Psycho-Fashion-Show / Hau 2

Post-Mindmapismus in 3D

2010:Dec // Wayra Schübel

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11-2010
















Der aufnahmefähige und leicht zu beeindruckende junge Mensch, der in den 1980er Jahren höchstens zartbesaiteter Teen­ager war, empfindet in seiner persönlichen Vita diese Epoche wichtiger als sämtliche andere: Die 80er sind bis heute präsent, in welcher eklektizistischen Zubereitung auch immer. Unter diesem Blickwinkel ist das Projekt sehr gut zu verdauen, das der Künstler der Esther Schipper Galerie, Christopher Roth (geboren 1964) zusammen mit dem Journalisten Georg Diez ( geboren 1969) am 9. Oktober im Hau2 anrichtete, die „80*81 Psycho-Fashion-Show“.

Christopher Roth und Georg Diez haben dieses Thema ein ganzes Jahr lang untersucht, woraus vier Publikationen und vier performative Aufführungen entstanden sind. Bei Motto Distribution in der Edition Patrick Frey sind erschienen: Volume One („What happened?“), Volume Two („California über alles“), Volume Three („Mao III“) und Volume Four („u2-4u+8=0“), zu denen wiederum ergänzend die Aufführungen in Zürich, Hamburg und in Berlin zu sehen sind. Die Fülle an Material ist überbordend.

In Zusammenarbeit mit Künstlern, Astrologen, Philosophen, Psychologen, Schriftstellern, Filmregisseuren, Schauspielern und DJs, allerdings aber ohne Fashion-Designer, werden Ereignisse dieser beiden Jahre gegenübergestellt. Zu Beginn sind alle aufgefordert, sich in den vier Stunden der Aufführung frei zu bewegen. Im Theatersaal des Hau2 sind zwei Leinwände aufgespannt, eine für 80, eine für 81. Zu deren Füßen befindet sich eine Art Laufsteg, auf dem Akteure nach 81 Schritten, getanzt, gelaufen, gesteppt, geschlichen, das Programm der Leinwände per Knopfdruck verändern. Während sie sich über den Laufsteg bewegen, unterbrochen von Lesungen, jagen über die Leinwände verschiedene Zusammenschnitte aus Clips der Themenjahre, dazwischen sind die vier Aufführungen vorgesehen.

Die Flut an Zitaten, Bildern und Geräuschen ist in der Tat hypnotisierend, ebenfalls das Format, in dem sich diese Menge an Recherchematerial relativ selbstläufig miteinander verknüpft.

Darstellerisch war es mir zu gequetscht, zu angespannt – was als seltener Theatergast, der ich bin, vor allem in den Momenten auffiel, in denen das Publikum aufgefordert wurde, mitzumachen. In der Aufführung der zweiten Geschichte (die erste handelte monologisierend von einer besonderen astronomischen Konjunktion, die um diesen Jahreswechsel herrschte) ging es um das Datum 13. Mai 1981. Dieser Tag, an dem der polnische Papst angeschossen wurde, war auch 64 Jahre zuvor der Erscheinungstag der Maria im portugiesischem Fátima gewesen. Nach einer anstrengenden, folgenden Ausführung, wurden endlich die Anwesenden aufgefordert, die Erschießungsszene nachzuspielen. Und genau dieses Spielerische und Ungezwungene konnte den leise entstehenden verschwörungstheoretisch-mystizistischen Beigeschmack wieder wegspülen.

Nur war es am Samstag nach vier Tagen Kunstmesseereignissen nicht mehr richtig möglich, auf ein aufnahmefähiges Publikum zu bauen, das sich mit Wonne in diesen stroboskopischen Sog hineinbegeben konnte. Doch hartnäckige Offenheit, samt der Bereitschaft sich überfluten zu lassen, ermöglichte auch diverse Erkenntnisse:

Ein Wir-Gefühl im Publikum verursachte eine für den streng taxierenden Kunstkontext der vorangegangenen Tage eine ungewöhnlich freundliche Gemeinschaft. Herrje – ist das denn wirklich schon 30 Jahre her, dass sich die blutjunge Brooke Shields für die Jeanswerbung geräkelt hat – denn viel hat sich im Konzept der Calvin-Klein-Werbekampagne seitdem nicht geändert. Die damals so bockig und hart daherkommende Kim Wilde sieht aus der Oktober-2010-Perspektive plötzlich ganz weich und feminin aus. Die früher beneidenswert durchtrainierte Grace Jones ist durch meine heutige Brille schwer überhaupt als Frau erkennbar. Diese Erscheinungsformen des Weiblichen sind mir nah, wo sie so fern zurückliegen.

Die Überflutung der vielen Bilder, Wörter, Sinneinheiten, die das nur locker dirigierte Geschehen miteinander verknüpften; die scheinbar zusammenhangslosen Bild-, Situations- und Wortzitate (kleine Auswahl: Michel Serres, Enki Bilal, William S. Burroughs mit Andy Warhol im Chelsea Hotel, Alain Badiou über Jacques Lacan, Isa Genzken, Bob Marley, Ronald Reagen, Max Bill, C.G. Jung, Samuel Beckett, John Cage, Helmut Kohl, Slavoj Žižek) erzeugen in mir tatsächlich eine düstere Ahnung: Die aufgestellte These, dass ausgerechnet diese beiden Jahre wie keine vor und nach ihnen das kulturelle, soziale und kulturelle Bewusstsein auf globaler Ebene geprägt haben können, kann stimmen. Natürlich bleibt es diffus, denn es entbehrt der Mitteilbarkeit. Dennoch hatte es unmittelbar einen tiefen Eindruck hinterlassen. Das ist doch mal was.

Wayra Schübel

„80*81 Psycho-Fashion-Show“, Hau 2, Hallesches Ufer 32, 10963 Berlin, 9. 10. 2010

Grace Jones, Cover „Nightclubbing“, 1981 (© the authors)
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