Martin Conrads / Herr Żmijewski, vor kurzem war Einsendeschluss für den Open Call. Können Sie uns sagen, wie viele Bewerbungen Sie erhalten haben?
Artur Żmijewski / Bislang ungefähr 7.000. Die meisten über das Internet.
Conrads / Das sind ziemlich viele. Wie wollen Sie damit umgehen? Gibt es ein Team, das sich um die Einsendungen kümmert?
Żmijewski / Ja, wir haben ein künstlerisches Büro, dessen Aufgabe es ist, die Berlin-Biennale zu organisieren.
Conrads / Trotzdem ist es für einen Kurator eine ziemliche Herausforderung, den Überblick über die vom Team zu treffende Auswahl aus den 7.000 Einsendungen zu behalten. Haben Sie eine persönliche Strategie, um diese Anzahl zu bewältigen? Einen Plan?
Żmijewski / Wir wollen jede Bewerbung prüfen und alphabetisch archivieren. Dieser Plan wird bereits in die Tat umgesetzt.
Conrads / Werden bei der Biennale auch Arbeiten von Künstlern gezeigt, die keine Materialien eingereicht haben oder orientiert sich die Anzahl der Künstler ausschließlich an denjenigen Einreichungen, die Sie auf den Open Call erhalten haben?
Żmijewski / Ja. Wir wissen noch nicht, wie viele Künstler teilnehmen werden. Mit dem Open Call wollten wir auch mit Künstlern in Kontakt kommen, die nicht bekannt sind. Der Open Call ist also ein gutes Mittel, mit unbekannteren Künstlern in Kontakt zu treten – indem sie ihre Portfolios schicken, können wir einschätzen, was sie machen und woran sie interessiert sind.
Conrads / Teil der Ausschreibung war die Frage nach der „politischen Neigung“ der Künstler. Können Sie schon eine Aussage treffen, welche politische Haltung bei den Einsendungen überwiegt? Gibt es eine Tendenz zu einer bestimmten politischen Richtung?
Żmijewski / Das kann ich im Moment nicht sagen, weil wir noch nicht alle Bewerbungen archiviert haben. Wir haben mit den digitalen Daten angefangen, die uns von der Mehrzahl der Künstler über das Internet übermittelt wurden. Ich schätze, das ist in zwei oder drei Monaten abgeschlossen. Aber es gibt eine bestimmte Tendenz. In der Kunst ist sie meiner Meinung nach ziemlich offensichtlich: Wir verhalten uns wie Linke und denken wie Linke. In der Kunst sind politisch links orientierte Ideen unheimlich erfolgreich.
Conrads / Glauben Sie, dass die Mehrzahl der linksgerichteten Künstler unter den Bewerbern sich in ihrem Antwortschreiben auch selbst als linksgerichtet bezeichnet haben, oder wird es möglicherweise Strategien geben, die politische Haltung durch abstraktere oder kompliziertere Formulierungen zu verbergen?
Żmijewski / Gewöhnlich wird die politische Haltung verborgen. Deshalb wurde im Open Call explizit danach gefragt. Sie ist unsichtbar, obwohl man erfahrungsgemäß den politischen Standpunkt der Künstler als linksgerichtet einstufen kann. Gewöhnlich bringt ein Künstler seine politische Haltung nicht direkt zur Sprache. Aber es gibt zum Beispiel Künstler, die sich für Menschen interessieren, die von der Gesellschaft ausgegrenzt werden. Die Suche nach Lösungen zur Integration ausgegrenzter Menschen ist ein Anliegen der Linken.
Conrads / Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass die meisten Künstler – wie Sie vermuten – politisch links orientiert sind?
Żmijewski / Das ist eine interessante Frage. Ich glaube, dass man als Künstler irgendwie gezwungen ist, linksgesinnt zu sein, selbst dann, wenn man abstrakt arbeitet. Es ist wirklich interessant, auch einmal Künstler mit einer anderen politischen Ausrichtung kennenzulernen. Deshalb wurde der Open Call ins Leben gerufen.
Conrads / Was könnte es bringen, diese Aufschlüsse und damit einen „Beweis“ zu haben, dass die meisten Künstler – wenn Sie Recht haben – linksgerichtet sind? Und was wäre der Vorteil, ganz allgemein Aufschluss über die politische Haltung der Künstler zu erlangen?
Żmijewski / Generelles Ziel des Open Call ist es, darüber informiert zu werden, was Künstler tun und wie sie arbeiten. Außerdem wollen wir eine Atmosphäre schaffen, in der man offen über seine politische Einstellung und über das, womit man sich identifiziert, reden kann. Ich glaube, dass wir etwas mit und in der Kunst tun müssen, um für eine Atmosphäre zu sorgen, in der politische Überzeugungen offen ausgetauscht werden können.
Conrads / Werden alle Einsendungen der Öffentlichkeit vorgestellt?
Żmijewski / Ja, dieses Vorhaben gibt es.
Conrads / In Ihren eigenen Arbeiten spielen häufig die Themen Ausgrenzung und Integration eine Rolle. Würden Sie sich selbst als politischen Künstler bezeichnen?
Żmijewski / Gewöhnlich hat ein Künstler, der sich als politscher Künstler bezeichnet, einfach nur politische Ideen. Er geht nicht weiter, so wie es etwa Politiker tun. Von einem politischen oder sozial engagierten Künstler erwarte ich mehr. Auch von mir selbst erwarte ich da übrigens mehr.
Conrads / In Ihrer Erklärung zum Open Call ist die Rede von einer „geheimen“ und einer „privaten Information“, die allen zugänglich gemacht werden sollte. Wenn Sie sagen, dass ein politischer Künstler etwas anderes oder mehr tun sollte, können Sie uns dann verraten, was das sein könnte, und was Sie davon abhält? Was ist das „andere“, was verbirgt sich hinter Ihrer alltäglichen Arbeit als Künstler?
Żmijewski / Das „Private“, von dem ich rede, ist selbst politisch. Nur existiert es eben als „private“ Fantasie und nicht als aktive Politik. Politik ist die Art, wie Menschen handeln, wie Menschen eine Realität erschaffen. Ich glaube, dass auch die Kunst Realitäten schaffen kann.
Conrads / Was wäre das bestmögliche Resultat der Berlin- Biennale, gemessen an der Idee, eine Wirklichkeit jenseits der gängigen künstlerischen Praxis zu schaffen?
Żmijewski / Derzeit kann ich das noch nicht sagen. Ich glaube, dass die Biennale ein Forschungsvorhaben darstellt, auch insofern, als diese Ausgabe der Biennale ein politisches Experiment ist. Dies ist der Grund, warum wir den Open Call ausgesandt haben. In einem ersten Schritt geht es darum, eine freundliche Atmosphäre herzustellen, in der politische Meinungen vorgebracht werden. Ich hoffe, dass die KW und die Berlin-Biennale ausreichend symbolische Macht haben, um zu vermitteln, dass es dabei erlaubt ist, sich als echte politische Wesen zu artikulieren. Auch, wenn man Künstler ist. Was dann der nächste Schritt ist, möchte ich noch nicht verraten.
Conrads / Denken Sie, dass Sie am Ende der Biennale-Laufzeit eine Aussage über deren bestmögliches Resultat treffen können, oder möchten Sie das Ergebnis offen lassen? Gibt es ein Ziel, auf das Sie mit der Biennale zustreben?
Żmijewski / Es ist ein bisschen riskant, nun darüber zu sprechen, weil wir das Ziel nicht erreichen könnten. Ich möchte daher keine Versprechungen machen.
Conrads / Zurück zum Open Call: würden Sie selbst, als Künstler, an einer Biennale teilnehmen, die auf einem Open Call beruht?
Żmijewski / Natürlich. Für mich ist das eine sehr interessante Sache, wie Sie schon merken konnten.
Conrads / Im Open Call werden Vorschläge zu politischen Haltungen aufgelistet, wie „links“ oder „maskulinistisch“. Wenn man Sie fragen würde, wie würden Sie Ihre politische Haltung dann definieren?
Żmijewski / Links und maskulinistisch.
Conrads / Was bedeutet „maskulinistisch“ für Sie?
Żmijewski / Das ist jemand, der über die Rechte der Männer nachdenkt. So wie eine Feministin, nur dass die eben über die Rechte der Frauen nachdenkt.
Conrads / Um Angaben zu privaten Informationen wird man gegenwärtig ja auch in „sozialen Netzwerken“ wie „Facebook“ gebeten – auf welche Schule man ging, mit wem man verheiratet ist; aber man wird auch darum gebeten, seine „politischen Einstellung“ anzugeben. Sehen Sie eine Parallele zwischen „sozialen Netzwerken“ und der Struktur eines Open Call?
Żmijewski / In der Kunst gilt es weitgehend als verboten, über politische Neigungen zu sprechen. Bei der Berlin-Biennale geht es jedoch genau darum, eine Atmosphäre zu erzeugen, in der ungehindert über politische Neigungen gesprochen werden kann. Ich hoffe, dass der Unterschied zwischen der Berlin-Biennale und Facebook offensichtlich ist. Dennoch kann man sagen, dass wir ähnlich wie es auf Facebook der Fall ist, in einem spezifischen Netzwerk agieren.
Conrads / Vielen Künstlern, die der Berlin Biennale ihr Material zugesandt haben, dürfte Ihre Positionierung als Künstler des linken Spektrums bewusst sein. Befürchten Sie nicht, dass diese Kenntnis Einfluss auf die Angaben zur „politischen Neigung“ haben könnte? Immerhin kann man davon ausgehen, dass es für viele Künstler als erstrebenswert gilt, an der Berlin-Biennale teilzunehmen. Wäre es dann nicht eine einfache Strategie, als politische Neigung „links“ anzugeben, oder etwas anderes, das Ihre Aufmerksamkeit erweckt? Besteht hier also nicht für Sie die Gefahr, absichtlich verfälschte Angaben zu erhalten?
Żmijewski / Möglicherweise. Ich bin aber mit den Antworten der Künstler auch dann zufrieden, wenn sie nicht der Wahrheit entsprechen. Wenn man nach Zweifeln Ausschau hält, kann man sicherlich viele davon finden. Ich möchte aber keinesfalls die Antworten der Künstler diskreditieren und werde mit allen Antworten sehr ernsthaft umgehen. Ich bin mir sicher, dass sie freigiebig über ihre politischen Sympathien Auskunft geben.
Teile dieses Interviews erschienen erstmalig im Auftrag des Goethe-Instituts e.V. unter www.goethe.de .
Übersetzung aus dem Englischen: Christiane Wagler; Martin Conrads