Muss … der Geist ‚des modernen Kunstwerks‘ sich durch die Hand oder die Maschine verwirklichen? Für den modernen Künstler wird in der Zukunft die Konsequenz zu letzterer leiten, auch wenn man vorläufig geneigt sein wird, dies als Ketzerei zu betrachten.
J.J.P. Oud, de Stijl, Vol. 1, Nr. 3, Delft, Januar 1918
In welchem Maße die Anachronismen der zeitgenössischen Künste auseinander laufen, illustriert zum einen der Hype um 3D-Drucker, die hier und da bereits als das bald kulturelle, bald ökonomische Nachfolgemodell des Homecomputing gefeiert werden, dieweil ihre Vorläufer, die 2D-Plotter der 60er Jahre bestenfalls museal anmuten. Am anderen Ende der gegenläufigen Bewegung der Zeitachsen zeigt sich allerorten ein gesteigertes Interesse an den Pionieren und – dies ist der Punkt – den Pionierinnen gegenwärtiger Kulturtechniken. Avant la lettre wäre hier Ada Lovelace (http://de.wikipedia.org/wiki/Ada_Lovelace) zu nennen, die ein gutes Jahrhundert, bevor erst von Computern gesprochen werden konnte, als erster Mensch überhaupt, 1843 ein Turing-fähiges Computerprogramm geschrieben hatte.
1843. Das war 94 Jahre vor Konrad Zuses Z1 und 146 Jahre vor der GNU-GPL, der allgemeinen Lizenz freier Software. Es ist allerdings keinen Kapriolen der Geschichte der Technik geschuldet, dass Ada Lovelaces Beitrag zur „Analytical Engine“ Elemente der Turing-Maschine um schlicht 100 Jahre solcherart vorweg nahm wie Booles Algebra die modernen Suchmaschinen, sondern den Latenzen der tendenziell zeitlosen Universen der Mathematik.
In diesem Panorama sind die Arbeiten von Vera Molnár zu sehen, die 2014 ihren 90. Geburtstag feiert und nicht nur als die Pionierin dessen, was wir heute Computerkunst nennen, gelten darf, sondern – regelrecht – gelten muss. Bereits 1959 konzipierte sie eine „machine imaginaire“ und programmierte, im Jahr der Umbrüche, 1968, ausgerechnet an einem Rechner der Sorbonne, Plotter-Schreiber für verschiedene serielle Arrangements. Ihr primäres Interesse galt und gilt hier, in allen denkbaren Zuständen, der Linie; eine immer wieder untersuchte Form wird das Quadrat, dessen formale Klarheit Molnár in Prozessen der Annäherung oder der Auflösung visualisiert.
Algorithmen, die noch jeder modernen Prozesssteuerung zugrunde liegen, deren Rolle in den Künsten aber noch wenig untersucht wurden, sind allen Arbeiten von Vera Molnár so selbstverständlich, wie ästhetisch wirksam. Jede ihrer Arbeiten am Computer durchläuft der Dreischritt, der aller technischen, somit auch künstlerischen Produktion eignet: Planung, Umsetzung, Auswertung.
Und dann, als ob dies alles noch nicht genug wäre, bewegen sich die Arbeiten Vera Molnárs im Feld der Geschichte der Kunst: Dürer („Nouvel hommage á Dürer ou les métamorphoses d’Albrecht“) etwa oder Klee („á la recherche du Klee“) tauchen explizit in Werktiteln auf. Cezánnes Studien zum Mont St. Victoire gelten verschiedene Serien Molnárs. Mondrians Prozess der Abstraktion kehrt, in maschineller Durcharbeitung, bei ihr ebenso wieder wie die optischen Regelverläufe ihres Landsmannes Vasarely. Auch ihre Nähe zu Arbeiten Albers’ ist frappant.
Immer wieder greift Vera Molnár Probleme und Vorgaben der kunsthistorischen Tradition auf, die sich dem Mathematischen, Geometrischen, Seriellen, oder, ganz offensichtlich, dem Ornamentalen gewidmet haben. Mit „… Kunst, so einfach als nur möglich …“ notiert sie am 1.3.1989 eine Forderung Goethes in ihr „journal intime“. Dabei sind Molnárs Resultate nie streng. Auch gleichen ihre Reglements eher denen von Spielen. Ihre Skizzen und Notizen erinnern oft an die Partituren der Fluxus-Bewegung.
Selten waren Poesie und Mathematik einander so nah wie im Kosmos der Digitalkunst Vera Molnárs.
Vera Molnár „Solo“, DAM Gallery Berlin, Neue Jakobstraße 6, 10179 Berlin, 11.4.–7.6. 2014