In letzter Zeit begegnen mir in dieser Stadt immer wieder Objekte wie geschichtete Bausteine oder andere Materialien, die übereinandergreifend aufgebaut sind und je nach Höhe eine Art Hindernis – eine Mauer – repräsentieren. Gemeinsam ist diesen unterschiedlichen Arbeiten, dass sie zwar per definitionem eine Mauer darstellt, ikonografisch sich aber davon distanzieren. Es sieht nur vordergründig wie eine Mauer aus, aber eigentlich geht es um etwas anderes.
Sweet Wall Als die Moderne mit ihrem großen Versprechen Autonomie in den letzten Zügen lag, kurz bevor sie zu kollabieren drohte und im postmodernen Recycling abebbte, sorgte Allan Kaprow für eine Reihe von Happenings, mit denen er diesem Versprechen grenzenloser Freiheit ein Denkmal setzen wollte. Ein Denkmal, das nicht ewig währte sondern sich, dem Verständnis der Happenings folgend, sogleich wieder auflöste. Sweet Wall war eines dieser temporären Denkmäler das ‚die Mauer‘ parodieren sollte; die Aufbauanleitung ist denkbar simpel: „Berlin, empty lot, near the Wall/Building a wall (cement blocks, ca. 30 m x 1,5 m)/ Cementing blocks with bread and jam/Toppling wall/Removing material, empty lot.“ In einer Kriegslücke unweit der Mauer auf West-Berliner Seite schichtete Kaprow selbst mit Assistenten Bausteine zu einer 1,5 Meter hohen Wand auf, in der Tat wurden die Steine mit bestrichenen Marmeladebroten verbunden. Anschließend warfen sich die Erbauer gegen die Mauer und kippten diese wieder um, was blieb war ein Gemisch aus Steinen und Marmeladebroten. Mit dem für die Happenings typischen Repertoire einfacher Handlungen wie heben, tragen, schmieren, schichten, umwerfen … fand eine Aneignung eines Freiheitsbegriffs auf pragmatischer Ebene statt. Politische Freiheit spielen könnte das Motto lauten und mit dieser Pragmatik und damit einhergehenden Verharmlosung gewinnt die Aktion ein parodistisches Potential. Darauf zielte Kaprow ab, als er sagte: „Sweet Wall, looking back six years, contains ironical politics: It is parody. It is for a small group of colleagues who can appreciate the humor and sadness of political life.“
Das Auflösen von Grenzen gehörte in den späten 1960er Jahren zum täglichen Brot und Sweet Wall ist hierfür nur ein Beispiel. Der Club of Rome verkündete damals erstmals die „Grenzen des Wachstums“, die bis heute fortwährend überschritten und fortan immer wieder thematisiert werden. Die Grenze wird in der Kunst als Metapher thematisiert und spielt zusammen mit einer Gesellschaft die sich auf die Suche nach einer Form (Grenze) in einer Zeit ohne dauerhafte Formen macht. Doch die Happenings und Land-Art-Projekte stehen nicht nur für eine grenzenlose Kunst als Kritik an der durch Institutionen begrenzten Kunst. Im Gegenteil, die Künstler verließen die schützenden Mauern der Galerien und Museen auch, um einen neuen Hype im Kunstbetrieb zu etablieren. Denn die entlegenen Werke in der amerikanischen Wüste oder in der Sektorenstadt Berlin konnten nur von den Besuchern gesehen werden, die es sich damals schon leisten konnten, mit Flugzeugen überall hin zu pilgern. Alle anderen mussten sich mit den Dokumentationen mittels Fotografien begnügen. Auch Sweet Wall fand damals in einem sehr kleinen Kreis im Auftrag der Galerie René Block in Zusammenarbeit mit dem Berliner Künstlerprogramm des DAAD statt. Es waren hauptsächlich Amerikaner, die der Aktion beiwohnten. Sweet Wall ist nur ein Beispiel dafür, dass mit Happening und Land-Art nicht nur Mauern gebaut und Grenzen überwunden sondern auch im Bereich Kunst-Tourismus ein Grundstein gelegt wurde.
Ortlose Mauer Hinter dem Hamburger Bahnhof steht bis heute ein Überbleibsel einer Aktion, die der schweizer Künstler Urs Fischer 2005 dort ausführen ließ. Im Gegensatz zu Allan Kaprow legt er nicht mehr selbst Hand an, sondern lässt mit Zement verbundene Backsteine ineinandergreifend aufschichten. Es sieht aus, als hätte jemand dort eine Garage bauen wollen. Die Mauer war der Beginn und zugleich das Ende des Skulpturen-Parks hinter dem Hamburger Bahnhof. Nun steht sie noch immer da, die ortsspezifische Skulptur, die keine ist. Denn die erste Fassung dieser Arbeit befindet sich im Garten der Mutter von Friedrich Christian Flick. Das Berliner Objekt ist also nur eine Aktualisierung oder ein Reset einer bereits bestehenden Arbeit und buchstäblich fehl am Platze. Eine Anspielung auf die Mauer gibt es bei dieser auf dem ehemaligen Grenzgebiet stehenden Skulptur, so der Künstler, natürlich nicht.
Verlierer-Mauer Der Preis für Junge Kunst der Nationalgalerie wurde 2000 zum ersten Mal vergeben. Neben Katharina Grosse, Christian Jankowski und Dirk Skreber nahm auch Olafur Eliasson mit einer 30 Meter langen Mauer daran teil. Hierfür ließ er hinter dem Hamburger Bahnhof ein Loch graben. Aus dem Aushub, Bauschutt und Erde, wurde dann eine Mauer errichtet, die sich durch die historische Halle der Wand entlang zog. Im Laufe der Zeit bröckelte das erdige Material und ein natürlicher Zersetzungsprozess begann. Auch hier ging es weniger um die Mauer als politisches Symbol als vielmehr um den Transfer natürlicher Materialien in nicht-natürliche Ausstellungsräume. Aktionen dieser Art gehen zurück auf Richard Long, der in den 1960er Jahren Findlinge, die ihm auf seinen Wanderungen begegnet waren, ins Museum hiefte und zu mittelalterlich anmutenden Wänden auftürmte. (Zum Beispiel in der Ausstellung „Op losse schroeven“ Stedelijk Museum Amsterdam, 1969). Weder Richard Long noch Olafur Eliasson erhielten für diese Aktionen Preise. Udo Kittelmann setzte sich in der damaligen Jury durch und Dirk Skreber erhielt den Preis, was wohl nicht nur den Künstler überraschte. Intime Mauer Eine Mauer ganz anderer Art kann man gerade in dem Deutsche Guggenheim sehen. Asli Sungu, die an der Berliner Universität der Künste bei Christiane Möbus studierte, gehört neben Clemens von Wedemeyer, Dani Gal und Julia Schmidt zu den diesjährigen Ausstellern der Villa Romana. Sie hat an einer Wand des Ausstellungsraumes grell orange-farbene Balken aufgetürmt. Insgesamt 300 Farbschichten liegen dicht an dicht übereinander. Das Maß der ca. 0,5 cm dicken Schichten, jeweils 120 x 20 cm, bezieht sich auf den Abstand zwischen den beiden Fenstern in der Berliner Wohnung von Asli Sungu. In der Höhe der Wand findet sich die Größe der Künstlerin (1,66 m) wieder. Neben dem identifikatorischen Potential, das die Wand bietet, gibt es auch ein produktionsästhetisches Phänomen, das für Asli eine Rolle spielt. Sie hat die Balken vor Ort hergestellt, indem sie Farbe auf Folie auftrug, diese wieder ablöste und eine getrochnete Farbschicht erhielt, ganz einfach. Doch noch vor der Eröffnung ist die Wand in sich zusammengefallen, auch das war gewollt. Schließlich geht es bei dieser Arbeit um die Befreiung der Farbe von ihrem Aufgetragen-Sein auf die Wand, indem sie selbst zur Wand wird. Fortan muss die Farbe nicht mehr die dekorative Funktion eines Wandschmuckes oder Schutzes erfüllen sondern kann sich als Material frei entfalten. Auch hier klingt wieder die Anti-Form der späten 1960er Jahre an, die sich nicht gegen Form (oder Grenzen) an sich richtete. Vielmehr sollten sich die Formen aus den Eigenschaften das Materials von selbst ergeben. Wenn auch die vermeintliche Autonomie der 60er Jahre Anti-Form in vielen Fällen eine Konstruktion bliebt, so scheint dieses Versprechen bei Asli Sungu punktuell eingelöst. Gepaart mit einer Anspielung auf anthropomorphe Formen und zwar nicht irgendwelche, sondern die von Asli Sungu selbst, ergibt sich die Farbe orange auch aus dem persönlichen Umfeld. „Die einzige Aussicht aus meiner Berliner Einzimmerwohnung war die alte Mauer von der Humboldt-Universität. Diese hatte in der Dämmerung am Morgen und Abend eine ähnliche Farbe.“
Fetisch-Mauer In dem Skultpuren-Park, dem ehemaligen Todesstreifen, der aktuellen Berlin Biennale, zeigt der norwegische Künstler Lars Laumann einen Film, der die Mauer huldigt. Es ist eine offene Bekennerschaft zur Mauerliebe, weniger nostalgisch verbrämt, vielmehr parodistisch als ‚Objekt-Sexualität‘ inszeniert. Protagonistin des Films ist Eija-Riitta Berliner-Mauer, 54 Jahre alt und seit 1979 mit der Berliner Mauer verheiratet. „We eventually married on June 17, 1979 at Groß-Ziethener Straße in Berlin. On that day I took my husband‘s name Berliner-Mauer. We have been together now for many years, spiritually if not physically. Like every married couple, we have our ups and downs. We even made it through the terrible disaster of November 9, 1989, when my husband was subjected to frenzied attacks by a mob. But we are still as much in love als the day we first met.“ Und dann gibt es noch Monica Bonvicini, der verhalf die Fetischisierung einer Mauer („Wallfuckin‘“) 1995 zu ihrem Durchbruch.
Asli Sungu „Freisteller“ Deutsche Guggenheim Unter den Linden 13/15 26.4.2008–22.6.2008