Monika Bobinska / Sie sind seit dreißig Jahren als freischaffende Künstlerin aktiv. Dieser Beruf wird nicht unbedingt bei der Berufsberatung empfohlen. Wie ist die Entscheidung, Künstlerin zu werden, zustande gekommen?
Carola Göllner / Da kamen einige glückliche Umstände zusammen. Zunächst hatte ich eine Kunstlehrerin, die mich sehr ermunterte und mir die Möglichkeit eines Studiums als nichts Absurdes vorstellte. Dann wurde ich auch gleich bei der ersten Bewerbung an der Hochschule in Berlin angenommen. Bis dahin war noch kein zäher Wille vonnöten. Auch nach dem Studium lief zunächst vieles vielversprechend. Die Achtziger hatten ja mit den „Jungen Wilden“ einen regelrechten Malereiboom beschworen. Da kaufte auf einmal jeder Bilder wie eine gewinnbringende Aktie. Das ist lange her. Seit den Neunzigern ist es sehr schwer geworden, sich als bildender Künstler über Wasser zu halten.
Bobinska / Wie unterscheidet sich aus Ihrer Sicht der Künstleralltag von dem von Normalberuflern?
Göllner / In manchen Lebensbereichen existiert der Beruf gar nicht. Bei der Autoversicherung war er beispielsweise gar nicht aufgeführt. Die Alternative „Artist“ hätte allerdings als Risikogruppe einige Mehrkosten verursacht. In einigen Punkten unterscheidet sich der Beruf des Künstlers in keiner Weise von anderen prekären Berufen. Auf Ämtern und in Behörden gibt es hier jedoch ständig Erklärungsbedarf. Dass man als Künstler kein regelmäßiges Einkommen hat, stößt hier zum Beispiel ständig auf Unverständnis. Dass nach einem Bildverkauf gerne mal monatelang kein Einkommen folgt, ist für Leute, die nach Beamtentarif bezahlt werden, unvorstellbar. Der logische Einwand ist dann meist, dass man eine so wenig gewinnbringende Beschäftigung doch einstellen und sich einer lukrativeren zuwenden sollte. Die Logik ist zwar nicht zu bestreiten, aber das zeigt deutlich, wie der Beruf „Künstler“ zumindest in Deutschland in den meisten Köpfen verankert ist.
Bobinska / In einem Interview sagten Sie einmal, dass grade mal fünf Prozent der freischaffenden Künstler von ihrer Arbeit leben können?
Göllner / Das ist der Prozentsatz, der mir damals bei der Studienberatung genannt wurde. Zur Abschreckung nehme ich an. Tatsache ist jedoch, dass es darüber keine zuverlässigen Statistiken geben kann. Das fängt mit der Frage an, ob man alle, die in Selbstbezeichnung Künstler sind, dazuzählen will oder nur solche mit einer entsprechenden Ausbildung. Dann werden auch mit Sicherheit viele unwahre Aussagen über die eigene finanzielle Situation gemacht.
Bobinska / Wie meinen Sie das?
Göllner / Die meisten Käufer sind unsicher, was den Wert eines Kunstwerkes betrifft und möchten etwas über den Marktwert des Künstlers erfahren. Da ist es natürlich kontraproduktiv, wenn man von Nebenbeschäftigungen oder gar dem Jobcenter anfängt. Bohème ja, Armut – nein danke. Aus Mitleid wird keine Kunst gekauft. Das führt dann natürlich zu geschminkter Selbstdarstellung und Falschaussagen über die soziale Realität.
Bobinska / Seit über zwölf Jahren sind Sie Mitglied der Freien ArbeiterInnen Union. Wie kam es zu Ihrem Beitritt?
Göllner / Schon während des Studiums begreifen sich viele Kunststudenten als Einzelkämpfer, die Kommilitonen als Konkurrenten. Diese Vereinzelung ist aber aus meiner Erfahrung kein Erfolgsgarant, sondern schafft neben einer giftigen Atmosphäre eine Entsolidarisierung. Im Berufsalltag führt es oft dazu, dass unzumutbare Bedingungen durch permanente Selbstausbeutung herrschen. Auf dem Niveau, auf dem sich die meisten Kollegen befinden, wird erwartet, dass der Künstler alles selbst macht, organisiert und bezahlt wie z. B. Transporte, Hängung der Ausstellung usw. Oft wird auch noch eine finanzielle Beteiligung an Werbung und Katalogen erwartet. Nach dem Motto, wenn nicht du, ein anderer macht’s gerne umsonst. Gäbe es da eine klare Struktur, feste Parameter und Solidarität unter den Kollegen, wäre die Situation nicht so verheerend. Darauf zu hoffen, dass sich die Profiteure dieses Systems selbst maßregeln und ihre Möglichkeiten einschränken, ist absurd. Nach etlichen schlechten Erfahrungen hatte ich ein großes Bedürfnis nach Austausch und Organisation. Zunächst war ich Mitglied im Berufsverband Bildender Künstler. Das fand ich total enttäuschend. Ein sehr bürokratischer, umständlicher und altbackener Verein. Dann las ich in einem Zeitungsartikel über die Selbstorganistion in der FAU, über Basisgewerkschaft und Direkte Aktion. Das sprach mich sofort an.
Bobinska / Was ist der Unterschied zwischen einer gelben Gewerkschaft* und der FAU für Sie, und was kann eine Gewerkschaft wie die FAU einem Künstler konkret bieten?
Göllner / Das Ganze ist grundsätzlich anders. Ich brauchte eine ganze Zeit, um diese prinzipiellen Unterschiede zu verstehen. Es fängt damit an, dass es keine Hierarchien gibt und keine bezahlten Funktionäre. Das hohe Maß an Mitbestimmung bedeutet natürlich auch, dass es keine Dienstleistung gibt. Wie sehr wir dieses Dienstleistungsdenken gewohnt sind, wurde mir hier wieder einmal klar. Selbst aktiv zu werden, Aktionen durchzuführen, selber zu organisieren, was einem wichtig und angebracht erscheint – also wie ich als Künstlerin gewohnt bin, zu handeln – konnte ich in der FAU gleichermaßen einbringen. Als einzige Malerin in der ganzen Kulturbranche hatte ich allerdings auch hier einiges zu erklären, was die berufliche Realität anging. Auch wenn es viele Parallelen zu anderen kreativen Selbständigen gibt. Die Erfahrung der Solidarität fand ich dabei am eindrucksvollsten. Um mal ein Beispiel zu nennen: Vor einigen Jahren hatte ich eine Einzelausstellung in London. Der Galerist hielt sich nicht nur nicht an die finanzielle Kostenregelung, d.h., er bezahlte den Rücktransport der Bilder nicht. Zusätzlich hatte er fahrlässig durch schlechte Lagerung ein großes Ölbild zerstört. Der BBK bietet juristischen Beistand nur bei „erfolgversprechenden Fällen“ an. Eine sehr vage Voraussetzung. Die FAU ist international sehr gut mit anderen Basisgewerkschaften und ähnlich strukturierten Organisationen vernetzt. Nachdem etliche Schreiben an den Galeristen unbeantwortet geblieben waren, fand sich die Sol Fed (englische Gewerkschaft vergleichbar der FAU) zu einer spontanen Aktion in den Galerieräumen bereit, um den Forderungen nach Bezahlung Nachdruck zu verleihen. So etwas hatte ich noch nie erlebt und auch von Kollegen nichts Vergleichbares gehört. Es ist ein gutes Gefühl, als Künstler nicht isoliert zu sein und die Unterstützung zu bekommen, die man bei anderen Gewerkschaften und Berufsverbänden nicht erhält, nämlich als das, was man ist, ein permanent Prekärer.
*„Gelbe Gewerkschaften […] sind oft ordoliberal orientierte Gewerkschaften. Sie wenden sich gegen die von den „roten Gewerkschaften“ vertretenen sozialistischen oder sozialdemokratischen Ideen. Sie stellten eine Vereinigung von Arbeitnehmern dar, die den gewerkschaftlichen Kampf ablehnen, wirtschaftsfreundlich auftreten, ein freundschaftliches Verhältnis zu den Unternehmern anstreben …“ (Wikipedia)