Als fadenscheinig bezeichnete man ursprünglich ein Gewebe, das so schlecht verwebt war, dass man den Faden durchscheinen sah. Dieser buchstäblichen Bedeutung des Wortes kamen im Laufe der Sprachentwicklung weitere semantische Ebenen hinzu; es wurde mehrdeutig. Fadenscheinig werden nunmehr meist Aussagen genannt, die auf leicht durchschaubaren Argumenten fußen.
Die Arbeiten von Ceal Floyer bewegen sich in diesem Spektrum einer inszenierten Doppelbödigkeit, indem sie Motive und Töne aus dem Alltag sowie in der Kunstgeschichte findet und auf eigentümlich wörtliche Art miteinander konfrontiert. Dabei kommt dem Titel, also der Werkbezeichnung, zumeist eine tragende Rolle zu.
„Show“ heißt die monographische Ausstellung in den KunstWerken, gezeigt werden große raumgreifende, neben kleinen versteckten Arbeiten der Künstlerin. Der Titel ist eine wörtliche Bezeichnung dessen, was stattfindet, eine Ausstellung, nichts weiter. Weder werden die ausgestellten Arbeiten einem Motiv noch einem strukturellen Phänomen untergeordnet. Und dieses Spiel mit Verweisen, seien es selbstreferentielle oder solche, die sich auf etwas anderes beziehen, zieht sich in unterschiedlichen Arten durch die gesamte Ausstellung, was wiederum ein Verweis ist.
Gleich zu Beginn wird der Illusionismus als Phänomen auf die Schippe genommen. Man sieht sich einem schweren roten Samtvorhang, hinter dem man eine Bühne vermutet, gegenüber. Der Spot eines Scheinwerfers schürt die Anmutung einer Bühne, auf der gleich ein Auftritt stattfinden könnte. Nur ist es kein realer sondern nur ein projizierte Vorhang, der Spot hingegen ist mit einem realen Spot als Lichtprojektion kongruent. Die ganze Situation ist Fiktion. Allein diese in ihrer Anlage durchaus simple Arbeit steckt schon voller Anspielungen, von denen ich die für Ceal Floyer immer wieder ins Feld geführte Referenz zur Minimal Art aufgreifen will.
Nicht an die Objekte der Minimal Art selbst lässt sich an dieser Stelle denken, wohl aber an deren Kritik durch Michael Fried (1967). „Bühnenpräsenz“ und „theatralischer Effekt“ waren die vernichtenden Worte, mit denen Fried den Werken sogar ihren Kunststatus abzusprechen glaubte. („Das Eintreten der Literalisten für die Objekthaftigkeit bedeutet nichts anderes als ein Plädoyer für eine neue Art von Theater, und Theater ist heute die Negation von Kunst.“) Die Kritik von Fried ist weitaus komplexer, als diese Fragmente vermuten lassen. Im Kern richtet sie sich gegen die phänomenologische Betrachtungsweise der Minimal Objekte, die insbesondere von Robert Morris in seinen „Notes on Sculpture“ (1966–67) mit variablen Parametern beschrieben wurden. Raum, Licht und Betrachter sind demnach die sogenannten Variablen eines Werkes, denn sie lassen es je nach Situation, je nach Lichtverhältnissen im Raum, je nach Betrachterstandpunkt anders erscheinen. Genau darin glaubte Fried theatralische Züge zu erkennen, schließlich sei man wie im Theater mit einer temporären Situation konfrontiert, die den Betrachter umfasst. Was hier den Objekten der Minimal Art zum Vorwurf gemacht wurde, wird von Ceal Floyer als Fiktion in buchstäblicher Form inszeniert, beinahe konterkariert. Sie schafft die Illusion einer Bühne, ohne Objekt.
Und die Referenz zur Minimal Art trägt sie noch weiter. In der großen unteren Halle der KunstWerke breitet sich ein Feld aus insgesamt 50 weißen rechteckigen Säulen aus, die allesamt in gleichmäßigen Abständen zueinander positioniert sind. Bewegt man sich durch dieses Feld hindurch, ertönt, einem Intervall folgend, immer wieder das Wort „Thing“. Das verschiedenen Popsongs entnommene Wort trifft sich mit dem Ding, aus dem es in den Raum hineinklingt. Was man sieht scheint identisch mit dem, was man hört, jedenfalls auf einer oberflächlichen semantischen Ebene. Vom Prinzip ist diese Arbeit vergleichbar mit der visuell-akustischen Installation „Scale“ für die Ceal Floyer 2007 den Preis der Nationalgalerie bekam. Aus einer Treppe, deren Stufen aus Lautsprechern bestanden, erklangen Töne, die denen des Treppensteigens ähnlich waren.
Zum einen greifen Arbeiten dieser Art formal das Vokabular der Minimal Art auf, doch wird durch die akustische Dimension eine weitere Ebene hinzugefügt, welche in der wörtlichen Bezugnahme auf das Objekt, dieses gleichsam durch Verstärkung konterkariert.
In der Referenz auf die Minimal Art viel eindeutiger hat dies Rodney Graham mit seinen Bücherregalen, die zweifellos an einzelne Objekte von Donald Judd erinnern, gelöst: Indem er diese scheinbar referenzlosen Objekte Donald Judds rekonstruierte und mit der naheliegendsten Funktion ausstattete, als Bücherregal herzuhalten. Nicht zufällig stand darin eine Ausgabe von Sigmund Freud „Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten“. Doch so eindeutig sind die Anspielungen von Ceal Floyer nicht, sie geht subtiler vor und hat auch nicht nur die Minimal Art im Visier, gleichwohl ihr eigenes Vokabular durchweg von der formalen Sprödigkeit lebt.
Eine weitere Arbeit, in der man eine deutliche Anspielung auf die „Mesurement Rooms“ (erstmals 1968) von Mel Bochner sehen kann, ist „Title Variable: 5 m 29“. Wie Bochner misst sie einen Raum in der Ausstellungshalle ab und überträgt die Maße direkt auf die Wand, mit dem markanten Unterschied allerdings, dass sie kein Metermaß zum Abmessen nimmt, sondern ein Gummiband. Die Variabilität der Maßangaben (als gängige Bezeichnung von Werken: Maße variabel) ist bis zur Extremform gespannt, und dies wortwörtlich. Ähnliches geschieht auch mit dem Kassenbon, der ausschließlich weiße Produkte aufführt, die im Titel als „Monochrome Till Receipt (White)“ bezeichnet werden. Natürlich sind die Materialien (Pilze, Mozzarella, weiße Bohnen, Eier usw.) allesamt einfarbig und erfüllen damit das Kriterium der Monochromie, einerseits. Andererseits sind die Kaskaden von Worten buchstäblich nicht monochrom, erst das Wissen um die gleiche Farbigkeit der aufgelisteten Dinge, verbindet diese. In der Anspielung auf die Tradition der monochromen Malerei wirkt der Transfer dieser Bezeichnung auf die alltägliche Ebene des Einkaufswagens wie ein kleiner Schock. Konfrontiert Ceal Floyer hier doch das Sublime (monochrome Malerei) als Bezeichnung mit dem profanen Kassenbon und generiert damit frei nach Freud eine komisch-humorvolle Situation.
Sentimental wird es dann beim Ständer für Postkarten. Dieses handelsübliche Objekt enthält leider keine Postkarten mehr und visualisiert damit eine der Postkarte an sich eingeschriebene Absenz. Schließlich diente dieses historische Andenken nicht selten als Träger für Sätze wie „Wish you were here“ (so der Titel der Arbeit). Die semantisch artikulierte Absenz trifft sich mit der formalen des Werkes und verstärkt sich dadurch selbst.
„Romantischer Konzeptualismus“ war als Ausstellungsidee darauf ausgerichtet, die Dialektik romantischer Motive von Sehnsucht und Melancholie auf der einen Seite und konzeptueller Rationalität und Formalismus auf der anderen Seite zusammenzudenken. Insbesondere diese Arbeit Ceal Floyers hätte sich in das Konzept sicherlich gut integriert.
Insgesamt ist das produktionsästhetische Verfahren, das hinter der Arbeit von Ceal Floyer steckt, heuristisch (von „heureka“ – ich hab’s). Sie findet Situationen im Alltag, kleine Banalitäten, seien es Töne, Objekte oder Worte und denkt diese subtil mit dem bestehenden Vokabular der Kunst (Wort oder Objekt) zusammen, konfrontiert nicht selten und schafft so mehrdeutige humorvoll-komische Interaktionen, von denen man sich gerne überraschen lässt.
Ceal Floyer „Show“, KW Institute for Contemporary Art,
Auguststraße 69, 10117 Berlin, 23.08.–08.11.2009