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Mein Ding (1)
Olympus DM 650-Voice Rekorder
2022:Mai //
Shannee Marks
„lieber abhören als zuhören“
(Francis Ford Coppola, The Conversation)
Der Rekorder ist mein treuer Begleiter in der Klandestinität der Forschung gewesen. Mit ihm degradierte ich lustvoll durch verstecktes Aufnehmen die Intimität jedes Gesprächs. In meiner Abhörmanie galten weder Rang noch Ordnung. Keiner wurde davon ausgeschlossen – ob Freund, Feind oder berühmt.
Fetzen von jenen Aufnahmen wanderten in Erzählungen, Film und Theaterdialoge. In seiner Windschutz-Perücke (eine immanente ‚Emballage‘) sah das AufnahmeGerät wie ein harmloser Voodoo-Fetisch aus – unauffällig wie ein Amulett lag es irgendwo ‚hiding in the open‘ in der Nähe des Geschehens. Die wuschelige Tarnkappe verlieh seinem Aussehen etwas Animalisches, Genitalisches, unbestimmt Obszönes.
Noch einfacher und heikler waren die Aufnahmen von Telefongesprächen mit dem ‚Teepee‘-Telefon-Ohr-Mikro.
Das klassische Telefongespräch ist mit der Beichte verwandt – dieselbe gesichtslose körperlose Stimme, die direkt ins Ohr dringt. So verstanden ist das Abhören ein Vergehen gegen das Beichtgeheimnis.
Aber wie Coppola meint – umgekehrt ist die Beichte eine der frühesten Formen des Abhörens.
Eine Weile gelang es mir, meinen Olympus DM650-Voice Rekorder vor dem Dingfriedhof zu bewahren. Alles hatte noch gut funktioniert außer einer trivialen lachhaften Feder, die den Batteriedeckel zuhielt. Sie ist irgendwann kaputt gegangen. Das Leben des Geräts hing von diesem schwachen Teil ab – ohne einen verschließbaren Batteriedeckel, fallen die Batterien heraus. Ohne Batterien ist das Gerät am Ende. Wahrscheinlich hat der Hersteller die Sterblichkeit des Geräts genau in dieses Teil hineingebaut. Wie ich in einer Kundenrezension später gelesen habe – ist auch in neueren Olympus Modellen der Batterieraum sehr anfällig geblieben. Sicher ist sicher.
Ich hatte aber damals keine Lust, dem selbstverständlichen Drang zu gehorchen, auf DM670 oder ein anderes Olympus-Gerät überzuwechseln.
Diese Universal-Verfalls-Verschwörung des technischen Zeitalter, habe ich mit starken vielfarbigen Klebestreifen eine Zeit lang überlistet. Das Gerät war nicht mehr so glatt und zierlich wie am Anfang, der Klebstoff verklebte nicht nur den Batteriedeckel, auch meine Hände und alles was damit in Berührung kam, wurde farbig mitverklebt. Aber das Ding hat einen gewissen bandagierten Dandyismus hinzugewonnen – wie die sorgfältig wieder zusammengefügten Raku-Tassen aus unvordenklichen Zeiten, die bei der japanischen Teezeremonie verwendet werden.
Weniger elegant sah der Rekorder aus, wenn das Klebeband dem Druck des Deckels nachgab – dann öffnete sich der Batteriedeckel, wie eine herunterklappende Kinnlade.
Mein endgültig verstummter Olympus-Rekorder hatte die Spionagegröße gehabt. Paradoxerweise in unserem Zeitalter der generellen Überwachung sind solche subtilen Geräte eine aussterbende Spezies. Als ich endlich ein neues Gerät kaufen wollte, gab es die Olympus-DM-Serie gar nicht mehr, – und Olympus-Audio als Ganzes scheint auch nur ein Online-Phantomleben von schillernden, nicht lieferbaren Produkten oder Ebay-Dinosauriern zu frönen.
Noch ist ‚Polen‘ nicht verloren: In seiner Inkarnation als bloß bestimmungslose untaugliche Materie ist meinem Gerät ein neuer ‚Wert‘ zugeflossen. Es ist ein ‚erniedrigtes Objekt‘ geworden, jene Dinge die laut Tadeusz Kantor „zwischen Ewigkeit und Müll schweben“ – und nur als ein solches ausgestoßenes Ding reif sind, Objekte der Kunst zu werden. Als ein so gewordenes Objekt der Kunst hat sich das Ding von seiner temporalen Anbindung, von seiner ‚Dinghaftigkeit‘ befreit – es ist als „arme Wirklichkeit einer niederen Rangordnung“ (Kantor) erfolgreich verewigt, permanent in die Kunst-Gehenna abgestiegen.