wo ich war

2018:März // Esther Ernst

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03-2018

LAUB MICHAEL.
2. Juli 2017
Fassbinder, Faust and the Animists
HAU 2, Berlin

+also, da gibt’s diesen Fassbinderfilm, „Warnung vor der heiligen Nutte“ von 1971, in dem sich Fassbinder selbst spielt und der Film die eigenen Dreharbeiten spiegelt. Kenn ich alles nicht, weder Laub noch die heilige Nutte. Aber wie mir scheint ist Laub ein inzwischen älterer, vielleicht einsamer Choreograph, der seine Tanzfamilie für ein paar Wochen nach Italien in eine Villa verpflanzte und dort den Fassbinderfilm nachspielt. Jeder brüllt, weint, vögelt, prügelt, säuft und leidet. Zurück auf der Bühne dürfen wir jetzt manche Szenen verdreifacht gucken, einmal im Original, einmal als Film nachgespielt und einmal live als Karaokeversion sozusagen. Und dazwischen finden unzählige Gruppen-Choreographien aus einfachen Urban Dance Schritten (oder wie das heisst) statt. Es wird viel auf- und abgegangen, Fausts Grestchen darf auch noch, alles lässig anzuschauen, angenehm belanglos, ein bisschen unverständlich vielleicht, macht aber nix.



ROSEFELDT JULIAN 12. Juli 2017
In the land of drought
Galerie König, St. Agnes, Berlin

+Eine bestechend schöne Videoprojektion hängt perfekt im Kirchenraum. Grummlige Sounds und überscharfe Drohnenbilder von einer abgetragenen Kohlelandschaft aus dem Ruhrgebiet, Fördertürmen und Menschen in weissen Schutzanzügen, die geometrisch durchs Bild laufen, nehmen einen ein. Später laufen dieselben Menschen durch eine karge Landschaft in Marokko und einen verlassenen Tempel. Farblich passt das alles zu dem rauen Sandputz an den Wänden der St. Agnes. Timea und Jael lassen sich von dem Video nur deswegen einlullen, weil es auf den Sitzkissen so bequem ist, eigentlich finden sie es langweilig.
Sag mal, schwirrt da so eine unangenehm moralische Umweltkritik rum? Ich finde, so was muss man laut und deutlich sagen, nicht lullen, oder?



BOSCH HIERONYMUS 4. Aug. 2017
Gemäldegalerie Berlin

+das ist schon abgefahren, da schlurft man so durch die niederländische Malerei aus dem 15. Jahrhundert, grüsst Könige, Landschaften, Stillleben, Stoffmuster und jede Menge Jesus und dann kommt Bosch mit seiner vollkommen anderen Bildsprache. Kleinteilig, detailverliebt, phantasievoll, fast schon illustrativ. Schimären ohne Ende. Und natürlich Gewalt, Gruselei und schrullige Monster.
Aber warum hat Cranach eine Kopie von Boschs
Flügelaltarbild mit dem jüngsten Gericht gemacht? Google sagt, das war anno dazumal gar nicht so unüblich. Auftraggeber haben sich ohne Probleme Kopien anfertigen lassen. Aha. Echt.



ART BERLIN 14. Sept. 2017
Fair for Modern and Contemporary Art
Gleisdreieck Berlin

+ein bisschen langweilig dieses Jahr, nicht? Arg klassisch, brav und konservativ. Wenn ich eine Messe kuratieren dürfte, würde ich den ganzen zeitgenössischen Krempel im Versailler Schloss präsentieren. Oder irgendsowas.
Jan-Ole Schiemann bei der Nino Mier Gallery aus Hollywood hat mir gefallen. Und aha, der ist ja ganz jung. Und ganz angesagt. Und macht so abgesuppt düstere Tuschemalerei in verschiedenen Schichten und comicartigen Formen und Krakeln.
Und John Bocks grüner Molton-Stand von Sprüth Magers war eine angenehm abwechslungsreiche Welt.
Und jetzt reichts wieder für ein Jahr. Wenn nicht für zwei. Tschühüs.



DE ROOIJ WILLEM 15. Sept. 2017
Whiteout
Kunstwerke Berlin

+ein sehr sinnlicher 16mm-Film, in dem man vom Wind begleitet irgendwo im Polarmeer eine schwimmende Eisscholle umsegelt. Es ist ruhig und weiss und kalt. I’m Coming Home in Forty Days hat De Rooij vor siebzehn Jahren gedreht, der Eisberg ist inzwischen geschmolzen, aber die Stadt Illuissat (wörtlich Eisberg) hat ihn nicht mehr los gelassen. Deshalb kehrte er 2014 dahin zurück und nahm das beeindruckende sowie beängstigende Heulen von hunderten von Schlittenhunden auf und verarbeitete es zu einer Soundinstallation in der Haupthalle im Untergeschoss. Erst war ich mir unsicher, soll das so Störgeräusche haben, dann war’s aber klar, die Lautsprecher sind kaputt. Beide Arbeiten werden zyklisch aufgeführt, sind pur und rau und man kriegt sofort ein Gefühl für diesen Ort. Toll.



AUF PAPIER. TOTENTANZ IM WIEGESCHRITT 22. Nov. 2017
Präsentation der Graphischen Sammlung
Museum Ephraim-Palais, Berlin

+ich liebe das an Berlin, dass man in dieser Stadt irgendeine Tür aufmachen kann und dann auf ein ganz andere Publikum trifft als gewohnt. Die Menschen reden meist auch anders und vor allem über andere Dinge. Hier hält Herr Teltow einen bebilderten Vortrag über den Totenkult rund um Berlin aus den letzten fünfhundert Jahren. Ich kenne bis auf Käthe Kollwitz keine Namen und mir sind auch die geschichtlichen und politischen Zusammenhänge fremd (ich versteh eigentlich nur Bahnhof) und fühle mich angenehm fremd. Während das Stammpublikum sehr wohl weiss, um was es hier geht. Die Papierrestauratorin Katharina Plate dreht die Blätter jeweils um und erzählt anhand von Lichtkanten, Schimmelsporen, Gilbungen, Kleberesten, Rissen, Kaschierversuchen die Geschichte der jeweiligen Zeichnung. Ihre Arbeit klingt bisschen nach Kriminalkommissariat. Teltow und Plate sind eine gute Kombi und erzählen leichtfüssig und unterhaltsam. Wieder hingehen!



AI WEIWEI 13. Dez. 2017
HUMAN FLOW
Neues Off, Kino Berlin

+Hm, glaub nicht, dass Ai Weiwei die richtige Sprache für seinen Film gefunden hat. Die Bilder sind zu lecker. Manche Drohnenaufnahmen sehen aus wie eine Hochglanz-Georeportage und machen aus dem ganzen Elend fast schon eine schöne Welt. Wenn zum Beispiel die Goldfolien der gestrandeten Äthiopier in der dunklen Nacht aufblitzen. Geht nicht, kann man nicht machen. Am klarsten finde ich Ai Weiwei, wenn er mit seinem Händy bestimmte Situationen ungezielt aufnimmt und man in den verwackelten Bildern versucht, sich zu orientieren. Leider sehr selten. Einzelnen Flüchtlingen vor weissen Leintüchern ins Gesicht filmen geht übrigens auch nicht. Abgesehen davon finde ich den Anspruch, die gesamte Weltfluchtgeschichte in 2 Kinostunden einzufangen ganz schön vermessen. Und jetzt bin ich wütend (war ich im Kino nicht), weil es sich im Nachhinein fast so anfühlt, als hätte Weiwei sich am Leid bedient. Obwohl ich das nicht glaube.



BONVICINI MONICA 20. Dez. 2017
3612,54 m³ vs 0,05 m³
Berlinsche Galerie

+ist einfach wahnsinnig cool. Und fein. Und schön und heiter auch. Und so weit weg von allem, was ich gut finde.
Die Aluwand mit dem Gerüst und dem gleissenden Lichtrand darum herum ist ein fantastischer Empfang. Und wie man dann Bonvicinis Welt betritt und die Tür nach einer kleinen Verzögerung hinter einem zuschletzt. Und der Bronzelichtschalter. Und das verbogene Metallgeländer, dass mich sofort an Hautbeulen erinnert. Der Grad an Sexualisierung. Die Bewegungen des Gürtelschwanzes, der da an seinem langen Tau durch den Raum wischt (und man denkt natürlich peitscht, aber dafür ist er viel zu weich und träge) und Spuren hinterlässt, während die Schnallen leise klirren. Alles, alles toll.  
Alle Fotos: Esther Ernst