Ambitioniert: Übersetzung übersetzen

„In anderen Worten“ in der NGBK und „Found in Translation“ in der Deutschen Guggenheim

2012:Apr // Anna-Lena Wenzel

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04-2012
















Von Übersetzungen wird in Bezug auf verschiedene Prozesse gesprochen: bei Übersetzungen in andere Sprachen, bei medialen Übertragungen, kulturellen Transfers oder bei Aktualisierungen historischer Inhalte. Zwei Ausstellungen in Berlin widmen sich den Prozessen, die mit diesen Übersetzungen einhergehen. Die Gemeinschaftsausstellung „In anderen Worten. Der Schwarzmarkt der Übersetzungen – mit zeitgenössischen Kulturen handeln“ in der NGBK und im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien beleuchtet „die Vorgänge des Übersetzens – das Lesen, Verstehen, Interpretieren und Neuschreiben eines Textes in einer anderen Sprache“ und versteht darunter eine „kulturelle Strategie […] um Brücken zu anderen Kulturen zu schlagen“, so Paz Guevara und Elena Aguido in ihrem Katalogbeitrag. Neben diesem emanzipatorischen Aspekt der Völkerverständigung will die Ausstellung auch auf das Sprachensterben aufmerksam machen und die Dominanz des Englischen thematisieren, das sich zugleich als Sprache der globalen Marktwirtschaft durchgesetzt hat.

Die Ausstellung „Found in Translation“ in der Deutschen Guggenheim rollt das Thema erwartungsgemäß von dieser Seite auf und verweist auf die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verbindungen, die durch die Globalisierung entstehen – und vielfältige Übersetzungsleistungen erfordern. Während im Ausstellungstext jedoch die Potentiale dieses Prozesses beschwört werden, weisen die meisten Arbeiten auf die Tücken und Lücken von Übersetzungsprozessen hin. Unerwartete Aktualität bekam dieses Thema bei Bekanntwerden der Pläne, die Zusammenarbeit von Deutscher Bank und der Solomon R. Guggenheim Foundation zu beenden, um „den wichtigen Dialog zwischen Wirtschaft und Politik zu intensivieren“, wie in einer Pressemitteilung zu diesem Umstand zu lesen war. Waren etwa die Übersetzungen von kulturellem in wirtschaftliches Kapital und umgekehrt nicht ergiebig genug? Liegen die wirtschaftliche und politische Sprache nicht eh viel enger beieinander?
Der optimistische Blick, der im Titel „Found in Translation“ anklingt, hätte also wohl besser für das Ausstellungsprojekt „In anderen Worten“ gepasst. Denn dort wird viel eher versucht, die Potentiale der Differenz, „die Dimensionen dessen, was beim Übersetzen verloren geht, was dann übrigbleibt, zu unterstreichen“ (Sarat Maharaj im NGBK-Katalog) und als produktiven, ermächtigenden Prozess zu verstehen.

Zwei recht ambitionierte kuratorische Rahmungen begleiten also die beiden Ausstellungen, deren gemeinsamer Nenner im Aufzeigen von Missverständnissen und Verschiebungen liegt, die bei Übersetzungsprozessen entstehen, wobei die Frage nach den Machtverhältnissen, die diese bewirken, beständig mitgedacht wird. Ein exemplarisches Beispiel hierfür ist die Arbeit „The Land of Black Gold“ von Siemon Allen in der Deutschen Guggenheim. Sie besteht aus dem Comic „Tim und Struppi im Reich des Schwarzen Goldes“, den Allen in zweifacher Ausführung als große Wandarbeit inszeniert, wobei aus den Sprachblasen der Text entfernt wurde. Das Besondere der zweifachen Ausführung liegt in der bewegten Geschichte dieser Ausgabe: Hatte Hergé die erste Fassung im britischen Mandatsgebiet von Palästina angesiedelt, wird dieser Kontext in einer Neuauflage von 1972 in das fiktive Königreich Khemd verlegt und alle Hinweise auf die Briten getilgt.

Diesem anschaulichen Aufdecken politischer Eingriffe in Übersetzungsprozesse entspricht, wenn auch auf anderer Ebene, Christoph Kellers Arbeit „Interpreters“ in der NGBK. In dieser Installation werden Interviews mit professionellen Übersetzern gezeigt, in denen diese über ihre interpretierende Funktion beim Übersetzen sprechen. Denn bei jeder Übersetzung gibt es Raum für individuelle Interpretationen. Die Interviews werden dabei an eine Wand projiziert, den Ton hört man jedoch erst, wenn man in eine Übersetzungskabine geht, wodurch die Übersetzungssituation zusätzlich räumlich erfahrbar wird. Auch Okan Seese macht mit „Sprich Deutsch oder stirb!“ die Übersetzungsproblematik unmittelbar erfahrbar. Auf einem Video sieht man einen Gebärdensprechenden. Erst durch eine ausliegende Übersetzung der Gebärden, die man anhand eines Zeitcodes auf dem Bildschirm mitverfolgen kann, ist es möglich, die Gebärden zu „lesen“ und zu verstehen. Andere Arbeiten widmen sich neuen Übersetzungsmedien wie google (Takehito Koganezawas „Oracle“) oder fokussieren auf die Erfahrung des Fremden und der Unübersetzbarkeit bei der Konfrontation mit anderen Sprachen und Schriftbildern (wie der arabische Schriftzug „Shahab“ von Timo Nasseri oder die Verschränkung des NGBK-Logos mit dem arabischen Schriftzug „Know Thy Worth“ durch James Webb.)

Neben den Arbeiten, die sich diesen ganz konkreten Übersetzungserfahrungen widmen, gibt es besonders in der Deutschen Guggenheim solche, die eine Tendenz zu Selbstreferenz oder Formalismus haben. Lisa Oppenheims Filminstallation „Cathay“ ist dafür ein gutes Beispiel. Sie besteht aus einer visuellen Übersetzung eines 1915 erschienenen, gleichnamigen Buchs von Ezra Pound, das wiederum auf dem Fragment eines chinesischen Gedichts basiert, das Oppenheim ebenfalls visuell übersetzt, um dann beide Übersetzungen nebeneinander zu stellen. Eine Beobachtung zweiter Ordnung also? Ich kapituliere vor diesem Referenzwahn und schaue mir nicht ohne Interesse die farbfrohen, symbolgeladenen Bildchen an. Auch bei Brendan Fernandes’ „Foe“ gucke ich mir amüsiert wie betroffen dessen Sprachbemühungen an, eine Textpassage in unterschiedlichen Betonungen zu sprechen. Die Referenzen auf Coetzees gleichnamigen Roman, der sich wiederum auf Robinson Crusoe bezieht, die biografischen Bezüge zu Fernandes sowie zum Thema der Unterdrückung von Sprachen durch die Kolonisten erschließen sich jedoch nicht bei Ansicht der Arbeit, sondern überfrachten diese unnötig, anstatt ihr auf produktive Weise weitere Bedeutungsebenen hinzufügen.

An der Ausstellung „In anderen Worten“ störte mich neben meiner Überforderung durch die schiere Größe vor allem die Überfrachtung der Kunstwerke durch den politischen Anspruch, der im Katalog formuliert wird. Dort wird wiederholt vom Übersetzer als Schmuggler oder auch Versöhner zwischen den Sprachen und Kulturen gesprochen, doch lösen die wenigsten Arbeiten diesen Anspruch tatsächlich ein. Zudem wird dabei das Thema der Übersetzung zum Teil aus den Augen verloren – und die Arbeiten verlieren an Präzision oder wirken plakativ. Dies hängt auch damit zusammen, dass die Formate und Abstraktionsgrade der Arbeiten stark divergieren – von Installation, Video, Performance bis hin zu Zeichnung ist alles dabei, und nicht immer gelingt es den Arbeiten, diese Divergenzen durch einen überzeugenden Ansatz auszugleichen. Zum Beispiel Paolo W. Tamburellas Arbeit „World Languages“: Auf einem überdimensionalen Tisch liegen ca. 7500 graue, aus einer Mauer herausgehauene Steine, auf denen die Namen von Sprachen stehen. Sie sollen die „Fragmentierung der Sprachen der Welt in ein System von miteinander verknüpften, aber getrennten Inseln“ zeigen, wirken aber nur wie eine Ansammlung selbstbeschriebener Mauerstücke und schaffen es weder, ein Gefühl für die Vielzahl unserer Sprachen zu vermitteln, noch deren Bedrohung darzustellen.

Ein gemeinsames Problem beider Ausstellungen ist zudem, dass man häufig eine Übersetzungshilfe bräuchte, um die Referenzen und Kontexte zu verstehen, die jeweils verhandelt werden – nur die wenigsten Arbeiten sprechen dann doch tatsächlich für sich. Besonders bei „In anderen Worten“ handelt es sich zum Teil um so spezifische Kontexte, dass die Arbeiten kaum verständlich werden. So wird in der Videoarbeit von Rosângela Rennó ein Dialog zwischen zwei Menschen gezeigt, die zwischen kreolisch und französisch wechseln. Da die inhaltliche Ebene jedoch nicht erschlossen werden kann, weil es keine Übersetzung gibt, reicht der Wechsel der Sprache allein nicht aus, um den „Kampf der kulturellen Verhandlung ums Überleben“ der Kolonialisierten nachvollziehen zu können. Ähnlich geht es mir mit Guerrero Weissons Videoarbeit. Er unterlegt ein offizielles Werbevideo der ecuadorianischen Stadt Guayaquil mit Untertiteln auf Quechua. Doch ist weder das Video als solches zu entziffern, noch kann man als Nicht-Quechua-Sprechende(r) den Text verstehen.
Insgesamt handelt es sich um eine spannende Thematik, die unendlich viele Übersetzungsmöglichkeiten bereit hält. Im Vergleich der beiden Ansätze fallen vor allem die hausspezifischen Fokussierungen auf: wird in der Deutschen Guggenheim, die das Kind einer „einzigartigen Kooperation zwischen einer Bank und einem Museum“ ist, eine Ausstellung vor allem junger, international (gehandelter) Künstler gezeigt, liegt der Fokus bei „In anderen Worten“ zwar ebenfalls auf jüngeren, internationalen Positionen, doch bewegen sich diese eher am Rande des Kunstmarktgeschehens und werden mit einem politischen Anliegen verknüpft. Die Ausrichtung der Ausstellungen wirkt vor dem jeweiligen Hintergrund der Ausstellungshäuser plausibel und führt doch dazu, dass beide Unterfangen etwas überambitioniert wirken.
    

„In anderen Worten. Der Schwarzmarkt der Übersetzungen – mit zeitgenössischen Kulturen handeln.“ NGBK in 
Zusammenarbeit mit dem Kunstraum Kreuzberg/Bethanien, Oranienstraße 25, 10999 Berlin, 3.3.–15.4. 2012

„Found in Translation“, Deutsche Guggenheim, 
Unter den Linden 13/15, 10117 Berlin, 28. 1. – 9.4.2012

 
Christoph Keller „Interpreters“, 2008, Courtesy Galerie Esther Schipper (© )
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