Dies hier ist ein Versuch, die Architektur der letzten Dekade zu fassen und meinem ersten Impuls nachzuspüren, der wie so oft lautet: „Es wird immer schlimmer“. Ist dem wirklich so?
In letzter Zeit hörte ich mich öfter sagen: „Dagegen ist das Alexa ja noch interessante Baukunst“. Wir erinnern uns an die Erkenntnis unseres Nuller-Jahre-OBs Klaus Wowereit, dass besagtes Alexa ja nun wirklich hässlich sei. Nun kann man sich über die Geschmackssicherheit des Ur-Westberliners Wowereit bestimmt einige Gedanken machen, sicher hat sie sich auf den unzähligen Charlottenburger Semipromipartys nicht sonderlich geschärft. Und das mit dem Alexa ist ja abgesichertes Terrain, da kann er schon mal so einen Satz äußern, das meinen ja alle.
Schaut man sich jedoch die Materialität an, bemerkt die Art-Deco-Verweise und denkt ein bisschen an den Herkunftsort der Architekten und Investoren, nämlich Portugal, bedenkt man außerdem, dass an selber Stelle bis vor 70 Jahren die sogenannte Rote Burg stand, ein dem Roten Rathaus ähnliches Backsteingebäude, das das damalige Polizeipräsidium beherbergte, dass also das Alexa-Rot ein historischer Verweis ist und der Beton sogar dunkelrosa durchfärbt ist und nicht nur angemalt, dann könnte man es gar nicht so hässlich finden. Vorallem wenn man jetzt das in etwa ähnlich hochwertige Shopping-Center am Leipziger Platz damit vergleicht, denn Mall of Berlin steht für die ganz und gar einfallslose Architektur der letzten zehn Jahre – rechteckig, praktisch, doof.
Diese Blöcke mit nur marginalen Unterscheidungen in den Fassadenrasterungen wuchsen die letzten Jahre fade aus dem spröden Berliner Sand, überall das gleiche Bild. Ob um den Hauptbahnhof, an der sogenannten Mediaspree oder in Westberlin. Der schlimmste Platz der je in Berlin gebaut wurde, ist, nein, nicht der Potsdamer Platz, der je älter er wird, desto besser reift, nein, es ist natürlich der Mercedes-Platz an der Mercedes-Benz-Arena (ehemals O2). Hier trifft die Investoren-Geschmacklosigkeit auf eine absolute Fantasielosigkeit der Architekten, ein Platz der irgendwo in einem Vorort von Osnabrück oder Stuttgart (tatsächlich hat Mercedes dort ähnlich Schlimmes auf den Fildern gebaut) entstanden sein könnte.
Die Architekten mutieren zu willfährigen Handlangern des internationalen Geldes, das wahrscheinlich während einer Projektphase auch noch einige Male die Hände wechselt. Keiner ist mehr keinem richtig verantwortlich, Hauptsache irgendwas wird gebaut, und die Stadt schaut dabei lethargisch zu.
Vergleichen wir doch mal einzelne Bauwerke wie das chicagoeske Hochhaus am Potsdamer Platz von Hans Kollhoff (90er) mit dem Walddorf Astoria (2008–2012) am Bahnhof Zoo. Gestaltungswille trifft Kubikmetergeklotze. Überhaupt könnte man auch die Europa-City nördlich des Hauptbahnhofes mal mit dem damals so umstrittenen Potsdamer Platz vergleichen. Renzo Pianos Gebäude wirken mittlerweile dank der komplizierten Keramikfassaden-Elemente so unendlich filligraner, selbst das Sony-Center hat etwas Kühnes verglichen mit der Blockwüste im Norden. Einzig das Total-Hochhaus scheint dort noch etwas hervor, aber bei dem Umfeld ist das auch nicht weiter schwer. Gegen das GSW-Hochhaus (jetzt Rocket-Internet) hat es dennoch keine Chance. Eine weitere Paarung wäre noch das Innenministerium (2010–2014) versus Kanzleramt (1997–2001) – wie dankbar ich mittlerweile für die vasenähnliche Säulenstruktur bin –, damals ein postmoderner Albtraum, jetzt verwegener Surrealismus, immerhin sitzt da oben unsere Kanzlerin zentral in der Waschmaschinentrommel und versteckt sich nicht hinter immergleichen, beängstigenden und endlosen Schießschartenfensterreihungen. Das BND-Gebäude war wohl Vorbild für diese Kalte-Macht-Architektur. Hoffentlich wird niemals eine Partei wie die AfD dort Hausherrin, die Architektur wäre schon mal deren plastische Entsprechung.
Zu den Highlights, den Leuchttürmen des Jahrzehnts fällt mir auf Anhieb nur der Terrassenbau von Brandlhuber ein – eine tolle Rauminterpretation als vergrößerte Halbtreppe am Gesundbrunnen, deren Stufenveranden zudem noch allgemein begehbar bleiben. Ok, das Total-Hochhaus hatten wir schon, das TAZ-Gebäude mit dem ganzen Blumengroßmarktareal im Rücken ist auch nicht ganz schlecht, aber sonst? Wir erleben einfach eine noch schlechtere Wiederholung der schon sehr miesen frühen Nachwende-Neunziger.
Ah doch, der Bundschuh-Bau für Suhrkamp gegenüber dem anderen von ihm entworfenen schwarzen Gebäude. Dieses neue Eingangtor nach Mitte zur Rosa-Luxemburg-Straße ist schon toll und es gibt aus vielen Ecken wahnsinnig schöne Blicke auf das Gebäude, von der Linienstraße aus zum Beispiel. Und dass man bald unter der Ecke durchlaufen kann, ist ein sehr schönes Give-away an die Berliner Bevölkerung.
Fotos: Barbara Buchmaier, Gegend um den Hauptbahnhof, Hamburger Bahnhof, Europa-City, April 2020