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Von der Inkarnation von Personen in Dingen
2022:Mai //
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Von der Inkarnation von Personen in Dingen / 2022:Mai
Der Versuch einen Brief zu essen
Ein blassblauer Brief liegt auf dem Schreibtisch unter der Dachschräge. Die letzten Worte, mit denen der Brief schließt, decken sich fast haargenau mit den Erwartungen, und anstatt sie in einen Tresor zu schließen, wird der abgerissene Streifen mit dem Schluss in den Mund gesteckt und runtergeschluckt.
Der Duft der weiten Welt
Mit ihr kommt die Welt. Mit ihr kommt das Leben. Eine Wohnung, in der es nie besonders laut wurde, die niemals schmutzig war, in der die Dinge über Jahrzehnte auf demselben Platz stehen, eine Wohnung, die keinen Rausch kennt und keinen Tanz, deren Licht beim Verlassen eines Zimmers gelöscht wird, diese Wohnung wird geweiht durch ihren Besuch. Noch viele Tage lang kann man es riechen. Der Duft der Welt hängt in den Vorhängen, den dicken Teppichen, an den Kissen auf dem Sofa. Und in dem Tuch, das sie absichtlich vergessen hat.
Rosenkammer
Als es vorbei ist, liegen rote Rosen Zweig an Zweig an Zweig an Zweig. Die Rosen versiegeln die Kammer des Glücks, das einem niemand nehmen kann.
Der Mittelpunkt der 10 qm unter dem Dach ist das Bett. Fassungslos über das eigene Schicksal, verabschiedet man sich tränenreich in einer eigenen Trauerzeremonie von einem Lebensabschnitt, als würde man aus dem Paradies vertrieben, in dem es einem an nichts fehlte und das die Erfüllung der größten Träume war, im ziemlich sicheren Glauben, einen Fehler zu begehen und in der Ahnung , das kommt nie wieder.
Die Grabbeilage
Das Püppchen wandert mit der Großmutter unter die Erde. Puppen können selbst das: leben in der Unterwelt. Ein selbstgenähtes Püppchen ohne Haare. So ein weiches für ganz Kleine, aus Frottee zum Greifen.
Das passt gerade in die Manteltasche und sieht keiner. Eine heimliche Begleitung wie Däumelinchen oder der Fehlerteufel, mit der alle Beobachtungen und Sorgen geteilt werden. Nach langen Monaten des Zusammenlebens, Reisens und im Alltag schafft es nicht weniger als eine Verbindung zwischen den Lebenden und den Toten.
Ring im Ärmelkanal
Einen Ring vom Finger ziehen, ihn in den Wind schleudern, in die Gischt, die die Fähre hinter sich aufschäumt. Da sollte wirklich was vorbei sein. Zu einer Zeit im letzten Jahrhundert, als es den Tunnel noch nicht gab.
Blumen mit Bedeutung
Zwanzig Jahre ist ein gutes Alter für einen Blumenstrauß. Ein nettes kleines Sträußchen, das zunächst in einem Krug steht, dann an einem Faden baumelt, das in einem Karton verschwindet, der Karton im Schrank mit den wichtigen Dokumenten, bis er in den Keller wandert ins Regal zwischen die saisonalen Dekorationen, nochmal in einer Schublade ausharrt, um reif fürs Vergessen seiner Bestimmung gemäß im Kreislauf der organischen Reste nach Hause zu finden.
Schlafanzug-Profil
Der getragene Schlafanzug der Protagonistin wird quasi als Träger intimer Werte mit der Post verschickt. Als Test.
Im Film faltet sie das Oberteil, schlägt es luftdicht ein in Folie und beschriftet es mit den Worten avoid loneliness. Dazu die Musik von Asaf Avidan. Ob und wie das Stück, das von Körper zu Körper wandern sollte, angekommen ist, bleibt offen. Dargestellt wird hier der Versuch, der virtuellen Begegnung eine physische Erweiterung angedeihen zu lassen.
San Benedetto
Gerade niemand im Raum. Jetzt kann man einen Schluck nehmen. Noch einen und noch einen kleinen. Dann schön zurücklegen auf die Bücher und Hefte in ihrem Fach, als ob nichts gewesen wäre.
Wie Weihwasser schimmert die Flüssigkeit in der Flasche in der Sonne. Die Spur, die hinterlassen wird, ist zwar unsichtbar, könnte bei höchster Aufmerksamkeit jedoch bemerkt werden. Mit viel Fantasie und mit dem von den Hygienemaßstäben der Pandemie geschärften Bewusstsein könnte hier sogar von einer mutwilligen, wenn nicht sogar existenzgefährdenden Berührung gesprochen werden.
Edelstein
Ein Stein kann ein Ort sein, in dem man weiterlebt für die anderen. Die Wärme der Lebenden geht auf den Stein über, als wäre er selbst lebendig und bleibt.
Manchmal landet er im Bett oder auf der Heizung, dann in der Hand, die seine Größe gerade so umfasst. Ganz glatt geschliffen und poliert ist er, sodass die Maserung helle und dunkle Grautöne gegeneinander absetzt. 280 Gramm. Die Verkäuferin aus dem Laden am Wasserturm sagt, das sei ein Jaspis. Auf die Postkarte, die sie nicht mehr erreicht haben wird, hatte ich geschrieben, dass ein Stein mich an sie denken lasse. Die Formulierung „da bist du drin“ wäre zu lapidar, entschied ich im letzten Moment, aber genau so ist es.