Kulturgipfel K2 und Projektraum-Netzwerk

2012:Dec // Birgit Effinger

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12-2012

















Alles lieber als Glauben Hoffen Warten
/ Kulturgipfel K2 und Projektraum-Netzwerk

Momentan pfeifen es – trotz winterlicher Witterung – selbst die Spatzen von den Dächern: Ein Wandel ist fällig, damit es nicht noch schlimmer wird! An zehn Fingern lässt sich abzählen, dass die Kunststätte Berlin nicht mehr wie eine verpackte Ware verkauft werden kann. Die Bredouille ist längst vertraut: Die Gestaltungsspielräume der weltweit so gefeierten Berliner Kunst- und Kulturszene werden zunehmend enger, bezahlbare Wohnungen, Arbeits- und Projekträume drohen ein für alle Mal zu verschwinden. Der Katalog der Fehlentwicklungen lässt sich fortsetzen. Nicht zu vergessen sind dabei die chronisch unterfinanzierte Atelierförderung und die permanent vom Absturz bedrohten kommunalen Galerien. Derzeit fließen von den 362 Millionen des Kulturetats (mickrige 3 Prozent des Gesamthaushaltes) 95 Prozent in institutionelle Einrichtungen, während die Kulturschaffenden der freien Szene um die kläglichen fünf Prozent wetteifern und am Existenzminimum herumhangeln. Kurzum: Die finanziellen Bedingungen sind desaströs, die Frustrationstoleranz ist überschritten.

Mittlerweile hat sich dank zahlreicher Initiativen und Positionspapiere der Etikettenschwindel des Marktplatzes Berlin zum Glück herumgesprochen. Eine neue Geometrie der Kulturförderung tut not. Die ‚Initiative Stadt Neudenken‘ engagiert sich für die überfällige Neuausrichtung der gewinnmaximierten Berliner Liegenschaftspolitik. Die kritische Platt­form ‚Haben und Brauchen‘ fordert eine Kulturpolitik, die den Namen auch verdient und entwickelt Kriterien für tragfähige, zukünftige Möglichkeitsbedingungen. Das ‚Netzwerk freier Projekträume und -initiativen‘ steht für selbstorganisierte, künstlerische Laboratorien, die sich bei weitem nicht nach Musealisierung sehnen, und streitet für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen selbstorganisierter Projekträume. Die ‚Koalition der Freien Szene‘ macht sich für die zu erwartenden Mehreinnahmen der zukünftigen ‚City Tax‘ stark. Dieser heiß begehrte ‚neue‘ Geldsegen muss auch im Ausgabetitel des Gesamthaushaltes als Kulturförderabgabe kenntlich werden, um dann nach weiteren zu erwartenden Rangeleien zu 50 Prozent auch de facto bei der freien Szene anzukommen. Neben dem BBK, dem Rat der Künste und den bereits Genannten treten allerorten neue Allianzen auf den Plan, die ihren Unmut breitenwirksam formulieren.
Der stete Tropfen der Selbstermächtigung scheint die steinerne Fördersackgasse allmählich zu höhlen. So deutet das verwaltungstechnisch für alle Beteiligten bequem abzurechnende Preisgeld von insgesamt 210.000 Euro für sieben jurierte, ausgewählte Projekträume eine tendenzielle Kurskorrektur an, wenn auch nicht im gewünschten Modus und Umfang.

Und siehe da, inmitten der unermüdlichen konstruktiven Debatten und Schulterschlüsse flattert bei 80–100 Künstlern, Kunstvermittlern, Kulturschaffenden und Journalisten eine stattliche, frühstücksbrettdicke Einladung herein, – vorderseitig bedruckt mit dem vandalismusresistenten Farbspritzerdesign der Berliner U-Bahn-Sitze – zum überfälligen Dialog über die strategische Entwicklung neuer Perspektiven und Optionen. Die Offerte, die in groben Zügen das von ‚Haben und Brauchen‘ angestrebte Dialogmodell zwischen Senat, freier Szene und Vertretern der Kunstinstitutionen aufnimmt, brachte natürlich auch allerlei Zündstoff mit sich. 50.000 Euro hat sich die Kulturverwaltung den zweitägigen ‚K2-Gipfel‘ kosten lassen, der von der beauftragten ‚Berliner Zentralen Intelligenz Agentur‘ (ZIA) ausgerichtet wurde. Indes ließen das Label ‚K2‘ wie auch die Wahl des Camouflagemusters nicht unbedingt erkennen, dass die Veranstalter sich übergreifende Gedanken gemacht haben. Zum Beispiel geht das rotblaue, allerseits bekannte Polstermuster der Berliner Verkehrsbetriebe auf jene Razzle-Paintings zurück, mit denen abstrakt malende Künstler die Kriegsschiffe der alliierten Flotten des Ersten Weltkriegens bemalten. Flirrende Muster, Streifen und Scheinsilhouetten sollten klare Konturen aufbrechen, die gegnerische Aufklärung verwirren und die Bestimmung der eigenen Position und Geschwindigkeit erschweren. Dieses ästhetische Prinzip der Unschärfe legte im Kontext der zu erwartenden Veranstaltung und nach etlichen Geldrauswurfsdebakeln wie ‚Based in Berlin‘ oder der jüngsten ‚Berlin Biennale‘ selbstredend nahe, ein komplexes Manöver zur Verwirrung zu befürchten, getreu dem Motto „If they don’t see you, they can’t shoot you“, oder allenfalls ein gleichermaßen verwaschenes, folgenloses Memento zur Erhaltung von Grauzonen. Im Vorfeld fragte man sich, ob das Geld nicht besser für weitere Projektraumpreise ausgegeben worden wäre. Zudem wurden lediglich die als ‚Sherpas‘ bezeichneten Personen honoriert, die für die Betreuung der acht Arbeitsgruppen verantwortlich waren. Die Mitwirkung der eingeladenen freischaffenden Kulturschaffenden sollte, den leidigen Gepflogenheiten entsprechend, unbezahlt vonstattengehen und die bewertende Moderation der ‚Zentralen Intelligenz Agentur‘ wurde ihrem Namen nur einigermaßen gerecht.

Ungeachtet dieser Mängelliste eröffnete die arbeitsintensive Veranstaltung einen erstmaligen Raum, in dem unterschiedliche Akteure samt ihrer divergierenden Fach- und Sprachkulturen sich aufgeschlossen und unmissverständlich über ihre Interessen und Standpunkte im Hinblick auf die Gestaltung der Kulturförderpraxis verständigten und sich gemeinsam Gehör verschafften. Das mag nach poliertem Verwaltungsberichtsjargon riechen und war gleichwohl ein produktives wie vielstimmiges Zusammenwirken, bei dem Diskurse um zukünftige Konzepte verhandelt und Erfordernisse koordiniert wurden.
Holzschnittartig skizziert kamen die Forderungen nach stabilen Produktions- und Arbeitsbedingungen für die selbstorganisierten Ausstellungsorte ebenso zur Sprache wie aus­stehende Ausstellungshonorare, die Berücksichtigung der Vielfältigkeit anstelle privilegierter Glanzkultur, der unterschiedliche programmatische Anspruch der Institutionen und die berechtigte Furcht vor Neutralisierung und Vereinnahmung, um nur einige der zahlreichen Aspekte zu nennen. Quintessenz ist: Wir brauchen neue Qualitäten der Förderkoordinaten, um die zahlreichen Projekträume und die vielgestaltige Kunstproduktion am Leben zu erhalten. Das kann bestimmt nicht durch einen fix geschneiderten Masterplan, sondern nur mit der konsequent organisierten Einbindung aller Akteure gelingen.
Was also ist zu tun? Eine Option kann in der gemeinsamen, feldübergreifenden Artikulation respektive einem bislang begrifflich noch ungetauften Kooperationsverbund aus Interessensvertretern liegen, der die strategischen Entscheidungen der Kulturpolitik in regelmäßigen Arbeitstreffen beeinflusst. Noch ist offen, wie diese zu bildende Schnittstelle von freier Szene, Institutionen, Politik und Verwaltung gestaltet werden kann. Einen Versuch ist es wert, sofern es für jeden am Tisch klar erkennbare Chancen gibt. Ein solches Setting wäre jedenfalls eine glaubwürdige Fortsetzung des begonnenen Dialogs. Nicht mehr als ein Anfang, aber auch nicht weniger. Dass perspektivisch mehr draus wird, kann eine forcierte kulturpolitische Kurskorrektur beweisen. 
Nina Sidow "Schützenswert", 1995-1996 (© Lothar Schiffler)
Comme-des-Garçons-Shop Brunnenstraße (© Birgit Effinger)
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