt um Malerei.
Franke / Wenn du von Malerei als Lüge sprichst, dann setzt das
eine Vorstellung von einer authentischen Malerei voraus.
Butzer / Es gibt weder die Lüge noch das Authentische in der
Malerei, es ist weder das eine noch das andere. Es schließt sich nicht aus. Es
gibt aber auch nichts Dazwischen. Etwas kann so authentisch sein, dass es
gelogen ist oder es ist so verlogen, dass es wieder stimmt. Es gibt gewaltige
Unterschiede zwischen einem Pinselstrich von Polke oder einem Pinselstrich von
mir und Matisse. Die Pinselstriche stellen jeweils etwas anderes in Frage,
stellen sich selbst als etwas anderes dar. Bei einem Pinselstrich von Polke wird
ein Versprechen vorgeführt, dass er als nicht eingelöst vorführt, wie eine Art
Werbeversprechen: Wenn Sie drei Wochen in den Urlaub fahren, dann werden Sie
glücklich. Diese Information trägt so ein Pinselstrich mit sich, der sagt, er
sei eventuell eine Lüge. Während ein Pinselstrich von Matisse durchaus ein
neues Versprechen formulieren kann. Ein Versprechen für Leben, Glück, Lust,
Veränderung. Jedenfalls ist es kein schneller Sarkasmus, es ist gut gemeint,
zumindest besser.
Franke / Zum Schluss interessiert mich noch deine Haltung typisch
deutschen Zeichen gegenüber.
Butzer / Bei mir geht es nicht um was typisch Deutsches, ich sehe
mich eher als universaler, internationaler oder gar us-amerikanischer Künstler
in Deutschland und nicht als typisch deutscher Künstler. Ich bin in einer
amerikanisch besetzten Zone aufgewachsen, das ist mein Horizont. Als Kind
Ronald Reagans habe ich später die Pinsel in die Hand genommen. In diesen
Bezugsrahmen habe ich die Kunst integriert und mit deutschem Quatsch vermischt.
Deshalb treten wir in Los Angeles mit „Kommando Pfannenkuchen“ auf und mit
„Kommando Henry Ford“ in Stuttgart. Stuttgart ist meine Heimat, wie es auch die
Heimat von Hölderlin ist. Aber unsere Heimat ist eigentlich der Himmel.
Das Gespräch fand am 24.2.2007 in Berlin statt.
André Butzer „Friedens-Siemense“ Galerie Guido W.
Baudach
OsramHöfe
Oudenarder Str. 16–20
6.3.–14.4.2007
„Kommando Friedrich Hölderlin“ Galerie Max Hetzler
Werner Büttner, André Butzer, Björn Dahlem, Günther Förg,
Thilo Heinzmann, Thomas Helbig, Georg Herold, Andreas Hofer, Erwin Kneihsl,
Albert Oehlen, Markus Selg, Thomas Struth, Thomas Zipp
Zimmerstraße 90/91 und OsramHöfe
Oudenarder Str. 16–20
27.1.–17.3.2007