David Claerbout

Johnen

2008:Jul // Andreas Koch

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07-2008
















Die Eroberung des Bildraums ist spätestens seit der Renaissance und der damaligen Erfindung der Perspektive ein anhaltendes Ziel in der bildenden Kunst. Mit der Fotografie und später dem Film wurden seit über hundert Jahren adäquatere Methoden als die Malerei für diesen Zweck verwendet. Eadweard Muybridge und Étienne-Jules Marey zeigten in der zweiten Hälfte des vorletzten Jahrhunderts mit verschiedenen chronofotografischen Erfindungen wie Menschen und Tiere sich bewegten und Harold E. Edgerton fotografierte einige Jahrzehnte später mit einer Hochgeschwindigkeitskamera eine fliegende Pistolenkugel. Dann, spätestens im Film Matrix aus dem Jahr 1999 verschmolzen Filmtechniker Mareys und Edgertons Erfindungen und eine fahrende Kamera bewegte sich durch eine eingefrorene dreidimensionale Szenerie. Seit dem heißt dieser Effekt auch Matrix-Effekt und fand unter anderem unlängst in einer Ikea-Küchen-Werbung Verwendung. Die Toasts sprangen aus dem Toaster und verharrten still in der Luft, die Münder der Frühstückenden blieben aufgerissen, die Bewegungen eingefroren. Diese Kamerafahrten werden allerdings nicht aus einer vorher virtuell errechneten Welt generiert, sondern mit einer Vielzahl von fotografischen Kameras aufgenommen, die später wieder aus dem Bild herausretuschiert werden.

Soviel zum Vorwissen, das man haben kann, wenn man die Ausstellung von David Claerbout in der Johnen Galerie anschaut. Spätestens seit der zweiten Biennale in Berlin 2001 überrascht seine Arbeit immer wieder mit interessanten Raum-Zeit-Konstruktionen. In einem Film explodierte dort ein Flugzeug endlos in der Luft, ohne dass sich etwas sichbar bewegte, das Wrack hing einfach im Himmel fest. Bei Johnen zeigt Claerbout nun zwei Bildinstallationen, die ebenfalls teilweise auf fotografischem Basismaterial beruhen. Die Hauptarbeit ist aus zahlreichen Stills generiert, die scheinbar alle zur gleichen Zeit aufgenommen wurden. Claerbout lässt sie, einer Diashow gleich, untermalt mit orientalisch anmutender Musik, schwarzweiß auf eine Wand projizieren. Man sieht einen arabischen Fußplatz inmitten einer mediterranen Stadt. Das Spiel ist unterbrochen, ein Mann gibt einer in der Luft schwebenden Taube Futter, während zwei Jungs neben ihm gespannt zuschauen. Von den Rändern und Mauern des Fußballfeldes schauen noch einige mehr zu, manche aber auch zu anderen der pausierenden Hobbykicker. So baut Claerbout ein Geflecht von Blick- und Raumbeziehungen auf, dem er von Bild zu Bild neue Dimensionen hinzufügt. Von Ferne sieht man das vor dem Meer liegende Setting, aus der Halbtotalen andere Tauben im Anflug auf die Gruppe, Personen die aus anderen Blickwinkeln unsichtbar waren, tauchen unvermutet auf.

Claerbout nimmt den Betrachter an der Hand und führt ihn durch die Weiten seiner Bildwelt. Tatsächlich, und das fällt bei längerem Zuschauen leider immer mehr ins Gewicht, konstruierte der Künstler die Szenerie aus fotografischen Versatzstücken. Er nahm die einzelnen Protagonisten aus verschiedenen Positionen getrennt auf und montierte alles in den vorher fotografierten, teils auch erfundenen Schauplatz. Genau dieser Montagecharakter fällt auf, ohne dass er einen Mehrwert erzeugen würde. Die Protagonisten scheinen zu schweben, die Photoshopschatten schaffen nur ungenügend das Grounding der Figuren. Die unterschiedlichen Lichtquellen wirken bei manchen Bildern effektvoll wie bei einem Caravaggio-Gemälde, bei den meisten jedoch einfach nur falsch und entwerten so die gelungenen.

Der zweite Kritikpunkt wird klarer wenn man die zweite Arbeit miteinbezieht. Dort sieht man eine Frau die in Zeitlupe aus einem Haus hervortritt, einen Tisch deckt und dann langsam aus dem herauszoomenden Bild hinter Bäumen, wie hinter einer Fotokulisse verschwindet. Auch hier wird eine mediterrane Bilderbuchszenerie geschaffen, eine Postkartenmotivik wie aus einem Ferienprospekt. Claerbout landet mit seinen Sujets mitten im Folklore-Kitsch und unterstreicht dies noch mit der dahinplätschernden Musik.  

Dabei hätte man sich so gerne mitnehmen und hinreißen lassen und hätte so gerne gestaunt, wie wohl vor fünfhundert Jahren die Kirchenbesucher gestaunt hatten, als sie das erste Mal einen Tiefenraum auf einer flachen Wand entdeckten.

David Claerbout
Johnen Galerie
Schillingstraße 31
 2.5.–7.6.2008  
David Claerbout „The Algiers’ Sections of a Happy Moment“, 2008 (© Courtesy Johnen Galerie, Berlin)
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