Wo ich war

2014:Jul // Esther Ernst

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07-2014














MICHAELIS REBECCA 2. März 2014
Folgendes
KunstHalle Deutsche Bank, Berlin

+ Rebecca hat bei der grusligen Macht Kunst Ausstellung den Jurypreis und somit eine Ausstellung im Projektraum gewonnen. Und die ist wiederum sehr schön geworden: Eine blaue Wandmalerei aus sich überschneidenden Ellipsenstreifen bildet ein Op-Art-Muster und zieht sich über den Treppenaufgang in den kleinen Raum hinein. So akkurat und beeindruckend die Wandarbeit hergestellt ist, so kindlich krakelig (wohl auch den Wachsstiften geschuldet) ist die gerahmte Zeichnung mit den verschachtelten Kreisen an der Wand gegenüber. Und zwischen Zeichnung und Wandarbeit hängt ein Mobilé aus Ringen von der Decke. Konzentriert und mit wenig Mitteln schafft Rebecca einen Spannungsbogen zwischen den drei Arbeiten, die so verschieden je für sich alleine stehen und erstaunlich harmonisch zusammenpassen. Das muss wohl an einem ganz tiefen Interesse an Form und Materialität liegen. Denn da mitten drin zu stehen und von rechts nach links zu gucken, macht echt Laune. Vielen Dank auch.


ECHTE GEFÜHLE: DENKEN IM FILM 17. März 2014
KW, Berlin

+ ich hab in einer Stunde nur zwei Arbeiten geschafft zu sichten. Aber toll diese Fülle und das Filmarchiv und überfordernd natürlich auch (man müsste in die KW einziehen).
Jankowskis Casting Jesus von 2011 hat es mir angetan: Während er in Rom Interviews mit Filmfans aus Cinecitta führte, kam ihm aus einem Studio Jesus entgegen gelaufen (logo, wahrscheinlich werden in Rom am Laufmeter Jesusfilme gedreht.) Jankowski organisiert daraufhin eine Castinshow (hat er das Setting produziert oder sich an ein bestehendes dran gehängt?), bei welcher der beste Film-Jesus gekürt wird. In der Jury sitzen Vatikanspezialisten und Priester. Auf Jankowskis Doppelprojektion sieht man rechts die Jury wie sie Prüfungsaufgaben verteilt, Bewerber bewertet und bestaunt, wie sie raunen, lächeln und hauptsächlich konzentriert schauen. Während links diverse Jesuse sich theatralisch um die Wurst gestikulieren. Diese ruhigen Bilder sind eine schleichende Explosion. Freude pur!


BEER DE SUE 17. März 2014
Making Out with Myself
Kunst-Werke, Berlin

+ Sue de Beers Videoarbeit habe ich in der Gruppen-ausstellung Echte Gefühle: Denken im Film entdeckt und sofort an Alexandra Meyer gedacht. Beide Video-arbeiten bestehen aus einer dreidimensionalen Büste der Künstlerin, denen sie jeweils gegenüber stehen. Alexandra Meyer hat sich aus Schokolade abgiessen lassen, beginnt diese abzuschlecken, später anzuknabbern, liebkost und küsst sich sozusagen selbst. Langsam verschmiert und bröckelt die Büste, währen Meyer durch das Schmusen mehr und mehr Schokolade im Gesicht kleben hat. Sue de Beer küsst ihren Abguss leidenschaftlich. Luzia Hürzeler hat 2006 eine Büste von sich aus Katzenfutter angefertigt und ihrer hungrigen Katze vorgesetzt und den Essensprozess auf Video festgehalten. Alle drei Videos haben auf mich eine fesselnde Wirkung, sind zärtlich, kannibalistisch, widerlich und schön. Zerstörerisch und selbstverliebt. Herrlich!


ZUR LAGE DER BILDENDEN KUNST IN BERLIN 3. April 2014
Ausstellung der Senatsstipendiaten
Neuer Berliner Kunstverein, Berlin

+ warum gehst Du zu solchen Veranstaltungen fragt mich Jörg (und ich mich selbst)? Meistens diskutieren die Gäste (diesmal Axel Haubrok, Ingrid Wagner, Corinne Wasmuht und Catherina Mertens) eher verzettelt und zerstreut. Und auch im Publikum gibt’s immer ein paar Brüller, Selbstdarsteller und Kluge. Dennoch bildet sich einen Konsens: Ateliermieten dürfen nicht explodieren und die Ateliers nicht der Gentrifi-zierung zum Opfer fallen. Ausstellungshäuser brauchen einen grösseren Etat, müssen neben Produktionskosten selbstverständlich Künstlerhonorare zahlen, es muss breiter gesammelt und gefördert werden (wie z.B. das Frac-System in Frankreich, oder die Kantonsankäufe in der Schweiz), die City Tax muss weiter bedacht werden usw.. Dies sind keine neuen Forderungen und sie dürfen niemals gegeneinander ausgespielt werden, denn es geht nicht um ein Stück vom Kuchen, es geht um die ganze Bäckerei! Eine Podiumsdiskussion lebt von ihren Zuhörern und ich finde es beruhigend, dass halb Berlin dahin rennt, sich kümmert und nicht aufgibt.


FASSLER LARISSA 2 / 27. Mai 2014
CIRCLING THE VOID
September, Berlin

+ Larissa hat sich einem weiteren Berliner Problem-feld gewidmet, der Baustelle für das bekloppte Stadtschloss nämlich. Dort notierte und verzeichnete sie monatelang, wie der Ort die Menschen beeinflusst und umgekehrt. Sie beobachtete die Fotogewohnheiten der Touristen, das Verhalten der Krähen während des Ein-dunkelns, vermerkt Bierbike, Hütchenspieler oder Polizeieinsätze, sowie die künstlichen Lichtverhältnisse und die Wege der Passanten. Sie misst den Ort nach wie vor mit ihrer Schrittlänge und fotografiert Kleber, Werbung und Poster. Ihre Observationen überlagert sie in grossformatigen Planzeichnungen, die immer vom gleichen Grundriss ausgehen. Die dazugehörigen Legenden findet man im Galeriezettel – so bleibt das Verhältnis von Zeichnung und Diagrammen und Karte schwebend. Überhaupt sehen wir hier ausschliesslich fein säuberlich geschichtete Ergebnisse tausender Skizzenblätter. Und dieses würde ich gern in all ihrer Rohheit dazu ausgestellt sehen.


IANNONE DOROTHY 25. Mai 2014
THIS SWEETNESS OUTSIDE OF TIME
Berlinische Galerie

+ 1967 bestieg Dorothy Iannone gemeinsam mit Emmett Williams und ihrem Mann James Phineas Upham in NY ein Schiff, um Dieter Roth in Island zu besuchen (Roth und Williams arbeiteten gemeinsam an einem Buch-projekt). Als Dorothy Dieter samt frischen Fisch in Reykjavik am Hafen stehen sah, wusste sie, dass er der Mann ihres Lebens sei und dass sie ihr Leben sofort auf den Kopf stellt. Auf diese Erkenntnis folgen turbulente Tage mit dem ganzen Liebeswahnsinn.
Dotothy Iannone erzählt herzzerreissend, humorvoll und dramatisch von der Trennung und dem Beginn ihrer Liebesbeziehung. Dies tat sie aus der Erinnerung heraus und arbeitete wohl über mehrere Jahre an ihrer Icelandie Saga. Entstanden ist ein detailreicher Reisebericht im tagebuchartigen Stil, wunderschön pathetisch in Schnörkelschrift geschrieben, während comicartige Mädchenzeichnungen den Text durchsetzen und aufladen. Alles in schwarz-weiss und nüchtern präsentiert. Fantastisch.


RHEE KATE HERS 25. Mai 2014
IBB-Videolounge, Berlinische Galerie

+ nur mal so reingeschaut in die Blackbox und eigentlich schon vollkommen abgefüllt von der Iannone, aber dann konnte ich mich nicht losreissen, weil die so einladend erzählt, wie sie die Welt erfährt. Und sofort ist klar, hier geht’s um Wahrnehmung und Sprache und Sprachprobleme. Um Identität und kulturelle Differenzen und wie die sich ergreiffend einfach in der Sprache zeigen und ablesen lassen. Toll, toll, toll, wenn man es schafft, das Innenleben nach aussen zu stülpen und sichtbar zu machen. Kate Hers Rhee inszeniert simple Videosettings und setzt sich darin bestimmten Selbstversuchen aus. In Das deutschsprachliche Projekt redet, schreibt, liest und spricht die gebürtige Koreanerin, die in Amerika aufwuchs, drei Monate lang ausschliesslich deutsch und dokumentiert ihre Sprach-Frustrationen in einem Videotagebuch.


8. Berlin Biennale 28. Mai 2014
Haus am Waldsee, Berlin

+ darüber denk ich ganz oft nach: wenn man künstlerische Recherchearbeiten ausstellt, oder Referenz-Kunst macht, dass sich die Frage immer wieder stellt, wie man dem Betrachter den Zugang zur Arbeit ermöglicht. Wie der Künstler mit dem Wissensvorsprung umgeht und wie er den Betrachter einlädt. Und je weniger der sein Gegenüber einbindet, desto ratloser und lustloser verhält sich dieser, auch wenn er sich zu Beginn um Einlassung bemüht. Und genau dieses Phänomen habe ich im Haus am Waldsee beobachtet, erst an mir selbst und dann – weil ich mich ewig neben der Kasse mit Anja unterhielt - auch bei Anderen: Menschen suchen im Katalog nach Zusammenhängen, um verstehen zu können, was da einer macht und warum er sich damit beschäftigt. Und dann ärgert es mich ein wenig, dass ich trotz Kurzführer auch nicht schlauer werde und nicht weiss, was zum Beispiel Mathieu Kleyebe Abonnenc’s Heliogravüren mit den Fliegen auf den Vitrinen und so was alles zu tun haben.

OSTERMEIER THOMAS 29. Mai 2014
Tod in Venedig/Totenlieder (nach T. Mann und G. Mahler)
Schaubühne, Berlin

+ Wir gehen da natürlich wegen Bierbichler hin, ist doch klar. Und der singt ja auch umwerfend und mit zittrig hoher Stimme: Ich bin der Welt abhanden gekommen. Und dann stirbt er und dann regnet es Asche vom Bühnenhimmel und dazu verrenken sich drei nackte Tänzerinnen mit Haaren bis zum Arsch (und sicher, die ewig wiederkehrenden Männerphantasien alter Regisseuren sind oll), aber toll ist doch der Wechsel zwischen Hörspiel und Schauspiel von Film und Bühne. Dass da einer in der Dolmetscherkabine sitzt und schlicht Textfragmente liest, während auf der Bühne kaum gesprochen wird und feine Gesten, Blicke und Slow-Motion-Bewegungen per Kamera auf Leinwand übertragen werden. Und dass ein Musiker am Flügel nicht Mahlers 5. Symphonie verbrät, sondern seine Lieder und dazwischen Improvisationen mit live-Elektronik auf die Ohren donnert. Das ist doch alles total schön anzuschauen, da schenk ich dem Ostermeier gern die Haarfrauen und sogar die gespielte Schauspielunterbrechung.
Rebecca Michaelis (© Foto: Esther Ernst)
Echte Gefühle (© Foto: Esther Ernst)
Sue de Beer (© Foto: Esther Ernst)
nbk (© Foto: Esther Ernst)
Larissa Fassler (© Foto: Esther Ernst)
Dorothy Iannone (© Foto: Esther Ernst)
Kate Hers Rhee (© Foto: Esther Ernst)
8. Berlin Biennale (© Foto: Esther Ernst)
Thomas Ostermeier (© Foto: Esther Ernst)
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