Alles für die Kunst / arte

2013:May // Christina Zück

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05-2013














Ich bin eine Gießkanne
/ „Alles für die Kunst“ auf Arte

Da stehen sie nun vor den Arbeiten eines jungen, zu castenden Künstlers – die erfolgreiche Medienunternehmerin, der wohlhabende Rechtsanwalt und Sammler, die Großnichte Picassos und die Pariser Art-Konsultantin, deren Firma „I love my job“ heißt – und die Unternehmerin (Christiane zu Salm) fragt ihn: „Sagen Sie mal, was ist daran Kunst?“ Die Szene spielt in der Ausstellung, in der die sieben Teilnehmer für die Doku-Soap „Alles für die Kunst“ ausgewählt werden sollen. „Nee, ne?“ Der Künstler fängt an zu lachen und will fast schon sagen: „Geht’s noch?“, aber das ist nicht erlaubt, denn hier befinden wir uns nicht im Trash- sondern im Bildungsbürgerfernsehen, und an dieser Stelle, genau wie in der realen Kunstwelt, muss sozialverträglich mit Affekten umgegangen werden. Obwohl man doch gerne für’s TV ein paar davon herauskitzeln möchte, verschämt, ein bisschen. So sehr die Wirtschaftszombies – in ihrer tiefen Ambivalenz der Kunst gegenüber, mit deren Prestige sie sich gerne schmücken – fasziniert von künstlerischen Autonomieperformances sind, so sehr lassen sie dennoch keine Gelegenheit dazu aus, die gesellschaftliche Überlegenheit ihres eigenen Lebensmodells zu betonen, was sich zumeist in stereotypen Fragen wie „Ist das überhaupt Kunst?“ oder „Kannst Du denn davon leben?“ äußert. Glücklicherweise agieren die Zuschauer der Fernsehshow als außenstehende Beobachter, also küchenpsychologisch gesehen als kontrollierendes Über-Ich, so dass die dort zutage tretenden Konflikte, Hierarchie- und Autonomie-Gefälle schön ordentlich multiperspektivisch offen gelegt werden.

Bei Artes entschärfter Version einer Castingshow selektierte die Jury aus den Mappen von 2.000 Bewerbern etwa 25 junge Künstler aus Frankreich, Belgien und Deutschland, die zu einer Präsentation und einem Gespräch eingeladen wurden. Ab hier setzt die Fernsehübertragung ein. Während die Kandidaten und ihre Arbeiten vorgestellt werden, erklären die Mitglieder der Jury in kurzen Einstellungen, was ein Künstler heutzutage alles leisten muss, nämlich nicht nur am laufenden Band Kreativität produzieren, sondern unbedingt auch seine Kunst verkaufen können, denn der Konkurrenzkampf ist unfassbar hart – und er wird härter und härter. Sind diese jungen Leute also willens und fähig, das von denen, die sich in der gesellschaftlichen Mehrheit wähnen und die im Fernsehen sprechen dürfen, propagierte Anforderungsprofil zu erfüllen? Ist in einer leicht zu erratenden Analogie das Herumtollen in der wirklichen Kunstwelt nicht auch eine Castingshow?

Die Gruppe der Juroren beugt sich vor einer kleinen schuhkartongroßen Figurengruppe auf den Boden und fragt: „Was ist denn das?“ „Heuschrecken“, sagt der junge Mann mit einem sehr lustigen spanischen Akzent (Sebastian Mejia), „ich finde sie schön.“  Er erzählt noch mehr dadaistische Dinge, warum und wie er Kunst macht, die Jury nickt höflich und interessiert und geht weiter zum nächsten Kandidaten. Die Künstler müssen nun ein Bewerbungsgespräch durchlaufen und werden nach ihrer Motivation gefragt, warum sie Teil der „Masterclass“ werden wollen. Kulturelle Unterschiede treten dabei zutage: Die deutschen Bewerber schweigen lieber oder drucksen herum und betonen die Wichtigkeit des Arte-Projekts für „ihre Arbeit“. „Meine Arbeit“ scheint für etwas Undefiniertes und Unausprechliches zu stehen, einige Künstler stellen sie vor sich wie einen erratischen Block, hinter den sie sich vor feindlichen Legitimierungsforderungen zurückziehen können.

Die französischen Kandidaten erklären in perfekter Eloquenz, dass sie flexibel auf Aufgaben reagieren und neue Herausforderungen erwarten, dass sie unter Druck in der ­ Gruppe eine gute Chemie entwickeln können, dass sie Impulse zur eigenen Weiterentwicklung empfangen möchten. Die Masterclass wird für sie wie ein Katalysator sein. Scheitern kann eine Chance sein.
Nun beginnt der Workshop, die sieben ausgewählten Künstler, die schon längst die Kunsthochschule abgeschlossen haben, ziehen in eine große leere Berliner Fabriketage und bekommen für jede Folge eine neue Aufgabe gestellt. Betreut und beraten werden sie dabei von etablierteren Künstlern, den Mentoren. Zu Beginn sollen sie ein Selbstporträt aus absurden Materialien, die in einer Kiste angeliefert werden, anfertigen. Sebastian Mejia findet eine Gießkanne und befestigt sie mit der Öffnung nach unten zeigend auf einem Stapel Plastikkisten – die Jurymitglieder finden es sehr interessant. Das seltsame Objekt arbeitet mit dem Wissensgefälle der Betrachter, die das Zitieren der bereits viel zitierten kulturellen Referenzen erkennen oder nicht erkennen: der klügere Fernsehzuschauer oder der Künstler selbst kann auf diese Weise Genuss aus der Unterlegenheit und Empörung des vermeintlich naiven Betrachters ziehen. Lyes Hammadouche konzipiert seine Selbstportrait-Installation in einem 3D-Programm am Computer und filmt sich selbst in einer Tür stehend hinter einem wehenden Vorhang aus roter Alufolie. Der Jury gefällt diese Arbeit von allen Selbstporträts am besten, sie wirkt kitschig-poetisch und leicht verständlich. Stéphanie Kerckaert und Alice Mulliez können unter keinen Umständen blöde Aufgaben erfüllen, die nichts mit ihrer Arbeit zu haben, deshalb machen sie im Sinne ihrer Arbeit weiter, Stéphanie näht ein Tuch mit einem Loch und drapiert es über einen Männerkörper, Alice fertigt kleine Kuchenstücke aus bunten Spülschwämmen an.

Die weiteren Aufgabenstellungen – ein Werk der Kunstgeschichte neu bearbeiten, eine Performance im öffentlichen Raum machen, ein schockierendes und provozierendes Werk erstellen – wiederholen sich in ihrer Beziehungslosigkeit zu den Interessen der Masterklässler. In der Performance-Episode macht sich bereits die bräsige Lähmung breit, die alle kennen, die je Kunst studiert und unterrichtet haben. Der belgische Künstler (Angel Vergara), der als Mentor auftritt, verhält sich wie ein erfahrener Hochschulprofessor direkt und respektvoll. Er vermag in einem Satz zu analysieren, was die Künstler gerade spontan gemacht haben. Generös übersieht er die deutlich aufscheinende Diskrepanz zwischen der Tiefe der erschaffenen Arbeiten und dem antrainierten stereotypen Art-Speak. Sebastian Mejia taucht in seiner Performance mit einem Schnorchelset in einen öffentlichen Brunnen, um eine Münze herauszufischen. Jérôme Galvin verteilt die Lebensmaterie Liebe auf der Straße mit Umarmungen und der Unterstützung von Konfettischwaden und fühlt sich danach ein wenig erschöpft. Elina Solomonov verkauft Luftballons, die Gemütszustände symbolisieren. Als Zuschauer wünscht man sich ein wenig mehr Spannung, Streit und affektive Bewegung, mehr Trash-Fernsehen, diese Erwartungen werden später in der Episode „Schock und Provokation“ erst recht enttäuscht.  
Am Ende kann man aus der fernsehpublikumstauglich harmlosen Arte-Sendung folgern, was für Künstler sich ein imaginärer Mainstream aus Kulturverwaltungsbeamten und Geldleuten wie Sammler und Mäzene zusammencasten würde. Die männlichen Masterklässler performen mit stets positiv gestimmten, ironisch-distanziertem Tonus ihre Künstlerrolle, verschaukeln ihre Beurteiler mit vagen Kunstsprech-Tiraden, bauen ihre Differenz-Identität produktiv in ihre Biographie ein und konzipieren aufwändige Installationen, die sich auf Referenzketten aus der Kunstgeschichte beziehen. Stéphanie Kerckaert und Alice Mulliez hingegen nehmen gegen Ende der Show eine Verweigerungshaltung ein und zeigen authentische Wut gegen das böse Spiel (hm, weiß man so genau ob es so böse ist?) der Castingshow. Gemeinsam verlassen sie die Masterclass, ihr Freund Jérôme Galvin begleitet sie aus Solidarität.

Bei „Alles für die Kunst“ werden exemplarische Konflikte und Differenzen aufgerissen, die sich letztendlich als gar nicht so schlimm und schnell auflösbar erweisen. Die bonbonfarbene Lebensmaterie Kunst wird bei Arte unter Konfettischwaden wie ein Ball hin und her geworfen, egal ob es sich um einen Luftballon, einen didaktischen Pezziball oder einen mit ballistischer Technologie und historischem Wissen handgenähten Medizinball handelt. Es gilt, die Verhältnisse zwischen Castern und zu Castenden herzustellen und auszuloten – und zu vermeiden, dass die zu Castenden sich dem unlustigen Spiel zu schnell entziehen.

Die Sendungen können noch unter http://kunst.creative.arte.tv/de/show eingesehen werden.

Still aus der Sendung „Alles für die Kunst“ (© arte, 2013)
Still aus der Sendung „Alles für die Kunst“ (© arte, 2013)
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