Licht Luft Scheiße

NGBK etc.

2021:Juni // Anna-Lena Wenzel im Gespräch mit Florian Wüst

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06-2021


Anna-Lena Wenzel: Euer Projekt war eine Kooperation unterschiedlicher Institutionen und fand 2019 an mehreren Orten statt: in der nGbK, im Botanischen Museum des Botanischen Gartens Berlin (BGBM) und in der Nachbarschaftsakademie im Prinzessinnengarten Kreuzberg. In der nGbK wurden viele Dokumente und Archivmaterialien ausgestellt, während im Museum künstlerische Arbeiten zu sehen waren, die zum Teil erst für dieses Projekt entstanden. Und dann gab es noch das Veranstaltungsprogramm im Prinzessinnengarten. Wie habt ihr als Gruppe zusammengefunden?
Florian Wüst: Das ist eine etwas längere Geschichte. Mitte 2012 wurde ich von dem Filmwissenschaftler Thomas ­Elsaesser gefragt, ob ich nicht eine Ausstellung über die Verbindung zwischen seiner Großmutter Elisabeth ­Elsaesser und dem Garten- und Landschaftsarchitekten Leberecht Migge kuratieren möchte, anhand derer frühe Modelle eines nachhaltigen, kreislaufbasierten Wirtschaftens und Bauens beschrieben werden könnten. Ausgangspunkt sollten einige historische Dokumente, Fotografien und Filme der Martin-Elsaesser-Stiftung sein. Für die weitere Recherche und die Erarbeitung eines fundierten kuratorischen Konzepts holte ich bald Sandra Bartoli und Silvan Linden hinzu. Mit ihnen, Ulrike Feser und Michael Danner hatte ich zuvor „La Zona“ in der nGbK realisiert. Unsere Planungen sahen eine Wanderausstellung in Berlin, Hamburg und Frankfurt am Main vor – mit der von ­Elsaesser und Migge Anfang der 1930er-Jahre zugleich als Liebesnest und Selbstversorgerexperiment gepachteten „Sonneninsel“ im Seddin­see südöstlich von Berlin als thematischem Kern. Letztlich ließen sich keine institutionellen Partner finden, nur für Berlin hatten wir die Zusage des HKW, wobei feststand, dass das HKW selbst weder einen Antrag beim Hauptstadtkulturfonds noch bei der Kulturstiftung des Bundes stellen kann. So sah sich das HKW gezwungen, das Vorhaben fallen zu lassen. Wir gaben jedoch nicht auf, sondern dachten dahingehend um, uns auf Berlin als Ausstellungsort zu beschränken, aber den inhaltlichen Fokus zu erweitern. Die erstmalige Ausschreibung des neuen Formats B der nGbK kam uns in diesem Moment sehr gelegen und passte zeitlich perfekt zu der Idee, in Kooperation mit der Martin-Elsaesser-Stiftung und dem BGBM, mit dem wir Kontakt aufgenommen hatten, auf einen Antrag beim „Fonds Bauhaus heute“ der „Kulturstiftung des Bundes“ hinzuarbeiten. Weil wir für einen Beitrag zum ursprünglichen Projekt bereits mit der Nachbarschaftsakademie im Gespräch waren, erschien es Sandra, Silvan und mir naheliegend, Åsa Sonjasdotter und Marco Clausen darauf anzusprechen, mit uns die antragstellende ­nGbK-AG zu bilden. Dadurch gewannen wir den Prinzessinnengarten Kreuzberg als einen praxisbezogenen, auf Gegenwart und Zukunft gerichteten Ort und Kontext für unsere Auseinandersetzung mit der Geschichte der ökologischen Frage. Obwohl sich das Projekt über die Jahre stark wandelte und sich der Austausch mit ihm in der Realisierungsphase merklich verringerte, bleibt wichtig zu erwähnen, dass „Licht Luft Scheiße“ ohne Thomas Elsaesser, der im Dezember 2019 unerwartet verstarb, in dieser Form nicht stattgefunden hätte.
Anna-Lena Wenzel: Historische (Archiv-)Recherche, Auswahl und Kuration künstlerischer Werke, Konzeptionierung eines Veranstaltungsprogrammes und Buchpublikation an drei verschiedenen Standorten – das ist eine Menge Arbeit und klingt nach einem enormen Organisations- und Kommunikationsaufwand! Wie habt ihr euch aufgeteilt?
Florian Wüst: Aus diversen pragmatischen Gründen entschieden wir uns dazu, dass Sandra, Silvan und ich die Ausstellungen in der nGbK und im BGBM, letztere ergänzt durch die von Patricia Rahemipour und Kathrin Grotz entwickelte „Pflanzenwerkstatt der Moderne“, und Åsa und Marco das Programm der Nachbarschaftsakademie im Prinzessinnengarten kuratieren. Bis auf ein paar Schnittstellen wie das von mir zusammengestellte Filmprogramm liefen diese einzelnen kuratorischen Prozesse ab einem gewissen Zeitpunkt parallel und abgesehen von der übergeordneten Koordinierung relativ unabhängig voneinander.
Anna-Lena Wenzel: Wie hat die Zusammenarbeit geklappt? Ihr seid ja alle profilierte Ausstellungsmacher*innen und Kurator*innen, die zum Teil bereits zusammengearbeitet haben, aber so ein umfangreiches Projekt ist noch mal etwas anderes und sicherlich mit verschiedenen Reibungspunkten verbunden?
Florian Wüst: Ja, das stimmt. „Licht Luft Scheiße“ war eine extrem komplexe und ambitionierte Unternehmung. Hier kamen sehr unterschiedliche „institutionelle“ Praxen und Voraussetzungen zusammen: ein universitäres Wissenschafts­museum, ein Kunstverein mit seiner besonderen Struktur von Geschäftsstelle und Arbeitsgruppen sowie eine Initiative für selbstorganisiertes Lernen. Eine solche Zusammenarbeit lässt sich nicht proben: Wir diskutierten Begriffe und Herangehensweisen, verständigten uns über Fragen der Arbeitsteilung, der bürokratischen Abläufe und Abrechnungsmodalitäten, während wir von Beginn an mitten in der Produktion steckten. So mussten wir uns alle auf einen äußerst intensiven und zwangsläufig kräftezehrenden Prozess einlassen, nicht selten blieb es in einzelnen Entscheidungen bei einem kleinsten gemeinsamen Nenner.
Anna-Lena Wenzel: Wie ist der Untertitel „Ökologie und Moderne“ entstanden, den ich in seiner Allgemeinheit etwas vage finde (vor allem im Vergleich zu dem spritzigen „Licht Luft Scheiße“)? Ist er eher das Resultat einer Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner oder dem Commitment an Förderinstitutionsschwerpunkte geschuldet?
Florian Wüst: Etwas von beidem. Wir diskutierten innerhalb des kuratorischen Teams vergleichsweise viel und kontrovers über den Begriff der Moderne. Entsprechend lang dauerte die Suche nach einem Untertitel, nachdem „Licht Luft Scheiße“ den ursprünglichen Projekttitel „Archäologien der Nachhaltigkeit“ abgelöst hatte. Letztlich erschien es uns sinnvoll, „Moderne“ im Untertitel anzuführen, um sowohl die Verbindung zu 100 Jahre Bauhaus als auch den Ansatz der historischen Aufarbeitung zu vermitteln. Im Ankündigungstext stellten wir das, was wir mit „Moderne“ meinten, hinreichend differenziert dar, wie ich finde.
Anna-Lena Wenzel: Im Botanischen Museum fand eure Ausstellung kurz vor dem Umbau der Räumlichkeiten statt. Man sah deutlich, dass sich die Räume in einer Art Übergangsstadium befanden. Das hatte Charme und ich mochte auch, dass die alten Displays und Vitrinen von euch umgenutzt worden sind. Dennoch wirkte es auf mich an einigen Stellen lieblos. Wie erinnerst du den Ort?
Florian Wüst: Die bevorstehende Renovierung des Botanischen Museums kam uns sehr zugute und bestimmte unsere Vorstellung der dortigen Ausstellung. In die Räume konnte teils radikal eingegriffen werden: seitens der Ausstellungsarchitektur und seitens der neu entstandenen künstlerischen Arbeiten, die sich mit der vorgefundenen Art und Weise der musealen Repräsentation beschäftigten. Das ist meiner Meinung nach insgesamt gut aufgegangen. Der Charakter der Verstaubtheit, der Sperrigkeit und, ja, die lieblose Gestaltung so mancher Details traten durch die Interventionen vielleicht sogar umso deutlicher hervor.
Anna-Lena Wenzel: Ja, es gab tolle raumbezogene Arbeiten und vor allem viel Platz! Habt ihr es durch diese Kooperation geschafft, dass die Stammbesucher*innen der jeweiligen Ausstellungsorte auch die ihnen unbekannten Orte besuchten? Im Botanischen Museum muss die Ausstellung wie ein Ufo gewirkt haben. Wie waren generell die Reaktionen?
Florian Wüst: Ich glaube schon, dass durch diese Kooperation ein diverseres Publikum entstand. Viele aus „unseren“ Kontexten kamen durch „Licht Luft Scheiße“ zum allerersten Mal ins Botanische Museum. Bei meiner dortigen Führung fand ich bemerkenswert, wie zahlreich und gemischt das Publikum war. Ich denke mir heute, dass wir sehr viel mehr Kurator*innenführungen durch die beiden Ausstellungen bzw. überhaupt ein Vermittlungsprogramm hätten anbieten sollen. Die Reaktionen, die mir zu Ohren kamen, waren hinsichtlich der nGbK-Ausstellung überaus positiv und hinsichtlich des Botanischen Museums durchwachsener. Das zeichnete sich dort auch im Besucherbuch ab – von großer Enttäuschung bis zu großer Begeisterung war alles dabei.
Anna-Lena Wenzel: Ihr wart in der nGbK die erste Gruppe, die im sogenannten Format B als zweijährige „Forschungs“-AG gewählt wurde. Das war noch, bevor die Gesellschaft für künstlerische Forschung gegründet und letztes Jahr zum ersten Mal das umfangreiche Stipendienprogramm des Berliner Senats vergeben wurde. Wie würdest du dich zu künstlerischer Forschung positionieren? Und wie habt ihr in der Gruppe darüber gesprochen bzw. euch zu diesem Thema ausgetauscht?
Florian Wüst: Über unser Selbstverständnis in Bezug auf künstlerische Forschung haben wir uns nicht explizit ausgetauscht. Mit Sandra und Silvan arbeitete ich, wie gesagt, schon vorher zusammen. Wir teilen die Auffassung einer kuratorischen Praxis oder auch einer Praxis der künstlerischen Forschung, die Zusammenhänge über Genregrenzen hinaus eröffnet und bewusst subjektive Assoziationen in der Auswahl und Zusammenstellung des Materials zulässt. Ich denke, das ließ sich gerade im nGbK-Teil der Ausstellung gut erkennen. Patricia und Kathrin vertraten vor dem Hintergrund ihrer Tätigkeit im BGBM, das der Freien Universität untersteht, eine viel enger an „Wissenschaftlichkeit“ gebundene Auffassung dessen, was Forschung ist. Auf diese Differenz stießen wir immer wieder in den Diskussionen, die wir neben all der Orga über Inhalte führten.
Anna-Lena Wenzel: Die drei Publikationen, die im Frühjahr 2020 erschienen sind, umfassen insgesamt fast 1000 Seiten! Wieviel zusätzlicher Aufwand steckt in ihnen und würdest du sagen, es war ein Vorteil, sie im Anschluss herauszugeben, weil so Erfahrungen und Dokumentationen der Ausstellung und des Veranstaltungsprogramms einfließen konnten?
Florian Wüst: Unser Plan war, das Buch zur Eröffnung im August 2019 vorliegen zu haben. Zumindest die Bände zu den Ausstellungen in der nGbK und im BGBM, weil von Vornherein klar war, dass der Band der Nachbarschaftsakademie erst später fertiggestellt werden kann. In der Umsetzung stellte sich aber heraus: Zwei Ausstellungen und gleichzeitig zwei Bücher eines solchen Umfangs zu produzieren und noch dazu einen Großteil der Texte selbst zu verfassen, war angesichts der uns zur Verfügung stehenden Zeit und Ressourcen schlichtweg unmöglich. Deshalb die Lösung mit den Handbüchern in den Ausstellungen, da wir keinerlei textliche Erklärungen neben den Artefakten und künstlerischen Werken anbringen wollten. In die nachträgliche Publikation konnten wir, anders als geplant, die Foto­dokumentation der Ausstellungen einbauen. Auch wenn das Buch erst im Frühjahr letzten Jahres erschien, sind wir sehr froh, dass das viele Material in seiner besonderen Aufbereitung und Zusammenstellung sowie all die Erfahrungen und Inputs der Veranstaltungen nach Ende des Projektes nicht verloren gegangen sind, sondern auf Dauer rezipiert und studiert werden können.
(Berlin, März 2021)

„Licht Luft Scheiße. Perspektiven auf Ökologie und Moderne“, BGBM, Nachbarschaftsakademie im Prinzessinnengarten Kreuzberg, nGbK, Juni–Oktober 2019
Buch: „Licht Luft Scheiße“ Hg. Sandra Bartoli, Marco Clausen, Silvan Linden, Åsa Sonjasdotter, Florian Wüst, Kathrin Grotz, Patricia Rahemipour, erschienen im adocs-Verlag, 984 Seiten  
Annie Francé-Harrar und Dr. Soto neben einem Haufen Edaphonhumus, Mexiko, Oktober 1953 © Oberösterreichisches Landesmuseum, Linz © nGbK
Die Naturwarte von Paul Robien auf der Insel Mönne, ca, 1926
Reader zur Ausstellung, erschienen im adocs Verlag Hamburg