Super! Es ist aufgeräumt worden im Hamburger Bahnhof – dem Museum für Gegenwartskunst in Berlin und die Kunst sieht ganz frisch aus. Während sich im Luxuskaufhaus KaDeWe die Verzweiflung der Mitarbeiter ob der Insolvenz und der völlig unklaren Perspektiven wie eine trübe und lähmende Stimmung ausbreitet und sich als Grauschleier auf die Waren und Präsentationstische niederzuschlagen scheint, herrscht im Hamburger Bahnhof eine Stimmung der Frische, wie nach einem kurzen Sommerregen. Was ist passiert? Der neue Direktor Udo Kittelmann schlägt auf der Pressekonferenz einen betont forschen Ton an, gibt den fröhlichen Diktator – „Sie folgen mir jetzt und verlassen nicht die Gruppe“ – und macht witzige Bemerkungen über die Kunst und die neue Sammlungspräsentation. Er scheint uns sagen zu wollen, dass wir lernen sollen zu begreifen, dass Spaß sein muss und dass Spiel und Witz nun wieder als Kernbereiche zur zeitgenössischen Kunst gehören.
Die Beschwörung des Spielerischen, die Udo Kittelmann bei seiner Führung der Presse durch den Hamburger Bahnhof aufführt, wird durch unangenehme Zwischentöne irritiert. Auf Grund ihrer hohen Redundanz kippt sie häufig ins Marktschreierische und gelegentlich dringt eine Aversion darin durch, die so ähnlich klingt, wie damals als Peter Sloterdijk verkündete, dass es jetzt mit der lästigen und anstrengenden Dialektik ein Ende habe. Auch in der Neuinszenierung der Museumsbestände vermittelt Kittelmann sehr deutlich, dass Kunst mit einer lustigen und frischen Hand präsentiert werden soll. Es geht ihm offenkundig nicht um tiefgründelnde Konzepte und philosophische Verklausulierungen, sondern es geht ihm um das direkt Sichtbare. Aber die Bildende Kunst hat sich davon weitgehend entfernt und verabschiedet. Denn die Ansicht, also das, was wir unmittelbar sehen, gibt nicht den „Kausalnexus“ der komplexen modernen Wirklichkeit wieder. Berthold Brecht hatte das schon in den 1920er Jahren festgestellt.
Kittelmann möchte mit der Ausstellung darüber hinaus zeigen, dass die Sammlungen des Hamburger Bahnhofs sehenswert sind. Die meisten der jetzt in der Ausstellung präsentierten Werke sind zwar schon seit längerem zu sehen, aber anscheinend ist es bisher nicht richtig aufgefallen, welche bedeutenden Werte die Sammlungen bergen. Der Neupräsentation wird von der Kritik fast einstimmig attestiert, den Durchbruch geschafft zu haben. Die Präsentation wird gelobt, weil sie „jenseits kunsthistorischer Pfade“ die Sammlung mit „frischem Blick“ aufbereitet habe. War es wirklich das, was die Kritik wollte?
Kittelmann greift die bisherige Pressekritik an der Ausstellungpolitik des Museums scheinbar auf. Mit seiner Behauptung, die Schätze der Sammlungen seien bisher nicht richtig sichtbar und bemerkbar gewesen, versucht er jedoch die Stoßrichtung der Kritik, das Museum sei kein Trendsetter und verschlafe wichtige Dinge des Kunstbetriebs, umzubiegen zu einer Frage der richtigen Präsentation. Was also veranstaltet die Neuinszenierung mit den vertrauten Werken der Sammlung des Hamburger Bahnhofs? An manchen Stellen schäumt es mächtig, wird viel Bedeutung aufgewirbelt. Wenn beispielsweise Werke von Cy Twombly aus dem Bestand der Sammlung Marx mit Gipsabgüssen von Michelangelo kombiniert werden, wird eine historische Kontextualisierung ausformuliert und ausprobiert, die Twombly selbst gerne für seine Arbeiten in Anspruch nimmt. Solche Bezüge zu kunsthistorischen Vorbildern oder auf thematische Konstellationen geraten an manchen Stellen zu einem harten, aber nachvollziehbaren Test für das Einzelwerk. Aber in den meisten Abschnitten der Ausstellung wird pur assoziativ inszeniert. Als Auftakt in den Rieck-Hallen steht „Un jardin d’hiver“ von Marcel Broodthaers aus dem Bestand der Flick Collection. Eine wunderbare Arbeit, die das museale Sammeln, seine Konventionen, Regeln und besonders die Lust des Bürgertums am Kulturbesitz spöttisch seziert und in der deshalb viele Palmen als Beispiel für das bürgerliche Dekorationsbedürfnis stehen. Diese Arbeit interpretiert Kittelmann überraschenderweise vom Begriff aus. Er geht vom Titel „Wintergarten“ und von den Palmen aus und ordnet deshalb das Werk den Begriffen „Pflanzen“ und „Garten“ zu. Von hier aus schlägt er wohlgemut die Brücke zu einer Installation von Dieter Roth. Roth hat seine das Wachsen, Leben und Sterben umfassende große, gleichsam existentialistische Installation mit fluxuriöser Lust „Gartenskulptur“ genannt. Das ist für Kittelmann Grund genug für die Verknüpfung. Um die Atmosphäre des Gartens als einen leitmotivischen Strang durch die Rieck-Hallen zu ziehen, hat er eine Wand der Lagerhalle herausnehmen, eine Glasscheibe einsetzen lassen und den Blick hinaus auf den hinter den Hallen seit Auszug der Speditionsfirmen wuchernden Wildwuchs der Stadtvegetation geöffnet. Man kann denken: Das ist witzig, mit dem frischen Blick des Neu-Berliners, diese Brache zu entdecken und gleich mal in die Kunst einzubeziehen. Das kuratorische Selbstverständnis des neuen Direktors scheint jedenfalls so zu funktionieren.
Natürlich will er beweisen, dass die Sammlungsbestände des Hamburger Bahnhofs nicht so schlecht und so langweilig sind, wie ihr angeblicher Ruf. Dass die Presse die bisherige Ausstellungspolitik des Hamburger Bahnhofs ständig madig gemacht hat, hat wahrscheinlich dazu geführt, dass die Berufungskommission bei ihrer Suche nach einem neuen Direktor in Nachfolge für Peter-Klaus Schuster aus bisher noch unerfindlichen Gründen es gewagt hat, den ersten Nicht-Kunsthistoriker in der Geschichte der „Staatlichen Museen zu Berlin/ Stiftung Preußischer Kulturbesitz“ auf diesen Posten zu berufen und einen Macher zu küren, der durch Aufmerksamkeit heischende, spektakuläre Ausstellungsideen aufgefallen war. So steht Udo Kittelmann nun unter dem hohen Druck zu beweisen, dass die Kunst „super“ ist.
Die von Feuilleton und Kommission gelegte Messlatte liegt hoch: Er soll der Retter aus der Not sein. Aber welcher Not eigentlich? Immerhin war der Hamburger Bahnhof in den letzten Jahren besser und besser besucht worden. Die Not liegt vielleicht eher darin, dass die Übersicht über die zeitgenössische Kunst jedem, dem Fachmann, dem Connaisseur und dem Laien schwerfällt, und dass Kunst vielfach als unverständlich erscheint. Udo Kittelmann geht hier forsch ans Werk. Er versucht zu vermitteln, dass die Kunst viel leichter zu verstehen ist, wenn die Werke anders, schicker und schlagkräftiger aufgereiht, kombiniert und präsentiert werden. Eine „Super“-Inszenierung mit Spiel und Witz ist schon mal die halbe Miete. Denn inszeniert man das Werk, interpretiert man auch irgendwie das Werk.
Kittelmann bedient sich auch der Methodik, nach Ähnlichkeiten Ausschau zu halten und danach zu sortieren. So wird zum Beispiel ein großes Werkensemble von Richard Artschwager zusammengestellt mit Arbeiten von Donald Judd. Diese Inszenierung von Arbeiten basiert auf äußere Ähnlichkeit. Die Werke, die in ihren skulpturalen Ansätzen jedoch höchst verschieden sind, werden in eine einfache Sichtbarkeit von Kisten und Kasten eingerührt. Obendrein wird eine Paraphrase von Rodney Graham auf Judd’sche Wandarbeiten als witzige Pointe dazu gegeben. In der als „Modellversuch“ betitelten Abteilung der Ausstellung wird Gerd Rohlings großes Werkensemble „Die Kollektion“, das dem Alltagsmüll halbverrotteter Plastikbehältnisse die überraschende Illusion und den Zauber antiker Anmutung entlockt, in Zusammenhang gebracht mit den naturkundlichen Modellen, die Alfred Keller Anfang der 1930er Jahre für das Museum für Naturkunde in Berlin entwickelte. Hier werden quasi Birnen mit Äpfeln verglichen. So inszeniert Kittelmann in vielen Kombinationen und Konstellationen. Spielerisch und vielleicht neu-museal gedacht, aber meist bedenkenlos über das Werk hinweggehend. Die Inszenierung mag die gewünschte Interpretation dem Betrachter mit dem Holzhammer verabreichen oder mit einem Silberlöffel einflößen. Eine Fütterung der Kunsthungrigen mag damit gelingen, aber offen bleibt, ob sich dabei geistige Sättigung und Erkenntnisgewinn einstellen.
Die Kunst ist super! Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin Invalidenstraße 50–51 10557 Berlin 05.09.09–14.02.10