Interview mit Alexander Koch und Nikolaus Oberhuber von KOW
Am Abend des 4.9.2009 brach eine Flut von Schaulustigen über die Brunnenstraße herein. Ein Kunstherbstauftakt, der für viele noch im Hamburger Bahnhof enden sollte. Kunst ist super. Die Strahlkraft des an diesem Abend eröffneten Gebäudes der drei Galeristen von KOW (Koch Oberhuber Wolff) war jedoch schwer zu überbieten. Der durchgestaltete Bau Arno Brandlhubers sowie die ausgestellte Künstlergruppe um Ramon Haze, die ich noch aus Leipzig kannte, drängten mich zu diesem Interview mit den Machern.
Bereits seit diesem Februar zeigten sie in ihrem jetzigen Lager, einem Keller im Hinterhaus der Nummer 9, die ersten programmatischen Ausstellungsprojekte, die ‚KOW-Issues‘. Den Auftakt bildete Issue 1 mit Franz Erhard Walther (Jg. 1939), die Eröffnung am 04.09.2009 ging mit Issue 6 einher.
Wayra Schübel / Was stelle ich mir unter dem thematischen Arbeiten mit den ‚Issues‘ genau vor?
Nikolaus Oberhuber / Es geht nicht mehr nur um das Aufgreifen eines Themas, sondern darum dieses anhand einer künstlerischen Position zu diskutieren. Das Interesse an dieser Ausstellungsserie ist die Verbindung von Fragen der Kunst mit realgesellschaftlichen Fragen.
Alexander Koch / Das Format der KOW-Issues ist eines, das Nikolaus und ich entwickelt haben, um ein sehr schnelles Projektformat zu haben. Seien es Künstler oder andere: Mit uns gemeinsam eine gesellschaftliche Problematik, die sie selber in ihrem künstlerischen Werk interessiert, einmal explizit zu machen.
Schübel / Beispiel?
Koch / Zum Beispiel werden wir künftig eng mit Franz Erhard Walther zusammenarbeiten, dessen skulpturaler Ansatz die Handlung des Publikums sehr stark betrifft. Die Frage nach dem Handeln ist auch eine nach dem gemeinsam Handeln, der Partizipation. Was ist eigentlich das Partizipationsangebot, das Walther in den 1960er Jahren gemacht hat und inwiefern ist es noch heute gültig
Oberhuber / Oder was ist davon noch übrig geblieben
Schübel / Ihr seid hier umgeben von noch aktiven Hausbesetzer-Projekten. Daneben weist die Brunnenstraße eine hohe Dichte von ehemaligen Projektgalerien auf, teilweise mit starken Leipziger Schwerpunkt
Oberhuber / Wir sind auch und vor allem hierher gekommen, weil wir in die glückliche Lage geraten sind, in dieses neue Gebäude einziehen zu können.
Koch / Das lag tatsächlich zufällig in der Brunnenstraße. Dass wir hier sind, gefällt uns sehr gut: Der sozial sehr durchmischte Park, die besetzten Häuser, die ersten schicken Läden, die beginnende Gentrifizierung.
Schübel / Das Gebäude ist in der Tat beeindruckend.
Koch / Brandlhuber ist Bauherr und Architekt. Das Gebäude steht auf einer Investitionsruine der frühen 1990er Jahre, die das Untergeschoss des Gebäudes ausmacht. Er hat den alten Grundriss nach oben ‚weitergebaut‘. Als das Gebäude in Planung war, hat er uns eingeladen in dieses künftige Gebäude einzuziehen.
Oberhuber / Sowie uns hier auch einzumieten.
Koch / Die Galerieräume sind so entstanden, dass auch die Künstler mit denen wir arbeiten werden, eingeladen wurden, daran mitzudenken und verschiedene, programmatische Gesten, wie die Öffnung der Fassade, mit zu entwickeln. Oben gibt es einen Empfangsbereich mit einer kleinen Bibliothek, einer kleinen Leseinsel, so dass man sich auch noch mal in der Lektüre mit den Themen, den einzelnen Positionen beschäftigen kann. Und die Idee, sich an eine Öffentlichkeit zu wenden und ihr etwas zu geben, mit dem sie sich auch beschäftigen kann, braucht natürlich auch ganz konkrete Raumkonzepte.
Schübel / Was hat es mit dem wuchtigen Überbegriff „Antirepresentationalism“ auf sich?
Koch / Der Begriff geht auf die Frage des amerikanischen Philosophen Richard Rorty zurück, ob unsere Repräsentationen der Wirklichkeit (also Bilder, sprachliche Beschreibungen) auch auf die Wirklichkeit passen. Das, was wir verhandeln können sind Bilder, Worte und Überzeugungen dessen, was wir für wirklich oder wahr halten. Welche Konsequenzen das für unsere Vorstellung hat, was zum Beispiel eine Nation oder was die Gegenwart ist. Oder welche Chance uns für die Zukunft bleiben – all dies ist viel relevanter als die Frage, ob unser Bild von der Wirklichkeit eigentlich das Richtige ist. Es gibt immer nur verschiedene Perspektiven, verschiedene Standpunkte.
Schübel / Erinnert mich an Ramon Haze.
Koch / Wir versuchen einen Blick auf das zweite Nachwendejahrzehnt zu werfen und diejenige Kunst aus Leipzig, die den gesellschaftlichen Wandlungsprozess reflektiert, thematisiert und politisiert, aufzugreifen. Ramon Haze gehört als eine der wichtigsten künstlerischen Gruppierungen unbedingt zu dieser Zeit, sie waren damals ganz zentral für die Diskussion in Leipzig. Aber manches, was zu einer bestimmten Zeit zentral war, ist heute nicht mehr im Bewusstsein von Jedermann und wird nicht unbedingt mit Leipzig in Verbindung gebracht.
Schübel / Astrid Klein scheint euch drei Galeriemachern ein gemeinsamer, verbindender Nenner zu sein.
Koch / Die Rolle Astrid Kleins für die Entwicklung der Kunst in Leipzig muss man komplexer sehen. Eine konzeptionelle Kunstpraxis gab es Mitte der 1990er Jahre in Leipzig so gut wie nicht. Aus einem sehr stark politisierten Konzeptkunstumfeld der 1970er Jahre kommend, hat sie dieses gesellschaftliche künstlerische Denken sehr stark nach Leipzig in die jüngste Generation der 1990er Jahre getragen.
Oberhuber / Da darf man Timm Rautert für die Fotografie nicht vergessen. Joachim Brohm …
Koch / … welche die stark international, westlich geprägten fotografischen Ansätze, erstmals nach Leipzig getragen haben. All das hat, zu einer gewissen Neuorientierung der Kunst in Leipzig geführt. Das findet zur gleichen Zeit statt, indem die gesellschaftliche Veränderung nach dem Mauerfall, der Wiedervereinigung sich ohnehin vollziehen, d.h. es gibt mehrere Transformationsprozesse, die gleichzeitig in Leipzig stattfinden. Wir finden, dass es eine formidable Gelegenheit ist, die künstlerischen Transformationen, die sich da vollziehen mit gesellschaftlichen Transformationsfragen zu verbinden: Wie zeigt sich eigentlich das ganze Problem im zweiten Nachwendejahrzehnt, nachdem die ersten Euphorien abgeklungen sind?
Schübel / Wie ist das, wenn man aus Westfalen oder Österreich oder Frankreich kommt, kann man sich dann auch so stark mit diesem Thema identifizieren ?
Oberhuber / Ich bin letztes Jahr nach Berlin gezogen und das war so, dass ich unmittelbar in die Diskussion um dieses Thema hineingeraten bin. Man blickt da vielleicht anders drauf, ist anders beteiligt und verspürt, dass es Probleme gibt, wo es noch nicht zusammengewachsen ist. Das ist noch ganz stark da, auch die Ressentiments der Ex-Westdeutschen gegenüber den Ex-Ostdeutschen.
Koch / Arno Rink hat kürzlich in einem Interview in der New York Times gesagt, dass die Mauer ihr Schlechtes aber auch ihr Gutes hatte. Man merkt, dass es neben einer großen Welle der Solidarisierung, die es vielleicht primär in den frühen 1990er gab, nun auch viele Momente von Entsolidarisierung gibt. Unser dritter Ausstellungsteil, der „Issues of Empathy“ heißt, versucht genau diese Frage zu Solidarisierung und Entsolidarisierung zu stellen.
Schübel / Teil 1 „Politics of Rediscription“, Teil 2 „Trouble with Realism“, Teil 3 “Issues of Empathy“.
Koch / Genau. Der zweite „Trouble With Realism“ möchte die Frage stellen, wie das eigentlich geht: Realistisch sein. Es geht also unter der großen Überschrift des „Antirepresentationalismus“ um unsere Möglichkeiten, uns mit der Wirklichkeit auseinanderzusetzen. Welche sind das? Das zeigt der erste Ausstellungsteil. Der zweite möchte das ganze Realismuskonzept kritisch hinterfragen: Wenn wir meinen zu wissen, welche die richtige und welche die falsche Auffassung von gesellschaftlicher Wirklichkeit ist, doch wir nur unterschiedliche Perspektiven dieser Darstellung haben, was heißt dann eigentlich, sich realistisch auf die Wirklichkeit zu beziehen? Was ist denn dann Realismus? Oder ist nicht das ganze Realismuskonzept hinfällig, und wir haben dann nur unterschiedliche Blickwinkel, die wir dann gegeneinander verhandeln. Deshalb heißt der zweite Teil auch „Trouble With Realism“. Und weist darauf hin, dass diese ganze kritische Bezugnahme von Künstlerinnen und Künstlern gegenüber einer gesellschaftlichen Wirklichkeit oft auch ordentlich ins Schleudern gerät. Und aufgrund dieses Ins- Schleudern-Geraten von Kritikmodellen sagt dann der dritte Ausstellungsteil, „Issues of Empathy“, das was auf jeden Fall immer auch noch als Notwendigkeit und Möglichkeit bleibt: Dass wir unser gemeinschaftliches Zusammenleben organisieren müssen.
Schübel / These, Antithese – Polonaise?
Koch / Auf jeden Fall am Schluss – Perspektive. Ein Plädoyer dafür, dass man in jedem Fall was tun kann, dass auch durchaus Kunst was tun kann: Unter der Überschrift der Empathie ihren Beitrag dazu leisten, dass sich Menschen für die Perspektiven anderer Menschen interessieren.
Schübel / Die Galerie als Bildungsbeauftragter?
Oberhuber / Wir sind der Überzeugung, dass es eben genau diese Leute gibt, die diese Projekte unterstützen möchten. Dass man ihnen ein Podium schaffen muss. Wir gehen da quasi einen Beweis ein. Wir sind der Meinung, dass es solche Förderer gibt, mehr als bislang angenommen. Es werden ihnen einfach noch nicht genügend Möglichkeiten geboten. Der Zwang einer Ökonomie bedeutet zugleich auch eine Freiheit. Natürlich müssen wir eine Ökonomie bauen, aber wir entscheiden dadurch auch, was wir bauen möchten. Das ist natürlich ein Abhängigkeitsverhältnis, gegenüber den Leuten, die das Kapital dazu bereitstellen. Das kann man auch aus verschiedenen Perspektiven sehen.
Koch / Man darf nicht außer Acht lassen, in welchen Abhängigkeitsverhältnissen große Institutionen stehen. Man kann heute nicht mehr ohne weiteres sagen, dass öffentliche Kulturinstitutionen unabhängiger arbeiten als private Galerien das können. Wenn das aber stimmt, dann würden wir von der Hypothese ausgehen, der Kern unseres Projektes, dass man sehr wohl ein gesellschaftlich orientiertes Programm machen kann, vielleicht gerade von einer Galerie aus. In diesem Sinne begreifen wir das, was wir als Galerie tun, sehr stark als Vermittlungsengagement, um auf die gesellschaftliche Implikationen der Kunst stärker hinzuweisen und einer breiteren Öffentlichkeit die Chance zu geben, diese Implikationen auch zu sehen.
Schübel / Warum Berlin?
Oberhuber / Die Galerietätigkeit ist sowieso international. Natürlich hat man einen Standort, aber von dem aus bewegt man sich nach außen. Die hohe Attraktivität Berlins liegt in der Heterogenität. Auch die Nähe zu Künstlern – was ein großes Interesse unseres Projektes ist, so Nahe an der Produktion zu sein.
Koch / Berlin ist ein sehr gut funktionierendes, sehr nützliches Drehkreuz für internationale zeitgenössische Kunst. Nikolaus meinte als er hierher kam: Hier kann man nichts abholen, sondern hier muss man was hinbringen. Hier kann man gar nichts abschöpfen. Es ist eine Stadt, in der man ganz gut was aufbauen kann. Das ist vielleicht eine ganz dankbare Situation
Schübel / Besten Dank Euch. Fürs Gespräch!
KOW Galerie – Alexander Koch, Nikolaus Oberhuber und Jocelyn Wolff. Der dritte Mann ist zum Zeitpunkt der Gesprächsaufzeichnung als Aussteller seiner in Paris ansässigen Galerie Jocelyn Wolff gemeinsam mit der Galerie Nächst St. Stephan auf dem Artforum beschäftigt. Wo er zudem eine beratende Funktion im Auswahlgremium des Sektors ‚fokus‘ erfüllt. Außerdem ist noch ein Stand auf der abc aufzubauen. Nikolaus Oberhuber ist ehemaliger Direktor der Wiener Traditionsgalerie Nächst St. Stephan (2004–2007), die von Rosemarie Schwarzwälder, seiner Mutter, seit Ende der 1970er Jahren geleitet wird – als Nachfolgerin ihres Gatten, Oswald Oberhuber.