Nach dem Text von Ana Teixeira Pinto in der letzten Ausgabe der „von hundert“, in dem die Autorin die Zusammenhänge von Corporate Design, Korporatismus im faschistischen Italien der dreißiger Jahre und Handlungspraktiken der jetzigen Berlin Biennale aufzeigte, drucken wir jetzt einen Text der „anderen“ Seite, eine Replik Andreas Schlaegels auf Texte von Wolfgang Müller unter anderem in der Berliner Gazette und der Jungen Welt. In der nächsten Ausgabe hoffen wir, die Debatte anhand der dann real stattfindenden Biennale fortzuführen. Tatsächlich ist die Berliner Kunstwelt genauso gespalten wie ich. Die einen, die notorisch als „politisch Korrekte“ denunziert werden, ärgern sich über das allzu platte und plumpe Vorgehen der Biennale-Aktivisten. Zurecht monieren sie, dass allerlei Tabu-Knöpfe gedrückt werden, nur mit dem Zweck, sich dann über das gewünschte Geheul zu freuen. Die anderen freuen sich, dass endlich das „Politische“ einzieht in und mit der bildenden Kunst, die endlich auch spürbar über die eigenen Grenzen hinaus wirken kann. Aber wohin?
Die Martin-Zet-Aktion wird, so fürchte ich, programmatisch für die ganze Veranstaltung sein. Der Ansatz eines Gegenangriffs auf Sarrazin ist erstmal zu begrüßen, aber dann bricht alles weg. Die rechte Seite schwingt die Zensurkeule, alle schimpfen auf die Bücherverbrennungsrhetorik und am Ende wird aus sieben eingesammelten Bänden ein Türmlein zu bestaunen sein. So what? Alle konnten wieder sehen, dass die deutsche NS-Vergangenheit das Minenfeld schlechthin ist, aber warum sollte sich das auch ändern? Das Sarrazin-Buch bekommt nur noch mehr Aufmerksamkeit. Und so wird das weitergehen, man sticht hier mal rein und da mal rein und schaut was passiert. Die einen freuen sich darüber, dass überhaupt was passiert, die anderen sagen, war doch klar.
Was mich ärgert, ist die Instrumentalisierung der Zensurgefahr, Kunst darf eben auch nicht immer alles. Es gibt Grenzen, und Grenzüberschreitungen können dumm, gefährlich oder sogar illegal und gesellschaftlich nicht tolerierbar sein. Niemand würde eine Vergewaltigung, einen Mord oder andere Kapitalverbrechen, die als Kunstaktion auftreten, tolerieren. Natürlich muss man auch an die Kunst moralische Maßstäbe ansetzen. Der scheinbare Mehrwert einer Spiegelung gesellschaftlicher Zustände verpufft oft ebenso schnell, wie sich dann solche Aktionen im Kunstgeschichtsgedächtnis festfressen, aber eben nur da. Es sind meist One-Liner die übrigbleiben, nacktes Fangenspielen im Duschraum des KZs (Artur Żmijewski), Auschwitz als Legobaukasten (Zbigniew Libera), Tätowieren gegen Geld (Artur Żmijewski, Santiago Sierra), Autoabgas in Synagogen (Santiago Sierra). Schauen wir doch mal auf die Webseite der Biennale, was jetzt ansteht: Im Deutschlandhaus dürfen Vertriebene Erinnerungsstücke ausstellen, es wird also auch wieder gesammelt. Da läuft mir jetzt schon ein Schauer den Rücken runter, wenn die Ost-Schlesier ihr Restgut anschleppen. Es ist einfach eine krude Mischung in der alles gegen und für alles geht. Birken werden aus Auschwitz nach Berlin verpflanzt, ein fiktiver Staat Palästina wird gegründet und gleichzeitig sollen 3.300.000 Juden nach Polen rückgeführt werden. Wenn man das mit dem Vertriebenenmuseum zusammendenkt, wird’s einem doch ein bisschen flau im Magen, oder etwa nicht? Man fühlt sich wie bei einem Polit-Wrestling-Schaukampf und Żmijewski ist der, der die Guten und Bösen in den Ring schubst und am meisten Spaß daran hat, wenn sich alle schön hauen und die Bösen plötzlich auch gut werden können. Ist aber alles nur Show. Barbara Buchmaier ärgert sich ein bisschen darüber, dass wir da überhaupt mitmachen. Ich tret in den Ring als pc-Kochi contra Andi Zensurschlägel, der eben noch den tödlichen Wolfgang vermöbelte. Jungs halt, nicht wahr, Herr Żmijewski?