Onkomoderne

Cabin Fever

2013:Dec // Christina Zück

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12-2013














Onkomoderne
/ Cabin Fever

Wie zu erwarten, gab es bei der Villa-Romana-Ausstellung in der Deutschen Bank KunstHalle Aperol-Spritz und Campari-Orange; leckere Häppchen schwebten auf Tabletts vorbei und anschließend wurden kleine Vanilleeishörnchen gereicht. Neben den Besucherinnen in Schlangenlederhighheels ließen sich die eingeladenen Künstler mit ihren zerrupften Frisuren, die vermutlich Performances über prekäre Lebenssituationen aufführen würden, gut ausmachen. Eine ausgelassene Stimmung wollte nicht entstehen. Für die ausgestellte Kunst hingegen hätte man, wie so oft neuerdings, ein Entschlüsselungsprogramm gebraucht. Ich traf sehr wenige ehemalige Villa-Romana-Stipendiaten und zu dritt standen wir achselzuckend auf der Durchgangsroute des Catering-Services herum. Viel zu mühsam wäre es gewesen, die eigenartig ausgeformten Innenwelten der ausgestellten Künstler in einen Zusammenhang zu bringen. Individuelle Mythologien mag vielleicht der Begriff sein, mit dem man beschreiben könnte, wie sich Künstler vom Kontakt zur ground control abkoppeln, aber ihre Kapseln docken wiederum zu zielstrebig an einen bereits gut durchformatierten Kunststil an, bei dem abseitige Objekte mit komplexer Theorie kombiniert und weitläufig in den Ausstellungsraum geclustert werden. Der noch zu benennende Stil steht für eine Strategie der Mystifikation, die den schwer erträglichen Fragen der Welt Verwirrungseffekte gegenüberstellt, die eine Clientèle aus professionellen Mystifizierern – meist an Besitz oder Institutionen gebundene Leistungssträger – gerade noch aushalten kann. Draußen, im Pulk der Raucher auf dem Bürgersteig, sprachen wir über die fortschreitende Professionalisierung der Kunstausbildung, die neuen Fine-Art-Photography-Schulen, die Curatorial Studies, den Siegeszug der globalisierten Theorie – Rancière, Kojève, Artaud, Arendt gehören jetzt zur Konzernkultur amerikanischer Universitäten. Den neuesten Diskurs auf dem Schirm zu haben, ist so wichtig geworden wie früher die richtigen Platten zu hören. Es war einer der letzten warmen Abende dieses Sommers. Für die neue Powergeneration der professionalisierten Künstler waren wir ehemaligen Villa-Romana-Stipendiaten jetzt unzeitgemäße Hänger, so wie für uns damals die Ölmaler aus der Toskana-Fraktion. Die letzteren waren auf diesem Empfang erst gar nicht erschienen, obwohl ich mich sehr auf sie gefreut hatte. In Florenz, Anfang der Nuller-Jahre, waren wir abends zwischen Gucciläden und aufpolierten Arkadengängen in leeren Bars herumgestanden und hatten die finstere Stimmung genossen. Wir verließen die Vernissage und gingen Unter den Linden entlang, vorbei am Bugatti-Showroom durch die mit Planen abgehängte Passage der U-Bahn-Baustelle, um einen Drink in der von einer spektakulären Treppe dominierten Lobby des Westin Grand zu nehmen. Es gab kaum Gäste. Alles würde immer so weitergehen, schön melancholisch beschwert, aber auch voller Hoffnung, denn es würde nicht so weitergehen können – irgendwo taucht immer eine, jetzt benutze ich mal das neue Modewort, disruptive Kraft auf. Die Kunst war nicht schuld am Elend der Welt. Während wir uns wie auf einem aus der Zeit gefallenen Kreuzfahrtschiff fühlten und von unseren Loungesesseln aus den in Globaleleganz gekleideten älteren Paaren hinterherglotzten, schoss sich der todkranke Schriftsteller Wolfgang Herrndorf eine Kugel in den Kopf, ein paar Kilometer weiter nördlich am Ufer eines Spreekanals.    
Wir diskutierten. Wird es am Ende der Kunst gelingen, sich den Übernahmeversuchen des Kapitalismus, der alle Lebensbereiche quantifiziert, optimiert, nutzbar macht, zu widersetzen? Selbst Unnütz- und Wirrsein kann gut als Antidot vermarktet werden. Die Entgrenzungsphänomene finden wie überall auch im Bereich der Kunst statt, um sich aus dem immer enger werdenden Würgegriff der allumfassenden Entgrenzung und Entfesselung zu befreien – das klingt absurd, und man weiß sowieso nicht, ob es sich um einen Aufbruch oder eine Fluchtbewegung handelt. Sofort nachdem eine neue Idee, Form oder Intensität auftaucht, breitet sie sich aus und wird in die Verwertbarkeit eingemeindet. Auf diese Weise entsteht ein großer Knäuel aus normativen Verhaltensweisen mit vielen losen, grotesken Enden. Die Welt ist zu einer bunten, selbstgefilzten Bommel geworden, deren Zotteln ungewaschenen Dreadlocks ähneln. Mit voller Wirtschaftsleistung schwirrt sie durchs Universum. Auch das Feld der Kunst soll vor dem Hintergrund dieser Mobilisierung neu definiert werden, zumindest abgegrenzt oder ganz aufgelöst. Die blödesten und beliebigsten Zeichen lassen sich kreativ bündeln und ermöglichen es, eine Käuferschicht zu vereinen, die sich für eine kurze Zeit zusammengehörig fühlt. Das auf permanenten affektiv-ästhetischen Input trainierte Nervensystem des zeitgenössischen Subjekts wird schnell ruhelos. Und während man sich fragt, ob da noch die Libido oder schon der Todestrieb am Werk ist, ob das noch Umzug oder schon Gentrification ist, befindet sich ein Teil der Kunstproduktion längst auf der Flucht vor dem Irrsinn, den sie mit angerichtet hat. Im Gegensatz zu den kreativen Bemühungen der Optimierer ist Kunst nicht teleologisch und kann sich auch ruhig und interesselos gegen sich selbst wenden.
In seinem Essay „Liar’s Poker“ von 2003 beschreibt Brian Holmes in Anlehnung an Bourdieus Feldtheorie, dass die verschiedenen sozialen Felder, aus denen sich die zeitgenössische Gesellschaft bildet, von unerträglichen Regeln wie Ungleichheit, Herrschaft und Ausbeutung zusammengehalten werden. Jeder sogenannte Spieler, der in diesen Feldern agiert oder Zugang zu ihnen erlangen möchte, ist, gemäß dem demokratischen Höflichkeitsgebot, gezwungen, über die verborgene Gewalt zu lügen. Ein stillschweigender  Vertrag hält die Players in einer immer wahnhafter werdenden Illusion zusammen. Im Kunstfeld stehen die Künstler laut Holmes den Institutionen wie in einer Partie Lügenpoker gegenüber: sie bluffen sich mit der Ansage, ihre Kunst sei politisch, ins Spiel hinein. Stellt man im Museum schließlich fest, dass ihre Kunst tatsächlich politischen Gehalt hat, sind sie draußen. Martha Rosler, die diesen Vergleich in „Culture Class: Art, Creativity, Urbanism, Part III“ zitiert, empfiehlt den Kunstschaffenden trotz allem, wiederum Chantal Mouffe zitierend, die Auseinandersetzung mit der Art World und ihren Institutionen nicht aufzugeben.
Der Lebensraum wird enger, während sich der Vorstellungsraum immer weiter ausdehnt, und irgendwo hat sich sicher jemand einen naturwissenschaftlichen Begriff für diesen Vorgang ausgedacht. Wenn man die hierarchiesüchtigen und paranoid-abgrenzungsbereiten Menschen um sich herum in allen sozialen Feldern betrachtet, packt einen der Lagerkoller und man versteht, dass es längst nichts mehr zu verteidigen oder zu gewinnen gibt, außer in einer anhaltenden – hier wieder ein Zitat – künstlichen Hölle zu landen. Der fiktive Vertrag ist längst gebrochen.
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