Ein Gespräch über das Goldrausch-Künstlerinnen-Projekt
in den 1990er Jahren zwischen Anne Marie Freybourg
und Susanne Weirich
Anne Marie Freybourg / Als Schwerpunkte für unser Gespräch hatten wir vereinbart, darüber zu sprechen, was für eine Öffentlichkeit durch Goldrausch entstand und uns zu fragen: Gelang damals für die Künstlerinnen eine erfolgreiche Positionierung und ist das heute anders? Hatten wir damals, in der ersten Etappe, mit Goldrausch goldene Zeiten?
Mich persönlich interessiert besonders die Frage der Öffentlichkeit. Das war mir damals bei der Gründung des Programms sehr wichtig. Im Grundsatz ging es darum, wie können wir Künstlerinnen in ihrer künstlerischen Selbständigkeit unterstützen und was müssen Künstlerinnen über das soziale und ökonomische Umfeld der Kunst wissen, was sie an den Hochschulen aber nicht lernen. Das fassten wir unter dem Oberbegriff Öffentlichkeit zusammen. Die Kunstöffentlichkeit war damals 1988, 1989, als ich zusammen mit der Soziologin Ute Birk das Programm gründete, schon in gewissem, Umfang komplex, aber noch nicht so kompliziert wie heute. Wir waren der Überzeugung, man muss sich als Künstlerinnen das Feld der Kunstöffentlichkeit sehr, sehr genau angucken. Für mich war Öffentlichkeit immer ein wichtiger strategischer Begriff. Klar, ich bin in meinem Studium in den 1970ern mit den Debatten von Oskar Negt und Alexander Kluge über Öffentlichkeit und der wichtigen Analyse von Jürgen Habermas zur Entstehung von Öffentlichkeit quasi aufgewachsen. Ich war überzeugt, wenn man eine eigene, neue Öffentlichkeit schafft, dann kann man auch neue Wege für die Kunst herstellen.
Erinnerst Du Dich noch, warum Du bei Goldrausch mitmachen wolltest?
Susanne Weirich / Ich bin 1991 nach Berlin gekommen und habe als künstlerische Mitarbeiterin an der TU Berlin gearbeitet, hatte ein paar mal – unter anderem im Künstlerhaus Bethanien – ausgestellt und gerade angefangen, mit einer jungen Galerie zu arbeiten. Für mich war der Hauptgrund bei Goldrausch teilzunehmen, mich noch besser zu vernetzen und Kolleginnen kennenzulernen, mit denen ich auch über meine Arbeiten diskutieren kann. Das ist etwas, was mir nach dem Studium sehr gefehlt hat, die Auseinandersetzung über meine künstlerische Arbeit. Und natürlich wollte ich auch mich in der Kunstszene bemerkbar machen, dadurch, dass ich eben auch KunstkritikerInnen kennenlerne. Ich war gespannt, wie das hier in Berlin funktioniert. Im Rückblick würde ich jetzt sagen, es war damals noch sehr viel entspannter als heute. Ich bin nach dem Studium an der Kunstakademie Münster erst kurzzeitig nach Hamburg gezogen und dann nach Berlin. Das war zweimal ein Neuanfang. Gerade in dem Feld der Kunst ist es schwierig, ohne Kontakte anzufangen. Deshalb wollte ich bei Goldrausch mitmachen.
Freybourg / Also ein Netzwerk suchen, oder?
Weirich / Ja, unbedingt. Ich fand an Goldrausch aber auch sehr positiv, dass Ihr uns darin geschult habt, wie wir uns besser vermarkten, wie wir uns darstellen und wie wir uns im allgemeinen Kunstkontext verorten.
Freybourg / Du hast eben gesagt, Dir ging es auch darum, zu erfahren, wie man sich am besten bemerkbar macht. Das finde ich einen sehr schönen Begriff: sich bemerkbar machen. Heute dagegen ist das neue Schlagwort: sichtbar machen. In meinem Verständnis geht es aber nicht nur darum, etwas oder sich sichtbar zu machen, sondern man muss auch die Stimme erheben, und das finde ich, bedeutet eben, sich bemerkbar zu machen. Sichtbarmachung ist einfach Schaufenster, eine schöne Auslage, aber das heißt noch nicht, dass man wirklich explizit die Stimme erhebt und sagt, was man meint. Aber das genau war mit dem klassischen Begriff der Öffentlichkeit, wie ich ihn im Kopf und im Herzen trug, gemeint.
Was wir konkret für die Öffentlichkeit in Berlin getan haben, war, dass wir zum Abschluss des jeweiligen Kurses Ausstellungen gemacht haben. Ich erinnere mich genau an die erste Ausstellung, 1990 fand sie statt. Der erste Kurs hatte Mitte September 1989 begonnen, man ahnte damals noch nicht, dass die Mauer fallen würde. Dann im November 1989 waren wir alle erst einmal ziemlich abgelenkt und aufgeregt. Und im September 1990 haben wir die erste Goldrausch-Ausstellung gemacht, im Künstlerhaus Bethanien, wo auch jetzt die Ausstellungen wieder stattfinden, in den Räumen mit der Kapelle. Wir fanden das sehr, sehr komisch in einer Kapelle auszustellen.
Wir haben dann in den folgenden Jahren viel an Orten ausgestellt, die vollkommen „independent“ waren, eine Art gefundener Orte. Wir waren zum Beispiel früh in den Edison-Höfen, als sich dort noch nicht international agierende Galerien etabliert hatten. Wir waren im Marstall, lange bevor die Hochschule Hanns Eisler dort einzog, und es noch sehr nach Lysol roch.
Wir bespielten gerne Orte, die noch nicht für die Kunst besetzte waren, was damals in Berlin sehr einfach möglich war. Heute sind fast alle Orte schon einmal mit Kunst bespielt worden oder alles ist bereinigt. Wir hatten aber auch Auftritte an klassischen Kunstorten. Manche Berliner Kunstinstitution war auf das Programm aufmerksam geworden und hat uns eingeladen, unter ihrem Dach und damit unter ihrem, wie soll man sagen, Prestige und Leumund auszustellen. Der erste war 1993 Jörn Merkert als Direktor der Berlinischen Galerie. Merkert fand das Programm spannend und vertraute Konzept und Qualität. Ein paar Jahre später dann, 1994, hat Thomas Kempas uns in das Haus am Waldsee eingeladen. Durch glückliche Zufälle konnten wir 1996 im Martin-Gropius-Bau im goldenen Erdgeschoß ausstellen. Die Ausstellung hat dann schon alle in der Stadt verblüfft. Zum einen, wieso durfte Goldrausch in der Belle-Etage des Gropius-Baus ausstellen, die eigentlich internationalen Ausstellungen vorbehalten war. Und zum anderen, es gelang uns, in diesen herausfordernden Räumen einen großartigen Auftritt hinzulegen.
Die Ausstellungsorte und damit die Öffentlichkeitsformen, die wir mit Goldrausch gesucht haben, waren eine Mischung. Das war für mich und die Künstlerinnen ein interessantes Wechselspiel und lustvolle Herausforderung, dass Bekanntheit bzw. Nichtbekanntheit, die institutionellen und technischen Anforderungen der jeweiligen Orte permanent wechselten.
Weirich / Das ist ja auch ein typisches Merkmal für das Berlin der 90er gewesen, dass man an Orten ausstellen konnte oder sich Räume erschlossen hat, die nur für eine ganz kurze Zeit da waren. Es gab ja auch Interims-Räume und -Plätze, auch Clubs, die nur für ganz kurze Zeit irgendwo im Untergrund firmierten und dann sofort wieder weg waren.
Freybourg / Wir hatten wirklich extrem viel Bewegungsfreiraum. Heute, wenn ich das richtig sehe, ist das meiste „trocken gewohnt“ und schon erobert. Interessant war dabei, dass wir mit diesen Ausstellungen unterschiedlichste Level von Öffentlichkeit für uns testeten. Das war für die jeweiligen teilnehmenden Künstlerinnen und für uns sehr, sehr interessant und aufschlussreich.
Weirich / Es ging darum, sich nicht nur auf den White Cube zu verlassen, sondern sich auch auf einen kunstfern markierten Raum wirklich einzulassen. Es begegnet mir oft ein Missverständnis bei jungen Kunststudentinnen, die ganz erpicht darauf sind, schön abgesichert in einem White Cube auszustellen. Häufig möchten sie gleich mit Sound, Geruch und Bildern arbeiten, möglichst auch mit allen Medien und dafür einen einzelnen, separaten Raum haben. Das entspricht meiner Erfahrung über die realen Ausstellungsmöglichkeiten, die man als Künstlerin hat, auf jeden Fall nicht und ich finde es auch gar nicht so spannend. Anstelle des White Cubes ist es eine interessantere Herausforderung, die Bedingungen eines Raumes zu reflektieren, der vielleicht einen anderen Kontext oder einen komplizierten Grundriss hat, und darauf zu reagieren.
In den Goldrausch-Ausstellungen ließ sich auch damit experimentieren, welche Arbeit nach welchen Kriterien neben welche andere passt und was für Korrespondenzen die unterschiedlichen Installationen, Bilder und Videos miteinander eingehen. Grundsätzlich ist das bei Gruppenausstellungen eine schwierige künstlerische Aufgabe, und das ist ein zusätzlicher Aspekt, den ich an dem Goldrausch-Kurs in guter Erinnerung habe: Wir haben uns auch mit Arbeitsweisen, mit denen wir ansonsten gar nichts zu tun hatten, weil sie konträr zu dem sind, was die einzelne Künstlerin selbst tut, auseinandergesetzt, und auch voneinander gelernt.
Freybourg / Aufgrund der bei der Auswahl der Goldrausch-Teilnehmerinnen von uns bewusst erwünschten Bandbreite der künstlerischen Positionen, war die Ausstellung wirklich immer wie ein bunter Strauß. Als Kuratorin musste man zusehen, dass daraus eine schlüssige Ausstellung wurde. Wir haben uns sehr intensiv mit den Arbeiten beschäftigt, haben alle miteinander diskutiert, was willst du eigentlich mit deiner Arbeit und warum so oder so, damit wir die richtigen Anschlüsse innerhalb der Ausstellung finden konnten. Ich glaube, diese Art von Diskussion und Methode, immer wieder in unterschiedlichen Räumen auszustellen, war etwas, das als Schärfung der Reflexion, was ist und was kann Goldrausch leisten, dazu beigetragen hat, dass man die Öffentlichkeit sehr, sehr ernst genommen hat und ebenso die Frage, was für eine Öffentlichkeit stellen wir her. Das ist der eine Punkt. Der zweite war eben, was wir vorhin gesagt haben, sich bemerkbar zu machen, und genau zu überlegen, zu diskutieren, was für eine Stimme erhebt man eigentlich.
Weirich / Wichtig fand ich auch die Überlegung, aus welcher Art von Raum man in die Öffentlichkeit tritt. Das ist vielleicht ein Atelier, aber inwiefern ist das eigentlich öffentlich oder privat, oder wie definiert sich dieser Raum? Erst einmal ist es eine Werkstatt und unterschiedliche Künstlerinnen, abhängig von ihrer Arbeitsweise oder ihrer Mentalität, brauchen unterschiedliche Arbeitsräume. Das war schon etwas Besonderes, dass wir im Kurs alle Künstlerinnen zuhause, Schrägstrich im Atelier besucht haben und dort die Arbeiten der jeweiligen Künstlerin präsentiert wurden. Als konzeptuell arbeitende Künstlerin hatte ich nicht so einen klassischen Atelierraum, wie man sich das etwa bei einer Malerin vorstellen würde. Für den Besuch der Kolleginnen musste oder eher wollte ich diese Situation inszenieren. Da war für mich auch die Frage, wie gehe ich damit um. Welche Erwartungen bediene ich da oder enttäusche sie auch; welche unterschiedlichen Strategien entwickeln wir, um uns als Künstlerinnen darzustellen?
Freybourg / Und dann kam der nächste Schritt, mit der Kunst raus aus dem Atelier in den Ausstellungsraum. Gerade, wenn wir in Räumen ausstellten, die nicht institutionell „gebrandet“ waren, begab man sich auf ein unbekanntes Terrain, in dem man selber sehr genau steuern musste, wie denn jetzt die ganze Sache rüberkommt. Die Wahrnehmung der Besucher und ihre Einschätzung der jeweiligen Kunst wurden nicht schon durch die institutionellen Vorgaben gesteuert. Anders, wenn zum Beispiel die Berlinische Galerie eine Goldrausch-Ausstellung zeigte und der Besucher sich sagen konnte: wenn die BG sich dafür interessiert, wird es schon was sein. Gucken wir doch mal, was die so machen. Dagegen an den freien Orten gab es keine institutionellen Vorgaben, wie die Arbeiten und die Ausstellung rezipiert werden sollten oder müssten. Hier mussten wir uns durch die Inszenierung und die Qualität der Arbeiten behaupten. Eine große Herausforderung für uns alle, aber wir konnten die Öffentlichkeit wirklich selber strukturieren und bestimmen. Das ist heute anders. Die Künstler und Künstlerinnen, so mein Eindruck, wollen eher in Institutionen oder in Galerien ausstellen, obgleich das auch immer festgesetzte Rahmenbedingungen bedeutet. Zudem sind Erwartungen der Institution da, die man dann erfüllt oder nicht erfüllt, bricht oder nicht. Wie geht Dir das heute? Also Du stellst ja viel in Institutionen aus, hast auch über lange, lange Zeit mit Galerien zusammengearbeitet.
Weirich / Ich mag beides. Gerade hatte ich eine Einzelausstellung im Herzog-Anton-Ulrich-Museum in Braunschweig. Es ist grundsätzlich komplizierter, mit solchen Institutionen zu arbeiten. Eine der organisatorisch aufwendigsten Ausstellungen, die ich erinnere, war 1999 eine Einzelausstellung im Kunsthaus Zürich, weil ich mich nicht nur auf die räumlichen Bedingungen des Museums eingelassen habe, sondern auch auf die besonderen, häufig gewerkschaftlich bestimmten Arbeitszeiten dieser Institution. Ich konnte zwar mit den Handwerkern arbeiten, aber die haben morgens um sieben angefangen und um Punkt halb 5 aufgehört. Als ausstellende Künstlerin musste ich das genauso machen. Es ist eine logistische Herausforderung – das war jetzt auch wieder in Braunschweig so – , dass andere Zeiten mit der Institution ausgehandelt werden müssen. Ich muss vermitteln, dass ich nicht nur im Rahmen der Arbeitszeit der Handwerker meine Arbeit aufbauen kann. Was soll ich dann den Rest der Zeit machen? Wie passt das mit der Koordination von meinen MitarbeiterInnen, wie mit meiner Lehrtätigkeit an der Universität Duisburg-Essen zusammen? Ich muss da als ein Unternehmen auftreten und mit den jeweiligen Institutionen verhandeln. Mit der Zeit habe ich gelernt, wie ich das am besten mache.
Freybourg / Das heißt, für die Produktionsbedingungen, die man als Künstlerin selber braucht, gut zu verhandeln, ein Optimum einzufordern und mit den Produktionsbedingungen, die die Institution hat, einen Kompromiss zu finden.
Weirich / Ja, genau. Erst mal zu sagen, ich brauche das jetzt und ich kann nur so arbeiten, meinetwegen stehe ich dafür auch um sechs auf, das ist nicht das Problem. Aber ich müsste auch mal einfach eine Nacht durcharbeiten, um verschiedene Lichtverhältnisse auszuprobieren. Und direkt nach der Eröffnung fahre ich vielleicht mit den Studierenden auf eine Exkursion oder nehme Prüfungen ab. Es ist dann meistens auch möglich. Dann ist da der ganze finanzielle Ablauf: Muss neue Technik angeschafft werden, inwiefern muss ich in Vorleistung gehen und kann ich die Ressourcen des Museums nutzen, um Sachen bauen zu lassen. Das muss alles über einen langen Zeitraum geplant werden und das ist sehr aufwendig.
Freybourg / Uns und allen Teilnehmerinnen ging es in dem Programm auch darum, den Behauptungswillen wirklich zu trainieren. Also so ein bisschen wie eine Muckibude.
Weirich / Ja, guter Vergleich.
Freybourg / In unserem Selbstverständnis als Projekt war es wichtig, dass wir gesagt haben, uns geht es um interessante und gute Kunst – Pause – von Künstlerinnen. Wir haben in den Kursen viel darüber diskutiert, dass es in Ergänzung zu der Frage, welche Art von Öffentlichkeit will man gestalten, auch darum geht, die eigene Position zu bestimmen. Wir haben die Künstlerinnen immer aufgefordert: Jede muss ihre Position bestimmen. Mich interessiert, wie hat sich das denn damals für Dich angefühlt? Und wie konnte das für Dich gehen? Ich erinnere mich, dass Du damals beim Atelierbesuch erzähltest, dass Du Dir eine fiktive Dialogpartnerin geschaffen hattest, der du Briefe geschrieben hast. Du hast Dich quasi aufgespalten in die Künstlerin Susanne Weirich und die Briefpartnerin. Du hast Dich gezielt in eine Situation gebracht, wo du versuchen konntest, zu reflektieren, was tue ich eigentlich. Du hast einen selbstkritischen Briefwechsel mit Dir selber geführt.
Weirich / Ja, das stimmt. Ich habe eigentlich mit einer Freundin, die aber keine Künstlerin, sondern Filmproduzentin ist, die Briefe gewechselt. Wir haben uns verschiedene Pseudonyme für unsere jeweiligen Ichs erfunden und die haben sich untereinander Briefe geschrieben. Ich konnte diesen Briefwechsel mit einer gewissen Distanz dazu benutzen, um in verschiedene Positionen und Rollen zu schlüpfen. Um z.B. zu sagen, die Person A könnte durchaus diesen Ausweg oder diese Produktion von Kunst machen oder Person B fände es besser, wenn es ein bisschen verspielter wäre oder etwas konzeptueller. Das mache ich heute noch, ohne Briefe allerdings. Ich habe das schon so internalisiert, dass die Briefe nicht mehr nötig sind.
Freybourg / Nochmal zu der Positionierung, wie war das bei Dir? Die eigene Position schälte sich allmählich heraus?
Weirich / Ja, wenn ich mich irgendwo vorgestellt habe, war es wichtig, dass ich mich getraut habe, zu sagen, ich bin bildende Künstlerin. Es hat am Anfang etwas gedauert, bis ich das sagen konnte. Ich muss nicht unbedingt ein riesiges Bild malen oder eine Figur aus Stein hauen, um als bildende Künstlerin gelten zu können. Damals war eine häufige Frage an mich, wenn ich mich als Künstlerin vorstellte: Was malen Sie denn? Meine absolute Lieblingsfrage. Die ist immer gekommen. Völlig egal, ob ich beim Arzt war oder in einem Personenkreis, der mich sonst nicht kannte.
Freybourg / Meinst Du, das ist heute auch noch so?
Weirich / Eher nicht. Ich könnte nun auch ohne Verständnisprobleme sagen, dass ich mediale Installationen mache. Das hat sich begrifflich durchgesetzt. Früher habe ich, je nach Stimmung, gesagt, ich male nur Seestücke oder [Lachen] nur Blumen.
Freybourg / Das war also ein wichtiger erster Schritt für die eigene Positionierung. Zu sagen, ich trete jetzt in die Öffentlichkeit mit der klaren Ansage, ich bin weder Krankenschwester noch Malerin, sondern mache anderes und bin aber bildende Künstlerin. Der nächste wichtige Schritt für die Positionierung ist dann gewesen, zu durchschauen, wie die Strukturen des Kunstfeldes sind. Man darf nicht vergessen, wir sprechen über die 1990er Jahre. Damals was das Kunstfeld längst nicht so diversifiziert. Das Feld war noch einigermaßen überschaubar.
Weirich / Sehr übersichtlich. Ausgesprochen übersichtlich.
Freybourg / Wir haben bei Goldrausch versucht, aufzuzeigen, wie die Strukturen des gesamten Kunstfeldes waren, wie sie gewachsen sind, wer die Akteure darin waren und in welchen Abhängigkeiten oder Verwicklungen die verschiedenen Akteure zueinander standen. Es war uns wichtig, eine Vorstellung davon zu gewinnen, wie verwickelt das Feld doch schon war. Dass man nicht einfach wie auf einem freien Platz laufen konnte und sich hinstellt und sagt: Hallo, hier bin ich. Hier will ich sichtbar sein. Dass man sich vielmehr genau überlegen musste, welche Strategie man plant und einsetzen will. Trotzdem haben wir auch immer gesagt, es gibt keinen goldenen Weg zum Erfolg.
Zum strategischen Überlegen und Planen gehörte ebenso dazu, mögliche Widrigkeiten mitzudenken. Nicht nur einen Plan A zu haben, sondern ebenso mit einem Plan B, eventuell auch Plan C in Alternativen zu denken und den Zufall ins Kalkül zu ziehen, auf die Wechselfälle des Zufalls eingerichtet zu sein. Eigentlich eine normale Sache für rational planende Menschen. Rückblickend würde ich aber sagen, wir haben da eine Flexibilität trainiert, die heute gerne als typische Arbeitshaltung von Künstlern gelobt und gleichzeitig von jedem Start-Upler oder Praktikanten erwartet wird. Heute ist es eine Flexibilität, die zum Vorbild stilisiert wird, die sich gut ausbeuten lässt.
Wir meinten eigentlich eine mentale, kreative Flexibilität. Dass man versucht, das, was man tut und machen will, auf komplexe Weise zu planen und nicht linear zu sagen: Ich will von A nach B, sondern, als ob du Triathlon machst und dich nicht darauf beschränkst, nur eine Sportart zu trainieren, da musst du genau schauen, okay, ich bin im Laufen gut, aber im Schwimmen nicht so gut. Als Künstlerin, als Künstler musst du deine eigenen verschiedenen Fähigkeiten im Künstlerischen, im Management und in der Kommunikation für die Strategieplanung richtig einschätzen, auch selbstkritisch einschätzen und dann daraus den Plan entwickeln. Deswegen haben wir die teilnehmenden Künstlerinnen ermuntert, die jeweilige Strategie aus einer kritischen Einschätzung der eigenen Fähigkeiten und der Komplexität des Kunstfeldes heraus zu entwickeln. Also 15 Teilnehmerinnen, 15 verschiedene Strategien.
Weirich / Dadurch gab es – und ich habe das als eine große Offenheit empfunden – die Diskussion der verschiedenen Strategien der Einzelnen und es wurde deutlich, dass es nicht nur eine Möglichkeit gibt, sondern unterschiedliche Arten, sich zu verhalten. Es gibt durchaus Künstlerinnen, zu denen ich auch gehöre, die mit verschiedenen Medien oder in unterschiedlichen Konstellationen arbeiten können. Ich arbeite sehr gerne in Teams und habe durch meine Stelle an der TU Berlin mehrere ArchitektInnen kennengelernt. Mitte der 1990er habe ich dann angefangen, Kunst-am-Bau Aufträge anzunehmen, das war für mich neu. Da sind ganz unterschiedliche Strategien nötig und auch möglich. Ich komme in Situationen, in denen ich mich dann ganz anders verhalten muss, als wenn ich allein an meinem Schreibtisch sitze: anstelle des geschützten Kunstraums muss ich mich mit Brandschutzverordnungen und Statikberechnungen auseinandersetzen und kann dadurch möglicherweise auf andere Ideen kommen.
Freybourg / Das war ein Report über die 90er.
Weirich / Das war es schon? Ich möchte noch etwas zu Markt und Strategien ergänzen. Heute ist es noch wichtiger als damals, wie man sich in einer Galerie organisiert oder vor allen Dingen, wie ohne Galerie. Wie macht man das überhaupt finanziell? Es geht nicht nur darum, wie bewirbt man sich auf Stipendien, irgendwann ist einfach Schicht mit den Stipendien und man muss dann finanziell irgendwie weiter existieren. Wie baut man das in seine Arbeit ein?
Freybourg / Ja, der ökonomische Druck ist höher geworden. In den 1980 und 1990ern war Atelierraum in Berlin günstig und Wohnraum ebenso. Deswegen sind wir alle scharenweise nach Berlin gekommen, weil man hier durch die niedrigen Lebenshaltungskosten beruflich ganz anders experimentieren konnte. Das hat sich extrem verschärft und geändert. Man kann nicht mehr, wie wir es in den 1980ern hier in Berlin taten, halb träumerisch, halb experimentell arbeiten. Das ging auch noch in den 1990ern, durch die Wiedervereinigung war hier Abenteurerzeit. Das ist alles komplett vorbei. Das Experimentieren muss man in andere Bereiche verlagern, jedenfalls aber nicht in das Ökonomische.
Ich kriege aus dem ehemaligen Goldrauschkreis mit, dass Künstlerinnen, die wohlgemut in den 1990ern ihre Karriere gestartet, auch in den 2000er Jahren noch ausreichend Öffentlichkeit hatten, heute aus der breiteren Öffentlichkeit rausgeflogen sind. Sie trotzdem immer noch als Künstlerinnen arbeiten, aber eben nur noch in Nischen. Man muss jetzt überlegen, was für neue Öffentlichkeiten man herstellen kann.
Weirich / Ich finde zudem sehr wichtig, dass es durch die lange Tradition von Goldrausch, mittlerweile fast 30 Jahre, eine andere Form von Öffentlichkeit gibt, nämlich diesen Erfahrungshorizont und die Möglichkeit, dass man über die historischen Unterschiede der 1990er Jahre und der heutigen Situation reden und diskutieren kann. Für Jurytätigkeiten habe ich das Goldrausch-Archiv schon mehrfach für Vorschläge genutzt. Bei einem Alumni-Treffen von Goldrausch habe ich mich kürzlich mich mit zwei jungen Kolleginnen unterhalten, beides Malerinnen aus dem aktuellen Kurs. Da dachte ich, das könnte man viel mehr ausbauen. Warum erfindet man zum Beispiel nicht so etwas wie Patenkünstlerinnen für die jungen Künstlerinnen. Sie könnten sich in regelmäßigen Abständen mit Künstlerinnen aus einer alten Goldrausch-Generation treffen und vernetzen? Davon könnten vielleicht beide Seiten profitieren. Man sollte so eine Alumni-Veranstaltung ernst nehmen und sie so einsetzen, wie das zum Beispiel in der Wirtschaft passiert. Das ist noch ausbaufähig.
Anne Marie Freybourg war zusammen mit Ute Birk Gründerin des Goldrausch-Künstlerinnenprojekts und leitete es von 1989–2001 zusammen mit wechselnden Kolleginnen. Susanne Weirich ist Künstlerin, Kunstprofessorin und Teilnehmerin des Kurses VI, 1994/95.
Goldrausch-Ausstellung von 1996 im Martin-Gropius-Bau: von links nach rechts: Ingrid Mostrey,
Juliane Laitzsch, Antje Dorn (an der Wand), Francis Zeischegg (im Vordergrund).