Das, was man von Poul Gernes kennt, ist eine eigenwillige Mischung aus ausgeprägten visuellen Vergnügen und einer vehementen künstlerischen Position. Der dänische Maler, Bildhauer und Filmemacher verstarb 1996 einigermaßen "unentdeckt", was auch dem Umstand zuzuschreiben ist, dass er selbst den marktgängigen Distributions- und Verwertungsdynamiken ablehnend gegenüberstand und sich ihnen zum Beispiel durch eine Verwerfung des mobilen Bildträgers zu entziehen versuchte. Erst nach seinem Tod kam ihm auch außerhalb Dänemarks institutionelle Beachtung zuteil. Cosima von Bonin integrierte unter dem Hommage-Titel "Bruder Poul sticht in See" Gernes Arbeiten in ihre eigene Ausstellung im Hamburger Kunstverein 2001, ein Jahr später widmete ihm der Braunschweiger Kunstverein eine Einzelausstellung. Aktuell wird Gernes auf der documenta?12 als eine der wieder entdeckten Positionen angeführt, deren Bedeutung sich an einem "ethisch-sozial" ausgerichteten künstlerischen Einsatz festmachen lässt.
Poul Gernes Malereien strotzen vor strahlenden Farben, die in verschiedenen Kombinationen in einem simplen Formvokabular aus Streifen und konzentrischen Kreisen variiert werden - ein buntes, abstrakt-geometrisches Treiben, das systematischen Farbanordnungen folgt. Zwischen Popästhetik - so ist der Vergleich mit den "Targets" von Jasper Johns recht naheliegend - und minimalistischer Formstrenge changierend, verweigert sich sein Werk einer offensichtlichen künstlerischen Signatur und verpflichtet sich dem Ansatz einer entsubjektivierten, an industrielle Fertigungen angelehnte Formsprache, die allerdings handschriftliche Spuren aufweist. Zwar lässt sich die Malerei als Gernes bevorzugtes Medium anführen, doch tritt diese immer wieder in einem erweiterten Format in Erscheinung. So benutzte er Bildträger, die beidseitig bemalt als Schilder in der Landschaft stehen, entwarf Fahnen, bearbeitete Stoffe mit malerischen Verfahren und entzog sich dem "klassischen" Bildermachen und -ausstellen durch einen Einsatz der Bilder als architektonische Elemente oder installierte diese auf eine Weise, in der das Unikat im Zusammenhang mit vielen ähnlichen anderen in Erscheinung trat und somit deren einzigartiger Status ins Wanken gebracht wurde. Die endgültige Abwendung vom Bildformat Anfang der siebziger Jahre muss ein schöner Moment gewesen sein - die Farbsysteme konnten sich nun erst richtig entfalten, zum Beispiel schmückte Gernes in einem Mammutprojekt ein ganzes Krankenhaus farblich aus und verlagerte so seinen Produktionskontext auf konkret sozialgesellschaftliche Räume, womit er seine Untersuchung über den "Einfluss der Farben auf uns Menschen im psychologischen Bereich", wie er es selbst einmal formulierte, ebenso wie die Idee von einer Gemeinschaft stiftenden Gestaltung von Lebensräumen vorantreiben konnte.
Die Ausstellung von Gernes bei Ben Kaufmann zeigt eher die Randerscheinung dieses ohnehin recht unbekannten Werkes. Zwei großformatige Lackbilder, auf denen geometrische Symbole leicht verrückt wirkend angeordnet sind, eignen sich noch am ehesten zur Wiedererkennung. Der Mittelpunkt der Ausstellung aber, zwei Serien schwarz/weißer Fotografien, die 1967 entstanden, wirken zunächst seltsam untypisch. Abgebildet sind weibliche und männliche Hinterteile und Oberschenkel, die auf einer Glasplatte sitzend aus der Untersicht aufgenommen wurden, so dass sie von weitem betrachtet eine abstrakte, rechteckige, oben abgerundete Form bilden. Der konkrete, figürliche Gegenstand, (der zudem ein zu dieser Zeit recht riskanter war, weil er mit verbotenen pornographischen Inhalten assoziiert werden konnte), das Medium der Fotografie, die ihren eigenen Produktionsprozess ausstellt (auf den Abzügen sind zum Beispiel die Halterungen zu sehen, mit denen das Papier bei der Belichtung befestigt war), die schräg geschnittenen Kanten des Fotopapiers und ihr Aufzug auf Pappe, sprechen von einem offensichtlicheren künstlerischen Ausdruck als die anonymisierten Farbtafeln. Gemeinsam sind ihnen das quadratische Bildformat und das Prinzip der Serie. Die Bilder wirken wie eine Erweiterung der malerisch-abstrakten Formstudien auf das Medium der Fotografie und den biologischen Körper, und lassen zudem Rückschlüsse auf die Einflüsse der Performance und Happening-Kunst zu, die zu Beginn der sechziger Jahre in Kopenhagen traditionelle Kunstbegriffe herausforderte. Losgelöst von den bisherigen Präsentationen forciert diese Ausstellung eine Weiterentdeckung Gernes, und lässt ahnen, dass sich sein Projekt weder für die programmatische Zuordnung zu einer bestimmten Richtung eignet, noch dass dessen Ausmaß bisher hinreichend erfasst worden wäre.
Poul Gernes, "Behind" Galerie Ben Kaufmann, Berlin Brunnenstraße 10, 8.6.?31.7.07