Wer über Netzwerke reden will, sollte über Komplizenschaft nicht schweigen: Teilnehmende Beobachtungen aus dem prekären Berliner Alltag, der den Versuchungen des No-Budget-Jet-Set bisweilen mit dezidiertem Anti-Glam begegnet.
„Du bist wohl ein ziemlich guter Netzwerker.“ Das ist einer dieser unterschwellig beleidigenden Sätze, die gerne zwischen zwei Getränken dahin gesagt werden – und bei mir zu Anfällen von Richtigstellungen führen. Zuletzt gehört habe ich ihn in diesem Glaskasten mit wechselndem Namen neben dem Café Moskau, in dem in jüngster Zeit unter dem Motto „True Collectors“ einige sehenswerte Ausstellungen zu sehen waren – und wohl auch in Zukunft noch zu sehen sein werden. In bunter Runde saßen: Ein „True Collector“, der in Kreuzberg mit Büchern handelt und in den letzten Jahren eine kleine, feine und in ihrer Autonomie beeindruckende Privatsammlung aufgebaut hat. Außerdem ein von ihm protegierter Künstler, der Grenzbereiche der Abstraktion auslotet und einst in seinem Atelier im Prenzlauer Berg Gruppenausstellungen mit Leuten wie Andrew Gilbert organisierte. Und daneben eine Künstlerin, deren Wurzeln bis in die Westberliner Avantgarde der Achtzigerjahre zurückreichen und die mit selbstgebauten Lochbildkameras den Geist der „Genialen Dilettanten“ wiederaufleben lässt.
Später gesellten sich zu uns: Der Friedrichshainer Wohnzimmerkurator, der am Boxhagener Platz noch einmal den dissidenten Hauch einer spätsozialistischen Boheme inszeniert, seine bezaubernde Begleitung, die Zeichnungen auf Post-Its anfertigt und diese für fünf D-Mark anbietet und mein melancholischer Malerfreund aus Strausberg bei Berlin, dessen Ex-Kommilitonen inzwischen ganz andere Preise aufrufen. Eben weil er kein so guter „Netzwerker“ ist? Das wäre die neoliberale Antwort, die weder von den strukturellen Problemen des Kunst- und Kulturarbeitsmarktes im Besonderen noch von der Strukturkrise der Arbeitsgesellschaft im Allgemeinen etwas wissen will und auch die Verantwortung für individuelles Scheitern an monopolisierten Märkten noch dem Einzelnen aufs Brot schmiert. Hätte er halt mehr/besser/woanders/früher netzwerken sollen! Als verliefen relevante kommunikative Stränge rhizomatisch um drei Ecken und nicht ziemlich klar von innen nach außen.
Dazu verschleiert das N-Wort in seiner scheinbaren Neutralität den Begriff, der in Politik, Kunst und Gesellschaft eigentlich gründlich diskutiert gehört und dankenswerterweise inzwischen auch beispielsweise am Zürcher Institut für Theorie etwas gründlicher ausgeleuchtet wurde: Komplizenschaft. Dabei handelt es sich um ein Phänomen hoher Ambivalenz: So würde einerseits aufgrund der chronischen Unterfinanziertheit von so ungefähr allem in bestimmten Bereichen ohne die Verstrickung Eingeweihter schlicht nichts mehr auf die Beine gestellt werden – andererseits schafft die damit einher gehende Intransparenz der Entscheidungsfindung Verwirrspiele, die noch nicht einmal für ausgebildete Journalisten zu durchschauen sind.
Anlässlich des Wulff-Rücktritts wäre es übrigens ein guter Zeitpunkt, über Komplizenschaft auf Medienseite nachzudenken: Als nämlich ruchbar wurde, ein ehemaliger Ministerpräsident habe sich durch die Inanspruchnahme eines kostenfreien Urlaubes der Vorteilsnahme verdächtig gemacht, musste ich lachen: Kurzurlaub im Hotel Stadt Hamburg auf Sylt – was soll das?! Wenn nämlich ein niedersächsischer Automobilkonzern jemanden wie mich unverbindlich über sein Engagement für die Kunst informieren möchte, dann gibt es auch schon mal eine – in Ermangelung des nötigen Kleingeldes für einen neuen Reisepass abgelehnte – Einladung nach New York. Ins MoMA. Zu einer Party mit Madonna. Wenn also schon nur noch gelegentlich schreibende Niemande wie ich, die nicht mal einen Führerschein haben, so exzessiv hofiert werden, würde ich gerne erfahren, was der Standard für Entscheidungsträger ist.
Und jetzt die gute Nachricht: Aus den oft über Jahre gewachsenen Gemengelagen kommt man auch wieder raus, ohne gleich sein Gesicht zu verlieren oder die Stadt wechseln zu müssen. Meinen letzten „VIP-Brunch“ im goldenen Berliner Westen, der noch immer oder vielleicht auch schon wieder mit Kaviar um sich wirft, habe ich in weiser Voraussicht mit einem bereits gut gefüllten Magen voller Hartweizengrieß-Fusilli aus dem Discounter besucht. Was übrigens aus der Glaskasten-Verschwörung wurde? Nun: Am bisher nasskältesten Dienstagabend des Jahres kamen nicht nur so um die zweihundert mir bis dato weitgehend unbekannte Leute vorbei, um sich im Rahmen der Eröffnung eine brachiale „Industrial- Poetry“-Noise-Performance reinzutun und bis in den frühen Morgen zur Musik der frühen Sonic Youth und anderer euphorisierender Stimmungsmacher abzuhängen – das ganze Event wurde auch noch an diversen Stellen mehrsprachig rezensiert. Weswegen dann beim großen Abschlussdinner in der elsässischen Volksküche am Schlesischen Tor auch irgendwer auf die eher ungewöhnliche Idee kam, ausgerechnet auf mich – und nicht, wie zu erwarten, auf den Sammler, die Künstler oder wenigstens die Kunst – einen Toast auszubringen. Ich hatte mich, wie jeder „ziemlich gute Netzwerker“, anscheinend als zuverlässiger Komplize erwiesen.