Onkomoderne

Miteinander reden

2012:Apr // Christina Zück

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04-2012
















A. kommt in den Raum rein – weiß, mit bläulich-neutralen Neonröhren ausgeleuchtet, ein paar Malereien hängen an der Wand, Szenen aus Horrorfilmen, der Romantik oder Wiederholungen anderer Zeichensysteme, stehen da ein paar Leute rum. A. kennt die meisten. Jetzt beginnt die Arbeit, ja, Netzwerken, die Libido in den Raum reinschmeißen, sie wie ein Lasso herumschwingen, etwas investieren. A. muss sich jetzt zu irgendwelchen Leuten – den netten am liebsten – dazustellen und etwas sagen: was sie so findet, wie irgendetwas aussieht, was sie zuletzt in Kuala Lumpur gesehen hat, was B. jetzt für neue Arbeiten macht. Natürlich auch etwas über ihre eigenen höchst faszinierenden und erfolgreichen Projekte. In A.s Seele ist ein Loch. Es ist so groß wie der Indische Ozean, und es braucht dringend ein paar somalische Piratenschiffe, die die geregelten Handelswege durchkreuzen. Leidet sie unter einer sozialen Phobie? Muss sie an sich arbeiten? Hat sie sich ihre Realität selbst geschaffen? Stimmt etwas nicht mit ihrer Wahrnehmung? Die Leute wirken wie von einem Gel, das klebrige Fäden zieht, umgeben: das elende Sozialgel, Blocker aller luftigen und leichten Aggregatzustände. Jetzt zu sagen, die hier ausgestellten Arbeiten fände sie einer so langen Auseinandersetzung des Künstlers in diesem Berufsfeld unangemessen, wäre ja so negativ und würde sofort mit sozialer Ächtung und dem Entzug der Lebensgrundlage – gelegentlicher, mit um die 300 Euro vergüteter Projekte – geahndet.
A. sieht weiter hinten im Raum C. herumstehen. Vor ein paar Monaten sind ihnen lose Affekte um die Ohren geflogen, und jetzt redet C. nicht mehr mit A. Da beide nicht in der Lage sind, ein gewaltfreies Mediationsgespräch zu führen, wird es wahrscheinlich an die zehn Jahre dauern, bis sie sich nach dem bösen Kontrollverlust wieder in die Augen sehen können. A. strengt sich an, durch C. hindurchzuschauen, als gäbe es ihn nicht mehr. Es gibt ihn nicht mehr. In der Menge trifft sie zum Glück D. Er erzählt, dass er im Juni an einer internationalen Großausstellung teilnehmen wird, und seitdem mit etwa zehn verschiedenen Assistentinnen – overworked, underpaid, desorientiert – endlose Verhandlungen per Email führt. Es gibt kein Ausstellungshonorar. Er fühlt sich wie in einem Bootcamp angekommen. Er sagt: „Anywhere you get to nowadays is a complete nightmare.“ Nicht einmal, wenn man es geschafft hat, gibt es einen Moment der Freude zu genießen.
So wie A.s Subjektivität zur Zeit formatiert und serialisiert ist, entstehen bei den enormen Datenmengen, die auf sie eintreffen, Verwerfungen und Verknotungen, Risse, Stromschnellen, die schwer zu überbrücken sind. Die Anforderungen und Regeln, wie man sich zueinander verhalten soll, werden immer widersprüchlicher. Vor Kurzem wurde diese Entwicklung in den Feuilletons durch den Begriff awkwardness thematisiert, über den der amerikanische Philosoph Adam Kotsko ein Buch geschrieben hat. Beim Herumeiern im öffentlichen Raum entstehen oft peinliche soziale Unfälle, die entweder in Bestrafung durch  Ausgrenzung oder in Gekicher enden. Man weiss leider nie, wie es dabei für einen ausgeht. Bildende Kunst hingegen inszeniert nur zu gerne soziale und ästhetische Peinlichkeiten, um die absurden gesellschaftlichen Regeln umzustoßen. Im Raum der Betrachter und Gäste ist awkwardness jedoch völlig tabu. Dort sammeln sich die höflichen Pokerfaces. Die Kunstwelt hat nämlich bereitwillig von der Wirtschaft die allerübelsten Regeln der Spekulation übernommen – und es geht um materiellen Gewinn. A. hat sich früher in der Kunstakademie die Kunst als eine kuschelige und befreite experimentelle Lebenszone vorgestellt. Leider ist hier nichts mehr liebevoll und lustig.
A. schlendert weiter durch die Menge und schaut lächelnd ein paar bekannte Gesichter an, kaum einer grüßt zurück. Wahrscheinlich merkt man ihr an, dass sie heute nicht gut drauf ist, ihre Spiegelneuronen senden vermutlich Schwäche-Botschaften aus. Über das Phänomen „Wer grüßt wen“ hat sie oft mit ihrer Freundin E. gesprochen. E. sagt, wenn du nicht gegrüßt wirst, bedeutet es, dass dein Ansehen im Moment ziemlich gering ist. Das ist nicht kalt oder brutal gemeint – die Leute haben viel zu tun, und da fällt auch viel durch. Das darf man sich erst gar nicht zu Herzen nehmen, sondern da muss man einfach weitermachen, nächstes mal, wenn du wieder punkten kannst, werten sie dich wieder auf. Ist alles im Fluss. E. meint, A. sollte zur Übung auch mal nicht grüßen. Sie sei zu nett und nicht professionell genug. Wichtig in der Kunst seien einzig die sozialen Skills.
An der Bar trifft A. später den indischen Kulturwissenschaftler F. Ihm ist aufgefallen, wie undurchschaubar und wirkmächtig die Hierarchien im deutschen Kulturbetrieb sind, man brauche Jahre, um da durchzusteigen. Er ist entsetzt über den Stillstand in der von außen so bewunderten Kreativmetropole Berlin. Ja, entgegnet A. müde, Körperpanzer halten sich an Bierflaschen fest und haben Angst.
A. fühlt sich in letzter Zeit öfters erschöpft. Nein, es ist kein Burnout, eher ein Burndown. Alle Energie zum Investieren hat sich in ihrem Inneren zu einem Strohknäuel verwurstelt, und es tun sich die besagten schwarzen Löcher auf unter gleichzeitiger Dauerbefeuerung von allem – wuchernde Kunst, blinkendes Internet, superinteressante Kontakte – aber wie Ihr bereits wisst: es führt alles zu nichts. Egal, wie sehr man sich bemüht, es gibt nie genug Geld, Essen, Öl, Liebe. Zuviele Menschen auf der Welt, zuwenig Ressourcen, es muss ausgesiebt werden, und nur die Harten kommen in den Garten. Es packt einen der kalte Schwindel und man schwingt immer so zwischen Libido high und Toner low hin und her, nicht nur die Existenz wird einem als Kampf dargeboten, hat sich herausgestellt, sondern auch die Abwehr des vorherrschenden, enggeführten Denkschwachsinns. Und nun muss man als Künstlerin auch noch einen Weg in eine lebenswerte, warmherzige Zukunft aufzeigen. A poisoned milieu must be reclaimed. Die kognitive Leistung, die jetzt aufzubringen ist, um das alles zusammenzuhalten, pustet Dich hoffentlich ordentlich aus den Latschen. Da musst du mal richtig hart sein und Schwäche zeigen.    

„Silent Party“ von Marina Abramovic in den KW am 11.02.2012 nach der Berlinale-Premiere des Dokumentarfilms „Marina Abramovic. The Artist Is Present“. Die Besucher bekamen Laborkittel und Kopfhörer verteilt und waren angehalten, während des Sektempfangs zu schweigen.
Marina Abramović „Silent Party“, 2012, Courtesy KW, Berlin (© Christina Zück)
Marina Abramović „Silent Party“, 2012, Courtesy KW, Berlin (© Christina Zück)
Marina Abramović „Silent Party“, 2012, Courtesy KW, Berlin (© Christina Zück)
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