Zeigen

Temporäre Kunsthalle

2010:Feb // Peter K. Koch

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02-2010
















Vorher: Und ich dachte, dass die Gigantomanie vorbei wäre und das Downsizing eingesetzt hätte. Aber jetzt wetterleuchtet es in der Temporären Kunsthalle gewaltig. Die Namensliste riecht nach Europarekord. 566 teilnehmende Künstlerinnen und Künstler bei einem einzigen Projekt. Das ist gigantisch. Es geht also doch immer größer. An eine vergleichbar umfangreiche Namensliste kann ich mich nicht erinnern. Und Netzwerkprojekte gab es nun wirklich nicht wenige in den letzten zehn Jahren. Kann es nach Karin Sanders Projekt „Zeigen. Eine Audiotour durch Berlin“ noch eine Steigerung geben oder ist damit das Thema Netzwerkausstellung abgehakt? Auf jeden Fall wird eine neue Marke gesetzt. Da kann man es in Zukunft erst mal langsam angehen lassen.

Das Projekt ist allerdings etwas raffinierter angelegt, als die x-beliebige Netzwerkgeschichte, wo jeder gerade mal das anschleppt, was er daheim hat. Die Künstlerinnen und Künstler liefern ihre Arbeit nicht in physischer Form an, sondern, der Titel verrät es bereits, sie liefern eine Audiodatei, mit der sie eine Arbeit oder ihre Arbeitsweise erklären oder besprechen oder besingen, klopfen, schreien, flüstern oder was weiß ich was. Die einzelnen Arbeiten sollen dann beim Hören unter Zuhilfenahme eines Audioguides im Kopf des Hörenden sichtbar werden. Das ist eine schöne Idee. Was die Künstlerinnen und Künstler hörbar machen, das ist, wie bei jeder anderen unspezifischeren Netzwerkausstellung, vollkommen frei. Sinnvoll wird das Projekt wahrscheinlich deshalb sein, weil es einen ziemlich tiefen Einblick in die örtliche Kunstproduktion zulassen wird. Und die ist in ihrer Ausdehnung ja auch der Wahnsinn. Aber vielleicht hätte man statt der 566 besser 2000 Namen auf der Liste haben müssen. Dann wären so ziemlich alle dabei, die aktuell professionell im System arbeiten. Aber die Liste beweist auch so schon zwei Dinge: nämlich erstens, dass Karin Sander in der Stadt einen guten Namen hat und bestens vernetzt ist und zweitens, dass die Eingeladenen wissen, welchen Stellenwert diese Art von Netzwerkausstellungen immer schon gehabt haben, und dass besonders diese ins absolute Extrem aufgebohrte Form dieser Spezies in ihrer im Ganzen unrezipierbaren Form etwas Monolithisches entfalten wird. Und so machen alle gerne mit und stellen sich in den großen Künstlerchor, der von Karin Sander orchestriert wird.

Die unüberschaubare Menge der erzeugten Audioarbeiten dürfte in ihrer Gesamtheit tatsächlich etwas Unrezipierbares haben. Jede eingereichte Audiodatei soll eine maximale Länge von zwei Minuten haben, was bei 566 Projekten schlimmstenfalls 1132 Minuten wären, was einer maximalen Ausdehnung von 18,86 Stunden entspräche. Das schafft nicht mal der härteste Rezipient. Da muss man sich die Rosinen raus picken. Sonst geht’s nicht. Es wäre doch mal eine schöne Idee, ein Projekt zu machen, an dem alle Künstler weltweit mitmachen MÜSSEN! Wie viele werden das sein? Zwei Millionen?

Nachher: Okay, es ist wirklich gigantisch gewesen. Und es sah auch gut aus, so ein leerer Raum, in dem lediglich die 566 Künstlernamen, jeweils versehen mit einer Nummer, nebeneinander in kleiner Schriftgröße in an der weißen Wand standen. Als Objekte im Raum dann nur die Menschen mit den Kopfhörern. Was man da hören konnte, das war auf den ersten Lausch auch irre abwechslungsreich. Wirklich, nach den ersten zwanzig Beiträgen, da dachte man, wow, jeder Künstler ist total anders. Da ich mir mit Disziplin an die 100 Beiträge angehört habe, kann ich jetzt abschließend sagen, dass die Ideen der beteiligten Künstlerinnen und Künstler nicht einzigartig sind. Jedenfalls nicht deren Übersetzung in eine zwei Minuten lange Audiodatei. Denn je mehr Beiträge man hörte, desto klarer traten Kategorien zu Tage, in die man mehr oder weniger alle einsortieren konnte.

Da gab es die Verweigerer, die gar keinen Ton von sich gaben, oder nur vollkommen unverständliches Genuschel, Getuschel oder Genäsel. Da gab es die Musiker, die entweder selber Musik machten oder aber deren Beitrag maßgeblich von einer musikalischen Einspielung oder Untermalung geprägt war. Da gab es die Poeten, die einen selber geschriebenen oder gar selber gedichteten Beitrag vorgelesen haben oder vorlesen ließen. Da gab es die Befragten, die in einer Interviewsituation Auskunft über ihre Motivation und ihr Tun gaben. Da gab es die US-Amerikaner, die überwiegend super professionelle Studiotechnik für absolut lupenrein radiotaugliche Beiträge nutzten. Da gab es die Konzeptkünstler, die eigenständige Arbeiten als Beiträge konzipiert und realisiert hatten. Da gab es die Arbeitsgeräuschler, die vorzugsweise das eigene Arbeitsgeräusch im Atelier aufnahmen, was allerdings beim Arbeitsgeräusch des Zeichners auch schnell in die Gruppe der Verweigerer passen könnte. Da gab es die Zweitverwerter, die eine Arbeit, die es schon gab und die man teilweise auch schon kannte, einfach weiter verwendet haben. Und es gab die Realisten, die schnurstraks und sehr humorlos eine bestimmte Arbeit beschrieben, was dann in etwa so klingen konnte: „...stehe ich vor einer auf Keilrahmen aufgezogenen weiß grundierten Leinwand in der Größe von 180 x 125 cm aus Entstehungsjahr 2009. Als zentrales Bildelement sieht man in der Mitte einen roten Klecks…“

Karin Sander „Zeigen. Eine Audiotour durch Berlin“
Temporäre Kunsthalle Berlin
Schlossplatz
10178 Berlin
4. 12. 2009–10. 01. 2010

Schuhe bei der Eröfnung (© Foto: Peter K. Koch)
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