In jenen Tagen vor dem Galerienwochenende, als es regnete, tauchten sie plötzlich auf. Wie Pilze, die dann aus dem Boden schießen, hingen sie als jüngste Schicht auf den grauen Stromkästen, die zu bekleben strengstens verboten sind. Das ist ja auch der Grund, warum dort gern geklebt wird, die Aura des womöglich Illegalen, Untergründigen, Subversiven, die sich fast automatisch einstellt, wenn man auf die dicke Plakatschicht noch eins oben drauf setzt, und damit gewissermaßen das letzte Wort und damit den Claim auf den letzten Schrei hat. In Mitte ist die Plakatdichte aber recht hoch, so dass es schon ein höheres Kontingent braucht, um den Aufmerksamkeitshorizont zu überspringen, zumal, wenn man sich an vorbeifahrende Rezipienten wendet. Aus den Augenwinkeln eines solchen wird also mehrfach ein grobkontrastiertes Schwarzweißporträt eines Langhaarigen erfasst, bis der Radler nicht umhinkommt, darüber nachzudenken, was denn da zu sehen ist. Das Gesicht erinnert an die berühmte Aufnahme des Rassisten, mutmaßlichen Auftraggebers des Sharon-Tate-Mords und kalifornischen Kultheinis Charles Manson, darüber prangen fette Versalien englischer Fraktur, darunter eine url. Das ist eine Kombination wie aus dem Bilderbuch, abgehangenstes Mitte-Design, so ostentativ hingerotzte "Hipness", dass man gar nicht genauer hinschauen mag. Wäre die vermaledeite Fraktur, die englische, für den Germanen nicht dermaßen unentzifferbar. Denn was da zu lesen ist, auf kleinem Ritzel schnell vorbeifahrend, lautet doch wohl "dass show", oder nicht? Wird einer von Millionen Neopunkelectroclashern aus New York sein, grad sitzt er noch im Overstolz, und übermorgen spielt er. Angelsächsische Punks lieben deutsche Namen seit eh und je, Die Kreuzen, Das Damen, und hat nicht Adam Ant 1978 eine Single gemacht mit dem schönen Refrain: "Remember the curls / of the Deutscher Girls"? Da kann man, abgesehen vom wirklich nur noch peinlichen Manson-Fantum, "nicht wirklich" was dagegen sagen, dann jetzt halt auch noch dass show.
Anderntags wird beiläufig die Frage gestellt, ob man denn schon bei Dash Snow gewesen sei? Nein, nur hier, (das Bier ist kühl, danke übrigens, Herr Nagel), weil müde: das Kind, so redet man sich raus. Und schon sind die Zeitungen und Magazine voll davon, und die Vonhundert-Kollegen äußern eine freundliche Bitte, na gut. Es ist schnell klar, was die Leute daran so interessiert, es ist das romantisch Prädigitale, das hier noch einmal inszeniert wird, mit einer Referenzwolke, die von Dada bis Punk reicht und auf Sehnsüchte aller Art rechnen kann. Der Markt ist bereit, keine Frage, die Schere, der Klebstoff, der Slogan. Der junge Mann aus New York hat zugegebenermaßen ein Händchen dafür, die Ästhetik, die Proportionen, das Plündern medialer Versatzstücke, die ineinander geschobenen Zeilen der Klebetextarbeiten, alles stimmt irgendwie, ist aber auch nicht gerade originell. Wenn Kunst schon der neue Pop ist, warum soll Kunst dann die Ästhetiken und Techniken, die ad nauseam schon in Pop durchexerziert worden sind, und da schon geklaut waren, nämlich aus der Kunst selbst, nochmal und nochmal wiederholen? Zeigen, dass da jemand, 2007, imstande ist, die Schere in die Hand zu nehmen und Copy & Paste mit Xerox & Glue auszuführen, einen Drudenfuß aus auratisch aufgeladenem alten Holz an die Wand zu hängen und Verbalradikalismus ("Take a shot at cops") zu liefern? Dash Snows Arbeiten leben vom Material, und er ist, Respekt dafür, ehrlich genug, in seiner Ausstellung bei cfa zu zeigen, dass ebendieses Material im Zweifel gewitzter ist als seine eigenen Collagen: An einer Wand hängen Titelseiten der besseren Revolverblätter "Daily News" und "New York Post". Die Schlagzeilenkünstler dort haben ihre Leserschaft zum Irakkrieg mit Überschriften wie diesen beglückt: "Saddam & Gomorrah" oder "Who-sein Saddam's 5 faces". Kaum zu schlagen, diese Blätter, und deutlich billiger sind sie auch.