wo ich war

2012:Apr // Esther Ernst

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04-2012
















FRANCO ALAIN                     
Es lebe die Freiheit, oder? lecture-concert
Alte Akademie der Künste, Berlin

+ sehr sympathisch, wie der Pianist Alain Franco am Flügel sitzend Cage erklärt und derweil durch die Mu­sikgeschichte springt, vorspielt, seine persönliche Sichtweise preisgibt, noch mal spielt, und weiter seine Denkwelt eröffnet.
Zum Beispiel bezeichnet er das Komponieren nach Grundton im 20. Jh. als eine Art zu Hause. Der Grund­ton dient zur Orientierung und Sicherheit. Im 21. Jh. öffnet die 12-Ton-Musik das zu Hause, löst es auf und verlagert es nach Draussen. Noch immer handelt es sich allerdings um klare Tonabfolgen. Diese krempelt nun aber Cage um. Er fordert regelrecht mehr Eigen­verantwortung für Musiker und/oder Hörer. Er bewegt sich gleichzeitig zwischen Haus und Draussen.
Stets soll man sich laut Franco auf die Geschichte hintersinnen und fragen, was diese Errungenschaften für den jetzigen Augenblick bedeuten. Die Geschichte dient jeweils als Fundament und die Frage der Differenz treibt einen dann von allein vorwärts. Oder so unge­fähr...


MIRRA HELEN                     
gehend (Field Recordings 1-3)
Kunst-Werke, Berlin

+ ich würde mich ja niemals trauen, diese dermassen zarten Zeichnungen - hauchdünn am Kitsch vorbei, oder doch eher mittendrin (?) - so sparsam in den leeren Raum zu hängen.
Die Zeichnungen sind Bodenabdrucke aus schwarzer Tinte oder Umbraöl-Frottagen auf unbehandeltem Lei­nen. Eine fortlaufende Linie aus Gräser, Ästchen, Bodengegrummel, die sich zu Landschaften finden, eine Stengel-Kartographie.
Helen Mirra hat Wanderungen unternommen und jede Stunde einen Abdruck des Bodens angefertigt. Soweit die Rahmung. Ist die Rahmung nun Produktionsanlass (das wäre aber schwach)? Soll ich daraus die sich dauernd verändernde Landschaft ablesen? Und plötzlich bin ich an Jannis Kounellis erinnert und an das explizite Ausstellen des Materials. Nein, das ist mir zu gefühlig, oder bin ich jetzt neidisch?


UNTER BÄUMEN. DIE DEUTSCHEN UND DER WALD 
Deutsch Historisches Museum Berlin

+ Wahnsinns Titel, da freu ich mich auf abgründige Entdeckungen und werde zum Ausstellungsbeginn mit ei­ner unverschämten Debilität empfangen, dass mir gleich schon der Appetit vergeht. Da steht tatsäch­lich ein Plastikreh und versichert mir, es begleite mich durch die ganze Ausstellung. Grrrr, warum ei­gentlich immer diese unattraktive Pädagogik, der Durchschnittsbildungsbürger kann doch kaum so blöd sein und das wollen???
Die Hohenheimer Xylothek stimmt mich versöhnlicher, ein Nachschlagewerk aus Baumbüchern, eine Art Baum- Herbarium, mit Rinden, Samen, Blätter, Moos. Das hat wenigstens Humor. Sowie das Präparat eines Wild­schweins. Ansonsten andauernd zu viele Lerneffekte, natürlich hübsch und spielerisch Verpackt, soll ja um Gottes Willen Spass machen, damit die Eltern sagen können: siehste Kind, ist ja gar nicht so schlimm das Museum. Und das Thema Wald wird auch noch in alle an­grenzenden Bereiche gezerrt, um sämtlich an den Haaren herbeigezogene Aspektchen auszukosten. Ist doch Scheisse, macht mich sauer.


SPANISCHE FLIEGE               
Schwank von Franz Arnold und Ernst Bach
Inszenierung von Herbert Fritsch, Volksbühne Berlin

+ Dorothea war zufällig an der Premiere und erzählte mir, das Publikum hätte während der Vorstellung gejohlt und das Ganze glich mehr einer Party als einem konventionellen Theaterabend. Macht mich ja eher skeptisch als gluschtig... Aber dann musste ich zu meiner eigenen Verwunderung von der ersten Minute an unaufhörlich lachen, herausplustern und konnte kaum an mich halten...
Die (s)panische Fliege, ein komplett beknacktes Lustspiel von 1913, mit tausenden Verwechslungen, komödiantischen Einlagen, eigentlich zum Gähnen müde und nach altem Mann riechend, hat Herbert Fritsch mit seinen Schauspielern zu einer fantastisch überdrehten Tischbombe verwurstet. Ein viel zu viel von Allem, quietschbunt, schrilllaut, überzeichnet sowieso, derb, plump... An nichts hat’s gefehlt, nichts wurde ausgelassen und mir brummte danach der Schädel wie nach ner Flasche Rosesekt. Toll war das, bisschen wie Achterbahn fahren, am liebsten gleich noch ne Runde..


SELECTED ARTISTS 2011             
Stipendiaten des Berliner Arbeitsstipendiums
NGBK, Berlin

+ kommt’s mir nur so vor, oder ist das jeweils die  lustloseste Ausstellung des Jahres?
Versteh ich nicht, schliesslich handelt es sich doch immerhin um Berliner Vorzeigekünstler, die Hoffnungsträger der Stadt sozusagen. Warum zeigt man deren Arbeiten in so schäbigem Räumchengeschachere, so, als wär das alles zufällig Sperrmüll?
Jede Pupsstadt würde für seine Stipendiaten doch einen grosszügigeren Ausstellungsort wählen, und diese mit etwas mehr Stolz und Leidenschaft präsentieren. Nur in Berlin siehts mal wieder nach kein Geld aus. Immer diese riesige Diskrepanz zwischen high-end-Kunst und der lokalen Szene. Hab keine Lust mehr auf das Gerölle, ich glaub ich zieh aus, nach Pupstehude und krieg dort ne Depression.

Wawrzyniec Tokarski


RICHTER GERHARD                 
Panorama
Neue Nationalgalerie Berlin
+ jahaa, das hab ich ja bereits hundert Mal in allen Ausstellungsbesprechungen gelesen, dass der Richter ein Meister des Stilwechsels ist - und war dann doch erstaunt, gar fast erschlagen, dass der wirklich Al­les gemalt hat. Und ich finde wirklich nicht Alles gut, wundere mich über graue Strukturoblerflächen, über Suchbilder (Tourist mit Löwe), über Tizians Ver­kündigung und über die vielen Besucher, die mir die Sicht versperren und Alles ganz faszinierend finden. Aber auf dem Nachhauseweg dachte ich, ist es nicht so, dass der beim Produzieren seiner Bilder mit der grösst möglichen Beliebigkeit - im Sinne von Offen­heit und Unvoreingenommenheit – arbeitet (und diese aushält), um dann kritisch das eigene Schaffen zu re­flektieren, Schlechtes auszusortieren, zu überarbei­ten oder zu verwerfen..? Und ist das nicht eine total erhabene Arbeitsmethode? Es erinnert mich an die Un­befangenheit von zeichnenden Kindern, die mit nix ein Problem haben, weil’s ja einfach auch Spass machen soll. Ist doch eigentlich zum neidisch werden.


DIE UNGARISCHE METHODE                 
REH Kunst, Berlin

+ Bei der Ungarische Methode hab ich erst an Politik und Verfolgung gedacht und später bei Wikipedia nachgeschlagen und derweil ziemlich wenig verstanden. Das ist irgendein mathematischer Vorgang, eine Zuord­nungsberechnung, wird wohl in der Partnervermittlung oft benutzt (na vielen Dank auch...). Veranschauli­chend fand ich die Arbeit von Philip Topolovac, der mehrere Legotech Bausatztüten mit wild zusammen gewürfelten Teilen zum Drauf-los-bauen für willige Besucher bereit stellte. Da kommen dann zufälliger­weise wahnsinnig hübsch absurde Bauteilskulptürchen raus, die nix können und einfach nur schön sind.
Und der David Button hat irre feine schematische Bau­plan-Zeichnungen zu Erkenntnistheorien gemacht. Total irre, ein Wahnsinniger wahrscheinlich, sieht toll aus, kann aber nix daraus erkennen...
Kompliziert, kompliziert... und natürlich hat jeder Künstler obendrauf noch seine eigene Sprache und Welt, in die er dann die komplexe Struktur über­setzt...


RICHTER GERHARD                  
Painting
Rollberg-Kino, Berlin

+ och, das ist doch ein total angenehm zu guckender Film, der seelenruhig vor sich hin tröpfelt. Ich finde Corinna Belz fragt auch gar nicht so naiv wie überall besprochen und kritisiert, ich hätte ganz ähnlich gefragt (oder bin ähnlich naiv, oder finde Naivität diesbezüglich gewinnbringend). Der Richter schleudert teilweise ja auch mit wahnsinnig gut klingenden Sätzen um sich, so à la meine Bilder sind klüger als ich, das lockt doch sofort zum spezifi­schen Nachfragen... Und dann wiederum steht der zwischendurch genau so hilflos rum und weiss auch nicht, brummelt irgendwas, alles ganz unaufgeregt, sympathisch ohne Ende, vieles zum In-sich-hinein­schmunzeln...  Schön fand ich auch zu sehen, wie Richter mit soner Leinwand beginnt und dass der ja tatsächlich hemmungslos bunte Farbe in grossen Schmiergesten verteilt und sich darüber freut wie ein kleines Kind, obwohl das total Scheisse aussieht und man denkt, um Gottes Willen, bloss nicht...
FRANCO ALAIN, 8. Jan. 2012.JPG (© Esther Ernst)
MIRRA HELEN, 8. Jan. 2012 .JPG (© Esther Ernst)
UNTER BA¦êUMEN. DIE DEUTSCHEN UND DER WALD 19.Jan.2012.JPG (© Esther Ernst)
SPANISCHE FLIEGE, 25. Jan. 2012 .JPG (© Esther Ernst)
SELECTED ARTISTS 2011, 25. Jan. 2012.JPG (© Esther Ernst)
RICHTER GERHARD16. Feb. 2012 .JPG (© Esther Ernst)
DIE UNGARISCHE METHODE, 18. Feb. 2012.JPG (© Esther Ernst)
RICHTER GERHARD 19. Feb. 2012 .JPG (© Esther Ernst)
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