Es ist Donnerstagabend, Februar 2011, draußen leuchtet ein Neon von Daniel Pflumm, es ist wahrscheinlich das reduzierte Esso-Logo der schräg gegenüberliegenden Tankstelle. Das Haus ist nicht erleuchtet, es wird Videokunst gezeigt. Drinnen läuft eine Übersichtsausstellung des Videokünstlers Bjørn Melhus. „Live Action Hero“ zeigt Arbeiten von den frühen 90er Jahren bis heute. Der norwegische Künstler lebt seit 1987 in Berlin und beschäftigt sich mit den Stereotypen des Films, den täglichen Absurditäten im Fernsehen, mit der Rolle der Filmmedien als Traumfabrik und Kommunikationsersatz. Sozusagen ziemlich 90er. Dem Kino und dem Fernsehen geht es angeblich um die Teilhabe des Publikums an der „Welt da draußen“, aber eigentlich geht es immer nur um uns selbst. Insofern ist es konsequent, wenn Bjørn Melhus in seinen Videofilmen fast alle Rollen durch die Jahre in immer neuen Masken, Outfits und Synchronisationen selbst spielt. Dies soll Authentizität herstellen, ein Wort, das auch dem befragten Kunsthistoriker schwer über die Lippen kommt. Melhus Arbeiten haben manchmal etwas ziemlich Parodistisches, heutzutage aber auch nur wenig mehr.
In der jüngsten Serie von Arbeiten, die im Haus am Waldsee gezeigt werden, geht es um die filmische Verarbeitung von an Kriegstraumata leidenden Soldaten. Die psychische Gebrochenheit, der sich in ihrer Heimat nicht mehr einfinden könnenden Kriegsheimkehrer, wird thematisiert. Nicht selten werden sie zu Selbstmördern oder Amokläufern. So hält sich der Künstler im Tarnanzug auf dem Ausstellungsplakat ein Maschinengewehr an den Kopf. Es soll ein Zitat des vorangegangenen Plakats von Marcel van Eeden sein, auf dem sich ein Comichund eine Pistole an die Schläfe setzt. Melhus’ starre Soldatenaugen sehen ins Nichts. Soll das Provokation sein oder Wachrütteln? Ich verstehe es nicht und finde es abstoßend. Marcel van Eeden war subtiler. Aber egal, auch das Haus als solches, nämlich als ehemaliges Wohnhaus, wird von Melhus thematisiert. Möbel wie vom Flohmarkt stehen zusammengewürfelt herum, Lämpchen in den Ecken, Nippes auf den Fenstersimsen. Als würde der traumatisierte Soldat auf der Rückkehr nach Hause im Haus am Waldsee ankommen und keine Ruhe mehr finden. Wenn er nachts nicht schlafen kann, rät ihm ein Ratgeber: „This is my home, this is my desk, those are my clothes…“ aufzusagen, um Zugehörigkeit herzustellen – Grimms Märchen im Waldsee-Setting.
Melhus sagt, dass ihn heute mehr die Realität als die elektronischen Bildräume interessieren. Er möchte lieber mit einem mexikanischen Pferd durch einen echten Wald reiten, als vor Pappmaché oder animierten Bildräumen zu agieren. So wirken seine neuen Arbeiten ziemlich pc, seine alten trotz technischer Raffinessen extrem antiquiert, genau wie das Mobiliar, das das Haus bevölkert.
Für Barbara Hammer ist „a horse not a metaphor“. Ihre Arbeiten werden bei KOW in der Brunnenstraße in einem ganz anderen Haus gezeigt. Manchmal ist ein Leerraum beredter als seine Umhüllung und zeugt eine bauliche von einer systemischen Lücke. Im Umkreis weniger hundert Meter rings um das Gebäude in der Brunnenstraße registrierte der Architekt Arno Brandlhuber jüngst 58 Hohlräume zwischen Gebäuden, 7.635 m3 Volumen auf zusammen 404 m2 Grundfläche. 58 schmale, oft keilförmig zulaufenden Stücke unbebautes Land mit durchschnittlichen Längen um die zehn und Breiten zwischen 0,4 und 2,5 Metern, nicht unähnlich den „Fake Estates“ von Gordon Matta-Clark. Brandlhuber ist der Architekt des Galerienhauses KOW, über das schon viel Lobendes geschrieben wurde.
Dort werden frühe Arbeiten aus dem Werk der amerikanischen Dokumentar- und Experimentalfilmerin Barbara Hammer gezeigt. Die meist sehr persönlichen Filme handeln von lesbischer Emanzipation, ihrem eigenen Leben oder marginalisierten Frauenbiografien. Die Einzelausstellung würdigt Hammers künstlerischen Beitrag zum Avantgardekino und der Performance-Bewegung. Gerade hat sie den Teddy Award für den besten Kurzfilm „Maya Deren’s Sink“ auf der Berlinale gewonnen. Anfang der siebziger Jahre begann Hammer in San Francisco das neue lesbische Selbstbewusstseins experimentell zu verfilmen. Lange Zeit wusste sie wohl überhaupt nicht, dass es körperliche Liebe zwischen Frauen gibt. Erst das Studium der Psychologie und ihre Arbeit als Pädagogin erweiterte ihren Horizont. Auch beruflich ging sie neue Wege, 1968 griff sie das erste Mal zur Kamera. Ihr vierminütiger Kurzfilm „Dyketactics“ (1974) enthält die ersten lesbischen Sexszenen, die auch von einer Lesbe gedreht worden sind. Das war eine Pionierleistung, der sie den Spitznamen „Großmutter des lesbischen Films“ verdankt.
Hammer drehte damals mit der Handkamera auf Super8 und verwarf klassische Erzählstrukturen. In kollektiven Aktionen machten sie und ihre Freundinnen das Intime öffentlich und brachen mit Tabus. Oft kreiste Hammer dabei um ihr eigenes Leben, von der sexuellen Befreiung („X“, 1973) bis zu ihrer Krebserkrankung („A Horse is Not A Metaphor“, 2008). Aber sie experimentierte auch mit found footage. Für ihre Arbeit „Blue Film No 6: Love Is Where You Find It“ (1998) schnitt sie beispielsweise den männlichen Protagonisten aus einem Pornostreifen und beließ nur die beiden weiblichen Parts. In „Maya Deren’s Sink“ (2010) reflektiert die Künstlerin das Vermächtnis der 1961 verstorbenen Filmemacherin und Theoretikerin Maya Deren auf ihre eigenen Räume.
Ihre Arbeiten, so karg wie sie sich bei KOW in dem Sichtbetonambiente präsentieren – wo jeder Kopfhörer im Gegenlicht von der Decke hängend, zum ästhetischen Element wird – sind lustig und erstaunlich zugleich und gefallen mir um einiges besser als Melhus’ Arbeiten. Vielleicht tut die spröde, reduzierte und unwohnliche Architektur ihr eigenes dazu.
Aber weg aus Berlin nach Rom: das Wohnhaus des Malers Giorgio de Chirico wurde nach dessen Tod unverändert belassen und man kann ihm heute sozusagen immer noch einen Besuch abstatten. Die Fotografin Heidi Specker tat dies und hat surrealistische „Portraits“ der Wohnräume fotografiert. Im Rahmen ihres Villa-Massimo-Stipendiums entstanden seltsame Raumdetails, die so gar nichts mehr mit ihren formalistischen Architekturbildern zu tun haben, außer vielleicht den grafischen Blick. Sie erzählen eine Geschichte, sind nicht mehr nur Linie oder Struktur oder Licht und Schatten.
Heidi Specker stürzte sich kopfüber ins römische Chaos. Sie hatte ein konkretes Romprojekt im Koffer und durchstreifte die Stadt für einen Jahres- oder Endzeiten-Zyklus, für ein „Projekt Termini“. Das gelang ihr im Kontext eines wiederauferstandenen Surrealismus.
Zum fünften Mal feierte die Villa Massimo am 24. Februar ihre „Große Nacht“ im Berliner Martin-Gropius-Bau. Dort wurden Speckers Bilder für einen Abend gezeigt. Ganz Berlin war angeblich versammelt, über vier Stunden verteilten sich annähernd zweitausend Gäste. Klaus, ein Gast, meinte, dass mindestens die Hälfte Hartz-4-Empfänger wären. Ehrengast des Abends war Finanzminister Schäuble, der in seiner Rede wörtlich formulierte: „Wir sind ein reiches Land, wir können uns unsere Kunst leisten. Wir müssen sie uns leisten, ohne die Kunst werden wir irre.“ Schön gesagt.
Bjørn Melhus „Live Action Hero“, Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30, 14163 Berlin, 11.02.–10.04.2011
Barbara Hammer, Koch Oberhuber Wolff , Brunnenstraße 9, 10119 Berlin, 12. 02.–17. 04. 2011
Heidi Specker u.a., Stipendiaten der Villa Massimo im Martin-Gropius-Bau, 24. 2. 2011