Das Werk von Maria Eichhorn steht im klaren Gegensatz zum Werk von Hartmut Bonk. Und dennoch ließe sich über den Begriff der Skulptur im Sinne von Joseph Beuys eine Verbindung finden. Denn der gewählte Ort, der Karl-Marx-Platz, war am 1. Mai 1972 der Ort einer Aktion von Joseph Beuys mit dem Titel „Joseph Beuys: Ausfegen“. Das Ereignis vollzog sich wahrscheinlich für einen Großteil der anwesenden Personen, die nicht dezidiertes Publikum waren, jenseits der Wahrnehmungsschwelle. Mehr Aufmerksamkeit erregte der Künstler wohl durch seine Entlassung an der Akademie in Düsseldorf. Die Aktion von Maria Eichhorn nahm indirekt Bezug darauf, indem sie sich jeglicher Handlung enthielt. Dennoch stand eine Filmkamera in der Nähe, die das Geschehen als Geschehen festhielt. Aber auch hier war die Wahrnehmungschwelle deutlich auf minimal gesetzt. Die Frage nach dem Erbarmen stellt sich im Falle Eichhorn an ein unvollendetes Werk, wobei die inhärente Referenz jedoch Bedeutung schafft. Oder sollten wir Erbarmen zeigen mit diesem Selbstverständnis, das sich selbst nicht mehr in Frage stellen lassen will. Der Autor dieser Zeilen hat vor kurzem einen längeren Text über das Werk von Maria Eichhorn verfasst. Vom zuständigen Redakteur wurde dieser Text als eine Art „Steinbruch“ verstanden, der eine starke redaktionelle Überarbeitung nötig machte. Der Hinweis des Autors, dass Kunst zuweilen durchaus auch als Steinbruch auftreten kann, insbesondere was die zeitgenössische Kunst angeht, wurde nicht akzeptiert. Sollte der Text also Erbarmen mit dem Leser haben, damit er die Inhalte schneller schluckt? Das aber wäre die andere Seite des Erbarmens, die des Betrachters, des Lesers, den wir nicht kennen und zumeist auch nicht kennen lernen wollen. Erbarmen! Erbarmen? Erbärmliche Kunst produziert erbärmliche Texte. Wer Erbarmen mit dem Leser zeigt, meint es zu gut. Wer sagte es noch mal? Kunst ist Kunst und alles andere ist alles andere. Das heißt dann auch, „erbärmliche Kunst“ als das zu zeigen, was sie ist: schlechte Kunst. Aber was fangen wir mit der Kunst an, die eben nicht erbärmlich ist, aber deshalb das Erbarmen umso mehr verdient? Und sind wir uns dessen sicher? Ja, ganz sicher. Es gibt schlechte Kunst wie es gute Kunst gibt. Schlechte Kunst hat ihre Umstände wie gute Kunst. Gute Kunst allerdings hat den Nachteil, dass sie sich selten als solche gibt. Es gibt das Ereignis, das die gute Kunst in den Hintergrund stellt. Das lässt sich jetzt gerade erleben an der Rentierherde im Hamburger Bahnhof, einem Projekt von Carsten Höller. Die Frage nach den Rentieren in der Ausstellungshalle ist so erbärmlich, wie die Frage nach dem Güterwaggon am gleichen Platz. Kein Erbarmen mit der Kunst und vor allem kein Erbarmen mit dem Publikum. Es hat es so verdient.
Thomas Wulffen
Maria Eichhorn, „Aporien der Liebe“, Karl-Marx-Platz, 12043 Berlin-Neukölln