Ding-Spezial
„Freiheit-Spezial“, „Geld-Spezial“ und jetzt eben ein „Ding-Spezial“. Umgekehrt gelesen könnte diese Folge tatsächlich einen Dreiklang hin zu erstgenannter Freiheit bilden. Denn ist ein Ding nicht gerade das, was uns am meisten belastet in seiner Schwere, seiner dauernden Präsenz und auch in seinem Verfall, der den unseren begleitet und uns ständig an unsere eigene Vergänglichkeit erinnert? Ist Geld dann nicht ein Mittel, die Dinge zu verflüssigen, um dann in relativer Freiheit nur noch das zu konsumieren, was man wirklich braucht? Oder ist es eben doch genau umgekehrt, dass man sich ohne Not mit zunehmendem Geldfluss mit umso mehr Dingen umgibt, die wiederum umso mehr Aufmerksamkeit, Zeit und Geld erfordern und uns immer mehr gefangen halten? Diese Folge, dieses Gefälle ist der eigentliche Antrieb unseres kapitalistischen Systems, das sich so in immer größerer Geschwindigkeit, immer größer werdend, in den Abgrund stürzt und uns alle als Teil davon mitnimmt.
Mit einiger Verwunderung schaut man auf den ungebrochenen Bann, in den die Dinge uns ziehen, der sogar immer größer zu werden scheint. Rolex-Uhren kann man gar nicht mehr kaufen, denn die Wartezeiten sind zehn Jahre oder länger, obwohl der Uhrenhersteller seinen Umsatz im letzten Jahr von 4 auf 8 Milliarden Schweizer Franken verdoppelt hat. Dasselbe gilt für Mercedes-G-Klasse-Autos (die großen rechteckigen mit Riesengewicht und Riesenluftwiderstand und deshalb riesigem ökologischen Selbstmordbeitrag) oder Luxushandtaschen (8000 Euro), überall Wartelisten und unendliches Begehren. Bei der Kunst ist es nicht anders, schaut man in der großen Luxuskunstkaufhalle König vorbei und will etwas erwerben, was natürlich nur als reiche*r Kunstsammler*in geht, so kann man natürlich auch nicht alles kaufen, was man haben will. Es ist, als ob sich die flüssige Geldmenge so stark vermehrt, dass sie Schwierigkeiten hat, sich wieder zu materialisieren.
In den Neunziger Jahren hatte man noch Hoffnung, dass sich die oben beschriebene Richtung umkehrt, weg von Ding und Geld, hin zu Freiheit. Obwohl sich das aufgestaute Begehren nach Dingen in der damals aufbrechenden DDR explosiv entlud, gab es gerade im Berlin der frühen Neunziger eine anti-konsumistische Grundhaltung. Vielleicht konnten die Ost-Berliner*innen sich einfach noch nicht so viel leisten und die junge Generation der Zuzügler aus dem Westen, aufgewachsen im relativen Reichtum der Nachwirtschaftswundergeneration, war satt genug, um nach anderem Ausschau zu halten als Dingen. Raum und Zeit waren wichtiger und reichlich vorhanden. Es war extrem peinlich, mit einem teuren Auto durch die Stadt zu fahren, man ließ es lieber irgendwo stehen, wo einen niemand kannte, und fuhr den Rest mit den Öffentlichen. Extravagante Kleidung war nur akzeptiert, wenn sie secondhand oder selbstgemacht war. Kunst war zum anschauen da und nicht zum kaufen. Die Mieten waren billig und man musste nicht viel Geld verdienen, um über die Runden zu kommen. Das ist jetzt vielleicht die Privatperspektive eines damals mittzwanzigjährigen Kunststudenten, aber auf den Straßen sah es wirklich nicht nach Geld und Geltungssucht durch Statussymbole aus.
Was ist seitdem passiert? Der Wandel, seit Mitte der Nuller Jahren sicht- und spürbarer, findet nur in diese eine Richtung statt, hin zu immer teureren Dingen, die gezeigt und spazieren getragen werden. Es gibt diese Scham nicht mehr, auffällig zu protzen. Im Gegenteil.
Die letzten dreißig Jahre waren auch eine Zeit des relativen Friedens, zumindest in Mitteleuropa – und des immer weiter wachsenden Wohlstands. Und dann kam noch dieses Ding namens Internet dazu, das man seit 15 Jahren in der Hosentasche mit sich umherträgt und mit ihm eine zuvor nie gekannte Möglichkeit, sich mit anderen zu vergleichen. Mit Instagram und der Möglichkeit, alles sofort, instantly, zu senden, beschleunigte sich dieses Spiel um ein Vielfaches. Ein befreundeter schwedischer Künstler erzählte kürzlich, dass in Schweden mittlerweile weniger gesegelt wird, weil die Tätigkeit, das Segeln, nicht instagram-tauglich sei. Boote kaufen und besitzen natürlich schon.
Und so wächst das Begehren nach besserem Leben, nach schöneren Menschen, schickeren Räumen und nicht zuletzt tolleren Dingen, die man, sobald man sie hat, sofort wieder anderen zeigt, die einem wieder ihre noch besseren Dinge, Orte, Menschen zeigen. Alles ist immer sichtbar und somit das Einzelne nie genug. Genau wie die Liebe auf den Dating-Plattformen nie die Einzige sein kann, denn es gibt ja noch so viele andere, vielleicht bessere. Dieses Streben nach Mehr und Besser ist dem Menschen immanent, sonst stünden wir nicht dort, wo wir stehen. Die Appelle nach einem „Weniger“ werden zwar immer dringlicher und lauter, unsere Gesellschaft rollt aber offensichtlich weiter ungebremst in die falsche Richtung, und dass sie aus eigenem Antrieb stoppen könnte, ist wohl illusorisch.
Dass jetzt das Ding an unserem Untergang schuld sein soll, oder besser das Begehren danach, die Gier nach ihm, ist nur ein Aspekt, denn natürlich gibt es viele andere Facetten, die in den Dingen stecken, unseren leblosen Gefährten, die uns eigentlich helfen sollen, die nützlich sind, uns vorwärts bringen und uns vieles lehren. Dinge bewahren Zeit und machen Geschichte anschaulich, sind Andenken, Kunstwerke und Bücher. Es gibt sie noch, wenn wir längst gestorben sind. Dinge sind die Kultur, die uns zu Menschen macht. Sie sind so stark mit uns verwoben, dass eine Loslösung vom Kult des Dings kaum möglich scheint. Gerade wir Künstler*innen sind als ständige Produzenten von Dingen erst glücklich, wenn es ein Begehren danach gibt. Also müssten wir, als Spezialisten der Produktwelt, als Erzeuger von Dingen, die niemand braucht, aber hoffentlich haben will, vorneweg gehen und den Stecker ziehen.
Das oben abgebildete T-Shirt des Künstlers Beat Gipp war zwar ein in Asien billig hergestelltes „Fruit of the Loom“-T-Shirt, das man so für 10 Euro kaufen konnte, es gab aber insgesamt nur zehn Stück in verschiedenen Größen. Denn weniger ist mehr, und gar nichts ist am meisten. Die „von hundert“ erscheint dennoch weiter, wenn auch noch seltener und in noch geringerer Auflage.
Beat Gipp, T-Shirt, 2022 (für die Ausstellung „2052 – Kunst zur Klimakatastrophe“ kuratiert von Raimar Stange