Zurück nach Mittemitte

/ BQ und Croy Nielsen am Rosa-Luxemburg-Platz

2011:May // Andreas Koch

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03-2011
















Den ersten lauteren Paukenschlag im noch jungen Jahr des Kunstbetriebes setzte die Doppeleröffnung von Croy Nielsen und BQ am Rosa-Luxemburg-Platz. Mit der Wiedereröffnung zweier bekannter Galerien in schon bekannten Räumen Anfang März ergibt sich eine Rückverlagerung hin zur bereits verloren geglaubten guten alten Mitte, genauer gesagt derem östlichen Randgebiet. Man könnte die Gegend auch Mitte-East-End nennen, denn unmittelbar dahinter fängt die Berliner Plattenbau-Tristesse an. Die noch östlicheren Kunstvorposten rund um den Strausberger Platz bilden eine Insel für sich und liegen gefühlt schon in Friedrichshain.

Jedenfalls ist es das erste Mal, dass die sonst übliche Bewegung von Galerien hin in weit auseinander liegende Quartiere oder an solitäre Standorte in weniger gemütlichen Nachbarschaften rückläufig ist. Man fragte sich ja immer, was die Galerien fort trieb. Außer den günstigeren Mieten, die durch eine Vervielfachung der Quadratmeterzahl bestimmt wieder teurer wurden, und der scheinbaren Notwendigkeit, dass eine Cutting-Edge-Galerie sich alle fünf Jahre erneuern muss, fiel einem nicht viel dazu ein. Gut, natürlich nervt die Boutiquisierung der Straßen zwischen Hackeschem Markt und Torstraße, natürlich ist „Mitte“ fast ein Schimpfwort, jedenfalls fallen einem da unmittelbar große Sonnenbrillen und Papiertaschen mit Labelaufdrucken ein, getragen von reichen Kreativmenschen mit wenig Kindern und dafür aber umso mehr Geld. Aber man stellte sich doch auch manchmal den Alltag der Galeristen dort weit draußen vor. Wie sie an der Jannowitzbrücke rüber zur Tankstelle liefen, um sich einen Schokoriegel oder eine Bockwurst zu organisieren. Oder wenn in der Ourdenarder Straße nach den Eröffnungen kaum noch jemand kommt, außer den direkten Kaufinteressenten, die sich das kaum gesehene Kunstwerk dann gleich einpacken lassen und – weiß der Kuckuck wohin – mitnehmen. Jedenfalls geht das Gerücht, dass Guido Baudach viel lieber in seiner Dependance in Charlottenburg weilt. Und Max Hetzler schießt eine Museumsausstellung nach der anderen ins fast ungesehene Nirvana. Oder die Heidestraße? Gehen die alle runter zum Hauptbahnhof zur Mittagspause oder besorgen die Praktikanten Mozarella und Parmaschinken im Mitte-Meer-Großhandel? Man kann doch nicht immer zu Sarah Wiener gehen. Und wer hat eigentlich Lust, das unwirtliche Schöneberger und Tempelhofer Ufer entlang zu marschieren – zum Beispiel von Bortolozzi zu Wentrup?

Also ist die Entscheidung für den Rosa-Luxemburg-Platz zu begrüßen, für Betreiber und Besucher. Die Gegend war dennoch kunsttechnisch nicht verwaist, ganz im Gegenteil. Joanna Kamm sitzt schon länger oben an der Ecke und hält die Stellung. Außerdem gibt es in unmittelbarer Nachbarschaft die Galerie Lena Brüning und etwas weiter nördlich, im neuen schwarzen L40, den Verein zur Förderung von Kunst und Kultur am Rosa-Luxemburg-Platz mit kleinen, feinen Ausstellungen und Veranstaltungen, kuratiert von Susanne Prinz. Die Schlechtriem Brothers sind nach Anfängen im Außenministeriumsviertel schon früher zurück gekehrt an den Busen des ehemaligen Scheunenviertels und Kuttner Siebert machen ihr solides Programm rund um einen erweiterten, zeitgenössischen Minimalismus seit mittlerweile acht Jahren in der Rosa-Luxemburg-Straße. Sie bilden die südliche Grenze des nun gestärkten Viertels.

Den Anfang hier aber machte Christian Nagel (wenn man den Projektraum im Pavillon der Volksbühne, von 1997–1999 kuratiert von Rüdiger Lange, nicht als die wahre Pionierarbeit bezeichnen möchte). Als Nagel seine Berliner Dependance eröffnete, wählte er schon 2002 das gleiche Haus gegenüber der Volksbühne, in dem nun BQ und Croy Nielsen aufmachten. Mit immer erleuchteten Räumen ist er die am längsten „geöffnete“ Schaufenstergalerie Berlins und lädt so auch zum Besuch am späten Abend. Er bildet das Schwergewicht und seiner Gravitationskraft ist die Entwicklung hin zum Kunstquartier zu verdanken. Der damals blutjunge Johann König eröffnete ein paar Monate nach Nagel in den jetzigen Croy-Nielsen-Räumen, nahm sich eine von Nagels damaligen Assistentinnen zur Frau und baute mit ihr wiederum seine Start-up-Firma zur Berliner Großgalerie aus. Deshalb zog er als einer der ersten in Richtung Tiergarten/Schöneberg wieder fort, um seine zu klein gewordenen Räume dem Sammlerehepaar Schürmann zu überlassen.

Auch BQ bezog (jetzt endgültig) gleich nebenan Räume mit Vorgeschichte: Die Galerie Müllerdechiara war sogar noch kurz vor Nagel vor Ort. Nach Trennung von seiner Partnerin Laurie De­chiara machte Sönke Müller alleine weiter und gab schließlich erst kürzlich auf, nachdem er, trotz langjähriger, auch guter Galerienarbeit, nicht in den Kreis der etablierten Galerien vorgelassen wurde.

Um diese Vorgeschichte der Räume vergessen zu machen, bauten die beiden Neuzuzöglinge erstmal um. Und das, nicht ohne Kosten und Mühen zu scheuen. Vor allem BQ sparte nicht am Rigips, um einen gänzlich neuen Grundriss zu setzen. Die Decken wurden abgehängt und die Beleuchtung darin eingelassen. Es entstand eine Vielzahl an kleineren Kabinetten und mittelgroßen Räumen, in denen man fast das Gefühl bekommt, sich zu verlaufen. Diese architektonische Setzung wird die zukünftigen Ausstellungen bestimmen, denn die Künstler brauchen weniger auf Bezüge zwischen den einzelnen Werken zu achten, können Werkgruppen voneinander getrennt zeigen und vom Grundriss geleitete Choreografien für den Ausstellungsbesucher entwickeln. Diese Architektur schränkt andererseits aber auch ein, denn eine Gruppenausstellung in einem größeren Raum könnte komplexere Geflechte unter den einzelnen Ausstellern knüpfen. Was draus wird, wird die Zukunft zeigen. Für die erste Ausstellung von Carina Brandes ergibt sich aus der Architekur noch kein Problem. Ihren ähnlich-formatigen, eher kleineren Schwarzweißfotografien ist es egal, ob sie zusammen hängen oder auf mehrere Räume verteilt werden. Sie tun sich nichts.

Programmatisch ist diese Eröffnungsausstellung auf jeden Fall zu lesen und BQ setzt weiter auf ihre typische Mischung aus Neoromantik, Moderneremix und Stylecrossover. Und nun also ein Remake im Stile Francesca Woodmans: halbnackte Selbstportraits mit Tiermasken, unter anderem inszeniert auf den Brachen Berlins oder in getrashten Altbauwohnungen. Auch hier wird sich zeigen, inwieweit sich die Nullerjahre-Kunst in die neue Dekade hinüber retten kann. Das Leben ist vielleicht doch mehr als nur eine Bilderstrecke im Sleek-, Deutsch- oder Achtung-Magazin?

Den oben beschriebenen Schaufenstereffekt bei Nagel woll­ten die neuen Nachbarn unbedingt verhindern. Irgendwie verständlich, schließlich will man die Besucher ja in der Ausstellung haben und nicht plattgedrückte Nasen an den Fensterscheiben. Also mussten diese blickdicht gemacht werden. BQ wählte die ungewöhnlichere Variante und zimmerte Wände aus Holzlatten, die verschieden breite Schlitze nach außen offen lassen. Gewagt, vor allem wenn man sich auch hier gleich die zukünftigen Ausstellungen vorstellt. Denn der Eingriff ist so massiv, dass er jeder Ausstellung einen Stempel aufdrücken könnte. Außerdem erinnert die Schaufenstergestaltung an die vielen nachbarschaftlichen Boutiquen und mancher Unkundige fragt sich bestimmt, für was das Kürzel BQ denn eigentlich steht.

Croy Nielsen entschieden sich für eine flexiblere Variante und hängten eine klassische Alujalousie ins Fenster. Die kann man hochziehen, auf Durchblick stellen oder ganz schließen. Bei meinem Besuchs-Versuch war dann allerdings auch die Tür verschlossen – „Komme gleich wieder“ samt Handynummer. Da zeigt sich schon der positive Effekt für die Betreiber und die Cafés in der Nachbarschaft. Dem Betrachter blieb nichts anderes übrig als durch die Jalousieschlitze zu spicken. Hierher kann man jedoch leicht mal wieder kommen.

Carina Brandes, BQ, 8.3.–16.4.2011 Gruppenausstellung, Croy Nielsen, 8.3.–2.4.2011 beide Räume Weydinger Straße 10, 10178 Berlin

Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz (© Foto: Andreas Koch)
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