Selten ist eine Berlin Biennale mit so viel Vorschusslorberren überhäuft worden wie die diesjährige. Und dies obwohl sie sich konzeptionell von der vorherigen Berlin Biennale, die gründlich misslang, erstmal gar nicht so sehr unterscheidet. Beide Biennalen nämlich setzen dezidiert auf die Qualität des Narrativen in der Kunst. Vor zwei Jahren waren es kitschige Erzählungen rund um die Abgründe der Psyche, diesmal geht es um Aspekte persönlich empfundener Historie und deren Wirkung auf Gegenwart. Dazu hat das Kuratorengespann Elena Filipovic und Adam Szymczyk nicht nur über 40 Künstler nach Berlin geladen, sie haben auch ein umfangreiches Nachtprogramm, bestehend aus Konzerten, Performances, Filmen etc., organisiert, das während der Biennale jede Nacht stattfand.
Nahezu alle Kunstwerke wurden speziell für die 5. Berlin Biennale konzipiert, schon hier beginnen die Unterschiede zur vorherigen Biennale. Auch die Auswahl der Orte macht diesmal Sinn, haben die Kuratoren sich doch auf eingespielte Kunstorte wie die KunstWerke, einem Gebäude, das in der DDR eine Magarinefabrik gewesen war, und die modernistische Neue Nationalgalerie konzentriert, hinzu kommt ein Skulpturenpark auf dem ehemaligen „Todesstreifen“ an der Berliner Mauer und der neoklassizistische Schinkel-Pavillon. Vier unterschiedliche Orte werden so bespielt, die stellvertretend sind für die Geschichte Berlins. Der wesentliche Unterschied zur vierten Biennale aber liegt in der thematischen Ausrichtung von „When things cast no shadow“ und der intelligenten, so zurückhaltenen wie präzisen Inszenierung dieses Themas. So beschäftigen sich einerseits alle Arbeiten mit Problemen wie Geschichte und Gesellschaftsordnung, Architektur und Modernismus, andererseits tun sie dies auf unterschiedlichsten Ebenen und mit widersprechenden Perspektiven. Dies hat der Ausstellung den Vorwurf der Konzeptionslosigkeit eingebracht, was ihr aber in keinster Weise gerecht wird. Vielmehr verhindert solch Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit eine eindimensionale und ideologische Behandlung der Fragestellung und hält diese in angemessener Form offen.
Ein wiederkehrendes Thema sind die real-existierenden Möglichkeiten des Kommunismus in Geschichte und Gegenwart. So wird zumindestens im symbolischen Feld der Kunst noch eine Alternative zur kapitalistischen Globalisierung bedacht. Da ist z.B. in den KunstWerken die Installation von Mona Vatamanu und Florin Tudor. Beide inszenieren einen Raum, der einer kollektiven Erinnerungsarbeit dient, die zugleich eine individuelle ist, da sie ja letztlich von einzelnen Subjekten zu realiseren ist. An den Wänden dieses Raumes hängt eine Reihe von Gemälden, die Symbole und Ereignisse der kommunistischen Geschichte darstellen. So sind Bilder von Demonstrationen ebenso zu sehen, wie Schlangen vor Lebensmittelgeschäften oder ein schuftender Arbeiter. Klischee und Ideologie, Dokumentation und Recherche durchdringen sich in dieser Arbeit „Appointment with Historie/Intalnire cu Istoria“ (seit 2007), der Unterschied von ‚realer‘ Geschichte und deren Imagination gerät ins Schlingern. Im Raum steht zudem ein Rednerpult mit angeschalteten Mikrophon, sowie Stuhlreihen und Lautsprecherboxen. Aus letzteren erklingt das legendäre „Kommunistische Manifest“ von Karl Marx und Friedrich Engels. Dieses Ensemble „Communist Manifesto/Manifestul/communismului“ (2008) beleuchtet nicht nur das Verhältnis von Theorie und Praxis, sondern betont auch den oftmals ideologischen Charakter von linker Rhetorik und Schulung.
Auch Piotr Uklanskis Skulptur „Untitled (fist)“ (2007) stellt ein prominentes Teil kommunistischer Symbolik zur Diskussion, nämlich die geballte Faust der Arbeiterbewegung. Diese hat der gebürtige Pole aus Stahlrohr in monumentaler Größe vor die Neue Nationalgalerie gestellt, gleichsam als Relikt der Geschichte inmitten der neoliberalen Gegenwart des „Neuen Berlins“. Doch nicht nur mit der Aktualität Berlins, sondern auch mit der Tradition der Stadt tritt Uklanskis Faust in Dialog. Auf diese Tradition nämlich spielen Daniel Knorrs 58 Fahnen an, die der Künstler außen an der Nationalgalerie, also in unmittelbarer Nähe zu Uklanskis Arbeit, gehisst hat. Die Farben sind monochrom in den Farben gehalten, die für die 58 in Berlin ansässigen traditionsreichen Studentenverbindungen stehen. Linke und rechte Ideologie treten so in einen ästhetischen Wettstreit, dessen Ergebnis offen bleibt.
Auch die derzeitigen Bedingungen des Kommunismus werden in dieser Berlin Biennale immer wieder reflektiert, etwa in Zhao Liangs Video „City Scene“ (2004–2005), das in eindrucksvolles Bildern ein beklemmendes Porträt des aktuellen Pekings zeigt, ein Porträt, das zwischen Dokumentation und Psychedelic Bilder zeigt von sich prügelnden Jugendlichen, von mitten in der Stadt Golf spielenden Menschen, von riesigen Baustellen oder schummrigen Kneipen.
Katarina Seda schließlich zeigt in so realistischer wie poetischer Weise, wie sich die Verhältnisse verändern, wenn der Kapitalismus beginnt den Sozialismus abzulösen. Ihre Installation „Over and Over“ (2008) ist eine zweiteilige, sie findet sowohl in den KunstWerken wie in dem Skulpturenpark statt. Seda hat beobachtet, wie die Zäune in ihrem tschechischen Heimatort Lisen in den letzten Jahren immer höher wurden. Das Vordrängen eines „freien Marktes“ hat dafür gesorgt, dass viele Menschen langsam mehr besitzen, also auch mehr beschützen möchten. Die Künstlerin hat in den „KunstWerken“ Pläne, Modelle und Texte installiert, mit denen sie diesen Prozess dokumentiert und zudem Vorschläge entwickelt, wie diese erhöhten Zäune zu überwinden seien. Letzteres geschah in Zusammenarbeit mit Einwohnern der Stadt. Im Skulpturenpark wurden Nachbildungen der Zäune in geschlossener, kreisrunder Anordnung aufgebaut. In das Innere dieser Situation gelangt man nur, wenn man diese Zäune überwindet und genau dazu sind die Besucher des „Skulturenparks“ aufgefordert. Kurz und gut: Diese Biennale wird ihren Vorschusslorbeeren mehr als gerecht, sie ist überaus gelungen.
5. Berlin Biennale KW Institute for Contemporary Art,
Auguststraße 69 Neue Nationalgalerie, Potsdamer Straße 50, Skulpturenpark, Kommandantenstraße / Neue Grünstraße
Schinkel Pavillon, Oberwallstraße 1 5.4.–15.6.2008