Aber zunächst zum Platz und seiner näheren Umgebung, denn es hat sich einiges getan die letzten Monate. Der spektakulärste Neuzugang war sicher Capitain Petzel, die in dem ost-modernistischen Ambiente eines Großpavillons schon ihre 4. und 5. Ausstellung zeigten. Alles wirkte bisher recht trocken und spröde, was auch der Architektur zu Lasten gelegt werden könnte, auch die diesmaligen Shows von Kippenberger und seiner Witwe Elfie Semotan konnten noch nicht überzeugen. Man könnte denken, da wurde vielleicht zu sehr im Nachlass gekramt und einige belanglose Pappkistenbildobjekte gefunden, die Kippenberger am Strand von Brasilien unter ständigem Schaffensdrang und Caipirinhazufluss irgendwie machen musste. Auch wenn die Benennung einer Tankstelle (Gas Station) nach Martin Bormann, einer unter vielen in Südamerika untergetauchten Nazis, eine wichtige Sichtbarmachung eben dieses Umstandes war, war der Rest doch eher Resteproduktion. Man stellt sich vor wie damals der Kunsttransporteur, von Capitain geschickt, die Pappschnitte mit Handschuhen rettete – es war das Ende der goldenen Achtziger, der Beginn der letzten Krise und vielleicht ist deshalb alles noch da und immer noch verkäuflich.
Da passt es einigermaßen gut, dass die Redaktion in den neuen Räumen von „Texte zur Kunst“ im 4. Stock des schon beschriebenen Henselmanngebäudes direkten Blickkontakt zum Capitain-Kippenberger-Ensemble hat, hat man doch die gleichen Wurzeln. Kippenberger steuerte die erste Edition zum ersten TZK-Heft bei und war der Grundstock für den Aufstieg in gediegene Räume, samt Parkett, matten Glastüren und einem atemberaubenden Ausblick auch über die Reststadt. Das ändert natürlich die Perspektive, auch auf das Heft. Schon der letzte Titel wurde vom Grafikbüro Double Standards von unten schräg gegenüber gestaltet. Einer der Betreiber ist der Bruder von Tobias Rehberger. Er sitzt allerdings schon länger mit seinen Mitarbeitern vor Ort in einem holzgetäfelten Ladenraum und hätte auch schon in meinem letzten Strausberger-Platz-Text erwähnt werden können. Auf das Konto von Double Standards gehen unter anderem das neue Kästchendesign des HdKdW, das Erscheinungsbild von Sprüth Magers Berlin samt deren neuem Filmshop oder das des Bureau Muellers, betrieben vom Expressesprecher der KW und Isabelle-Graw-Mann Markus Müller.
Überhaupt siedelten sich einige Gestalter rund um die Karl-Marx-Allee an: Gleich gegenüber von Double Standards eröffneten Lambl/Homburger ihre Räume am besagten Sonntag mit einem aufwändig gestalteten Relaunch eines Warhol-nahen New York Underground Films aus den Siebzigern. Weiter östlich dann, gleich neben der neu eröffneten Galerie Krom...e (wie spricht man das eigentlich aus) hat die Frankfurter Agentur Surface eine Filiale, im gleichen Haus wie der Verlag Sternberg Press. Sie ist übrigens auch für die drei Punkte über dem Krome verantwortlich.
Eine vernetzte Gestaltungs- und Publikationskraft für den bildenden Kunstsektor konzentriert sich demnach in der ehemaligen Stalinallee. Deren merkwürdigen Melange aus 1920er-Jahre-Modernismus, Klassizismaus, Bürgerbombast und Ostblockmuff, oft als Zuckerbäckerstil verkürzt zusammengefasst, fasziniert immer mehr, vor allem westdeutsche Kulturschaffende. Vielleicht gerade weil diese Mischung stilistisch die architektonische Entsprechung zu den zitatfreudigen nuller Jahren bildet. Man kann sich z.B. schick-loungig mit Ledersesseln und Post-Expressionismus-Bildern auf Holzwänden präsentieren, wie es seit einiger Zeit auch die am Platz ansässige Galerie Ben Kaufmann tut. Sie ist ebenfalls Teilnehmer bei der „7×2“-Messe und genauso wie Croy Nielsen zudem Teilnehmer des Gallery Weekends.
Also hoch ins Treppenhaus des Eckhochhauses, wo die Aussteller in den tageslichtlosen Zugangsbereichen der Wohnungen die Arbeiten drapiert hatten; aus denkmalschützerischen Gründen durfte nicht gebohrt oder gehämmert werden. Schon bei meiner ersten Recherche damals beeindruckten mich die großen stumpfen Räume von denen je sechs Wohnungen abgehen. Das hat etwas Newyorkhaftes und ist so in Berlin selten zu finden. Und so fühlte man sich auch wie beim Besuch eines New Yorker Galerienhauses und stapfte die schmalen Treppenaufgänge hoch, um die Ausstellungen übereinander anzuschauen. Genauer werde ich an dieser Stelle nicht auf Einzelnes eingehen, zu vage blieb der Gesamteindruck. Es war heiß und stickig, die Galeristen standen neben den Werken, aber eben auch zwischen den Wohnungen. Irgendwie passte alles stilistisch ganz gut zueinander. Die Galerien der Künstler der Retromoderne fanden sich an einem Ort wieder, der programmatisch zu gut zu ihrem Programm passte. Beides, Architekur und Kunst, nahmen sich in dieser Nähe an Kraft. Das Newyorkeske schrumpfte auf Normalmaß und die Kunst fügte sich so gut ein, dass man sie im nächsten Stockwerk schon wieder vergessen hatte. Natürlich war das auch ein normaler Messe-Effekt. Schön für alle hingegen war die Tatsache, dass es sich um eine Einnachmittagsveranstaltung handelte. Außer Lüttgen, der auf der gleichen Etage wohnt, in der er seine Galerie präsentierte, genossen alle Aussteller die frische Luft auf dem Nachhauseweg.
Unten blies der Wind feine Wassertröpfchen vom Brunnen herüber. Es gab freies Bier und leckere Limonaden des umtriebigen Modekunsteventveranstalters „Nowadays“ (der am Platz den temporären Ausstellungsraum „Contributed“ betreibt) und man genoss den frühen Abend im weitläufigen Areal.
Eine weitere Masche im Strausberger-Platz-Kunstnetz bleibt zuletzt noch zu erwähnen: Drei Wochen später gingen diese Zeilen im Copyshop auf der anderen Seite des Platzes, gleich bei Ben Kaufmann um die Ecke, wie bisher jede „von hundert“ in die Vervielfältigung.
Andreas Koch
>von hundert 12/2006 „Der Köln-Effekt“
>von hundert 11/2007 „Der Standort Strausberger Platz“
>von hundert 07/2008 „Kippenberger in Mitte“