[1. Fall: Das Denkding] Slys Dienstagabendlitanei Lass uns ein Ding drehen! Konnte ja so schwer nicht sein! Im Kino gelang es in den meisten Fällen. Und so brainstark waren die kriminellen Masterminds da auch wieder nicht. Was ja vielleicht genau das Problem sein mochte, dachte Sly. Wahrscheinlich war es so, dass gerade die genialen Gangster einfach geradeaus auf all die Schätze und das große Geld losgingen. Ganz direkt und undialektisch; ohne sich erst mit komplizierten Gedanken darüber aufzuhalten, welche Zusammenhänge zwischen monetärem Reichtum und also den Dingen der Welt, die er erkaufen konnte, einerseits, und den Beziehungen der Dinge untereinander, aus denen er hervorging, andererseits bestanden. Was sie für Sly wieder rum sofort deutlich weniger schlau erscheinen ließ. Und was ja letzten Endes, wie gesagt, genau das Problem war. Sein Problem. Dass nämlich er, Sly, genau nicht in der Lage war, einfach ein kleines oder auch großes, aber jedenfalls genial einfaches, glattes Ding zu drehen. Weil ihm sein eigenes nicht abstellbares sogenanntes Denken, zum Beispiel jetzt wieder sein Nachdenken über die Beziehung zwischen den Dingen und der Redensart „ein Ding drehen“, dazwischenfunkte und ihm Knüppel zwischen die Beine warf. Wie doof lebensuntauglich konnte man eigentlich sein? Dass einen das eigene Denken, auf das man sich meist so viel einbildete, weil es behänd von einem Begriff zum nächsten sprang und nichts auszulassen oder zu übersehen bereit war, gleich im Stich ließ, wenn es vom Abstrakten aufs konkret Dingliche gerichtet werden sollte! Beziehungsweise auf den symbolischen oder – in diesem Fall – geldwerten Gehalt des Dinglichen. Aber auch diese Überlegung war schon wieder nichts als ein Abweg, der Slys Energie verbrannte, ohne dass dabei etwas herauskam, das sich in die Hand nehmen und nutzen oder überweisen ließ. War doch ein Ding, dass am Ende gerade und ausgerechnet er würde verhungern müssen in einer Welt aus Dingen, von deren Verwicklungen und Bedingungen er doch so offensichtlich so viel mehr verstand als die meisten anderen – und vor allem die, die all die Dinge nicht nur einfach angingen, sondern ganz haptisch in die Hand nahmen! Weshalb Sly auch an diesem Dienstagabend unverrichteter Dinge ganz bei sich blieb, das Drehen wieder ausfiel und er sich fühlte wie das Ding aus einer anderen Welt, das er geworden war, seit er denken konnte.
[2. Fall: Die Macht des Dingdings] Back to Eri oder der Schlaf der Vernunft Immerhin im Traum war dann die Leere aber doch noch einmal gefüllt worden. Nicht mit materiellen Dingen oder Ideen, wie sie zu erlangen wären, sondern mit Glückseligkeit in Gestalt erfüllten Begehrens. Einmal war er dafür wieder von Sly zu Eri geworden, seinem Alter Ego aus lang zurückliegenden Tagen, in denen er die Dinge und insbesondere Liebesdinge beherzt angegangen war. Zwar konnte man sagen, dass ihm hiervon nun einmal mehr nur wenig anderes blieb als feuchte Laken, zwischen denen er mit dem Erwachen lag und weiter liegen musste, da er zu faul war aufzustehen. Aber damit hätte man vollkommen die allumfassende Freude außer Acht gelassen, die sich daraus ergab, dass in der Tiefe der Nacht sein Sehnen, an das er im tagtäglichen Normalfall kaum noch einen Gedanken verschwendete, wenigstens im Imaginären delikat vollendet worden war. Fühlte sich an, als hätte sich die Welt in vollumfänglicher Erfüllung für einen nicht zu tilgenden Moment zu einer vernünftigen Kugel gerundet. Beinahe absurder Weise erinnerte er sich nachher nicht nur an sein gewöhnlich auch vor dem eigenen Bewusstsein gut verborgen gehaltenes Dingding, das spürbar gewillt war, gestärkt aus dem im Traum eröffneten Reich hervorzugehen, sondern auch an seinen wahnsinnig plumpen, einstmaligen Grundschullehrer Herrn Bauer. Der hatte ihnen in den frühen siebziger Jahren im Sexualkundeunterricht der dritten Klasse in seiner bäuerlichen Art die Vereinigung von Mann und Frau zum Zwecke der Fortpflanzung nahebringen wollen und erklärt, dass der Mann mit erigiertem Glied in die Vagina der Frau eindringt, um hier seinen Samen zu entlassen. Entscheidend und in Erinnerung geblieben war allerdings vor allem der Nachsatz, der, wie die Dinge lagen, ewiglich lauten würde: Das ist für beide sehr schön. Von klein auf hatte sich Eri ganz automatisch für schöne Dinge interessiert; immer schon hatte ihm die Beschäftigung mit seinem Dingding schöne Gefühle verursacht, was zu seinem Erstaunen in seiner Umgebung nicht immer auf Begeisterung gestoßen war. Aber so war es. Und nun hatte er sich im Traum und also im Innersten an all das erinnert und schlief mit verträumt-entspannten Zügen wieder ein.
[3. Fall: Dem Technikding auf der Spur] Liebesdinge im Zeitalter ihrer digitalen Implementierbarkeit Mittwochmorgen nach dem Erwachen verspürte Sly das plötzliche Verlangen, den Liebesdingen in seinem Leben wieder mehr Platz einzuräumen. Also sozusagen in seinem Leben gegen die durch Biologie und Physik vorgegebene Richtung, die Entropie oder das Auseinandertreiben alles Dinglichen anzukämpfen. Sich zurückzuzwängen in Verhältnisse, die das Begehren noch als reine und wichtigste Kraft ansehen wollten und weithin auch ansahen. Nur fehlte es ihm nicht allein an aktuell einsetzbaren Erfahrungen, wie er vorzugehen hatte, sondern auch an den geeigneten Tools. Da er andere Menschen nicht auf Funktionen für sein Begehren reduzieren durfte, bedurfte es, wie er mitbekommen hatte, zur Befriedigung einer jeden vorstellbaren Lustbarkeit technischer Lösungen. Sie lösten das Begehren von seinen Trägern und machten es für Algorithmen ansteuerbar, was als akzeptabel galt. Wie Sly zu wissen glaubte, funktionierte das für die meisten Zeitgenossen irgendwie. Ihm aber funkte sogleich wieder sein sogenanntes Denken dazwischen. Das führte wie üblich dazu, dass die Dinge und seine Vorstellungen davon, wie sie zu sein hatten, vor seinem inneren Auge zu tanzen begannen. Sie drehten sich und umkreisten einander, bis sie sich in ihren Überlagerungen auslöschten und verblassten. Womit auch der morgendliche Plan zur Stärkung und Rückeroberung des eigenen Begehrens so schnell in Vergessenheit geriet, wie er entstanden war.
[4. Fall: Wen um Ding fragen?] Ohne Titel, da zu kurz (Aber: Ode an Wolf Haas) Prompt fand Sly sich in seiner Handlungsunfähigkeit vom Abend zuvor wieder. Ding!, dachte er, hätte der Brenner gedacht. Aber der Brenner war ja selbst nur ausgedacht und konnte kaum weiterhelfen.