Es hat sich jede Menge Material angesammelt auf meinem Schreibtisch zu diesem auf den ersten Blick zwar sensiblen, aber doch wenig spektakulär erscheinenden Thema: diverse Zeitungsartikel, E-Mails, Bücher, Fotos, Gesprächsprotokolle, politische Korrespondenz und Kostentabellen.
Angeregt durch Gespräche mit der Künstlerin Sigrid Weise über ihre Fotoarbeiten „Drei Platten 1–3“ (2015), deren Ausgangsmaterial auf dem Neuen Zwölf-Apostel-Kirchhof in Schöneberg aufgenommen wurde, begann ich, vor allem aus soziologischem Interesse, eine Recherche entlang folgender Fragen: Was passiert, wenn jemand mittellos und/oder völlig vereinsamt verstirbt? Wenn keine Angehörigen bzw. Bestattungspflichtigen – das sind immer die nächsten Angehörigen der/des Verstorbenen – da sind, die sich um die Bestattung kümmern? Setzt sich gesellschaftliche Diskriminierung auch nach dem Tod fort? Neben den vielen gesetzlichen Regelungen, die in solchen Fällen zur Anwendung kommen und die im Folgenden kurz umrissen werden, interessierte mich, wie es um derartige Begräbnisse in Berlin steht und ich besuchte exemplarisch zwei Friedhöfe, um herauszufinden, wie die Gräber unter den oben beschriebenen Umständen Verstorbener aussehen und wo sie sich befinden.1
Hintergrund Dass in Deutschland – vor allem aus hygienischen Gründen – eine in den Bestattungsgesetzen der Bundesländer geregelte Bestattungspflicht besteht, bildet die Grundlage. Eine Leiche darf nicht außerhalb der dafür vorgesehenen Flächen – in der Regel sind das Friedhöfe oder anerkannte Begräbniswälder („Baumbestattung“) – vergraben oder sonst wie gelagert werden; auch die Aufbewahrung einer Urne ist nach der Kremation nicht außerhalb solcher Orte gestattet. Alternativ dazu besteht die Möglichkeit einer Seebestattung. Diese ist jedoch nur in ausgewiesenen Gebieten der Nord- und Ostsee erlaubt und muss vorher genehmigt werden. Zudem ist vorgeschrieben, dass immer eine Leichenschau stattfinden und eine Sterbefallanzeige beim Standesamt erfolgen muss ...
Doch zurück zum Thema: Die Bestattung verarmt Verstorbener, deren Bestattungspflichtige finanziell nicht für die Beerdigung aufkommen können – oder eben, und das ist der zweite Fall, die Bestattung von arm Verstorbenen ohne bestattungspflichtige Angehörige.
Fakten und Zahlen – am Beispiel Berlin Im ersten Fall der „sozialen Bestattung“ haben die bestattungspflichtigen Angehörigen die Möglichkeit, auf Nachweis ihrer eigenen Mittellosigkeit bei der Stadt/beim Land einen Zuschuss für die Beerdigung zu beantragen. In Berlin ist die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales der Ansprechpartner. Die Höhe der Pauschale liegt aktuell bei 750 Euro.2 Wird diese genehmigt, kommt der Senat in der Regel auch für die verbindlichen Kosten für den Leichenschauschein und mögliche Krematoriums- und Friedhofsgebühren auf, sodass – laut der in dem Bereich beim Senat langjährig zuständig gewesenen Frau Schemmerling – insgesamt durchaus bis zu 2.000 Euro übernommen werden.
Den folgenden amtlichen Zahlen kann entnommen werden, dass die Anzahl solcher vom Senat finanzierten Bestattungen in Berlin in den letzten Jahren kontinuierlich zurückgegangen ist: 2012 waren es 2.408, in 2013: 2.047, in 2014: 1.722 und in 2015: 1.610. Im Jahr 2014 lagen die Ausgaben des Senats für Bestattungskosten bei 2.358.640,52 Euro. Pro Bestattung wären das 1.369,71 Euro.3 Der Grund für den unerwarteten Rückgang ist nicht bekannt, er könnte, so Frau Schemmerling, mit den Änderungen in den „Berliner Ausführungsvorschriften über den Einsatz des Vermögens in der Sozialhilfe“ vom 20. Juni 2014 zusammenhängen.4 Der zweite Fall ist die „ordnungsbehördliche Bestattung“, für die in Berlin das Gesundheitsamt des Bezirks aufkommt, in dem der/die Verstorbene gemeldet war (wenn überhaupt eine Meldung vorlag). Die ordnungsbehördliche Bestattung wird durchgeführt, wenn der/die Verstorbene kein Geld hinterlassen hat und wenn von den Behörden innerhalb von sieben Tagen keine Bestattungspflichtigen ermittelt werden können. Seit 2008 sind die Berliner Bezirke dazu verpflichtet, die günstigsten Bestatter und Friedhöfe über Ausschreibungen zu ermitteln.
Zur Orientierung auch hierzu einige Zahlen, die aufgrund einer Schriftlichen Anfrage des Abgeordneten Fabio Reinhardt (PIRATEN) vom 16.11.2015 von den Berliner Bezirken ermittelt wurden: In 2014 gab es 2.103 ordnungsbehördliche Bestattungen gemäß § 16 Absatz 3 des Berliner Bestattungsgesetzes, in 2015 waren es 2.070. Im Bezirk Mitte gab es dabei jeweils den höchsten Anteil, nämlich 284 in 2014 und 296 in 2015. Das mir von der Pressestelle des Senats zur Verfügung gestellte Dokument hält weitere Fakten bereit, etwa dass sich unter den ordnungsbehördlich Bestatteten regelmäßig mehr Männer als Frauen befanden.5 In beiden Fällen wird man versuchen, dem Letzten Willen des/der Verstorbenen so gut wie möglich nachzukommen, sollte dieser bekannt sein. Aufgrund der geringen Mittel wird eine Beerdigungsfeier und die Ausstattung des Grabs aber immer sehr bescheiden ausfallen oder auch gar nicht realisiert werden können.6 Dass es bis zum 1. Januar 2004 in Deutschland noch ein Sterbegeld für gesetzlich Krankenversicherte gab, daran werden sich vermutlich nur wenige erinnern. Mit dem „Gesetz zur Modernisierung der staatlichen Krankenkassen“, damals verabschiedet von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (Rot-Grüne-Koalition), wurde der Anspruch darauf – nachdem es kurz vorher bereits deutlich gekürzt worden war – endgültig aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Kassen gestrichen, unter anderem mit der Begründung, es sei keine Kernleistung, da der Bestattungszuschuss nach dem Tod an einen Dritten ausgezahlt würde. Zuletzt betrug der Betrag noch 525 Euro für den Versicherten bzw. 262,50 Euro für Familienversicherte; bis Ende 2001 war es immerhin noch das Doppelte.7
Vor Ort / Auf dem Friedhof in
Berlin-Schöneberg und Berlin-Mitte Geht man über die Berliner Friedhöfe, lassen sich, wenn man weiß, wonach man sucht, verschiedene Formen solcher „Sozialgräber“ finden. Ausgangspunkt meiner Recherche waren, wie anfangs bereits erwähnt, die sehr unauffälligen, größtenteils unbeschrifteten und in Reihe auf dem Boden verlegten Steinplatten auf dem evangelischen Neuen Zwölf-Apostel-Kirchhof in Schöneberg, die Sigrid Weise in den Fotoarbeiten „Drei Platten 1–3“ (2015) in Mehrfachbelichtungen festgehalten hat. In zehn teils durch Einzelgräber unterbrochenen Reihen liegen diese auf einer größeren Grasfläche inmitten des von diversen Industriebetrieben umgegebenen Friedhofs, der inzwischen auch für muslimische Bestattungen genutzt wird – jeweils etwa 40 bis 70 Stück hintereinander. Von einem Friedhofarbeiter konnte ich auf Nachfrage erfahren, dass zu jeder Platte sechs in deren Umfeld bestattete Urnen gehören und dass sich darunter auch solche von „sozial“ Bestatteten befinden. Auf einigen der Platten stehen – wie es auf den Mehrfachbelichtungen von Sigrid Weise (insbesondere bei „Drei Platten 3“, siehe Abbildung) sichtbar wird, Kerzen, Blumen oder auch eine Bierflasche, nur wenige tragen Namensschilder, nie sieht man sechs Namen auf einem Schild. Die Beschriftung wurde, laut Frau Burhoff, Verwalterin der Kirchhöfe von Zwölf Apostel, teils erst rückwirkend von Angehörigen oder Freunden ermöglicht, um der Anonymität vorzubeugen und einen konkreten Trauerort zu schaffen, was durchaus im Sinne der Gemeinde ist, denn der Trend geht, wie sie sagt, gegen die Anonymisierung.8 So wurden in der näheren Umgebung der Platten kürzlich auch drei pultähnliche Stelen aus Stein aufgestellt. Zukünftig sollen darauf die Namen der unter der Grasfläche für wenig Geld Bestatteten in foliierten Ringbüchern dokumentiert werden. Die Anlage wurde jedoch noch nicht in Betrieb genommen, was möglicherweise auch damit zusammenhängen könnte, dass die Gebühren für diese Form der „Urnenreihenstelle“ inzwischen von anderen Friedhöfen „unterboten“ wurden.
Auf dem Neuen Zwölf-Apostel-Kirchhof kann man noch ein weiteres „soziales“ Grab finden: und zwar ein (erweiterbares) Gemeinschaftsgrab, wie man es inzwischen auf vielen Friedhöfen in ähnlicher Form finden kann.9 Es gehört zu einem Seniorenheim. Auf einer Steintafel lassen sich die Namen der im Heim Verstorbenen lesen, die dort, vermutlich weil ohne Nachkommen oder eben ohne (viel) Geld verstorben, bestattet worden sind.10 Zu den Begräbnisfeiern kommt, laut Frau Burhoff, neben dem Pfarrer immer auch jemand vom Pflegepersonal des Seniorenheims.
Eine andere Erscheinungsform preisgünstiger Bestattung findet man in Berlin-Mitte, etwa auf Höhe des neuen BND-Geländes rechts der Chausseestraße hinter der Tankstelle auf dem katholischen Alten Domfriedhof der St. Hedwigs-Gemeinde. Die Tatsache, dass die Friedhofsanlage denkmalgeschützt ist, ermöglicht es, alte Grabanlagen gewissermaßen umzunutzen: so findet man heute in einigen größeren, teils umzäunten Gräbern, im Abstand von je ca. 30 cm, mehrere Reihen von Namensschildern gesteckt (mit Geburts- und Sterbedatum, siehe Abbildung), die jeweils zu einer bestatteten Urne gehören – was ein recht neues, ungewohntes Bild von Grab vermittelt. Erst meine Recherche hat mich ausgerechnet zu diesem Friedhof geführt, denn über mehrere Telefonate konnte ich herausfinden, dass dort aktuell auch „ordnungsbehördliche Bestattungen“ für mehrere Berliner Bezirke durchgeführt werden.
Die Friedhofsverwaltung St. Hedwig war bereit, mir einige Fragen zu beantworten. So habe ich erfahren, dass der Gesamtpreis für die günstigste Art der Beisetzung – die in der Regel auch bei der ordnungsbehördlichen Bestattung gewählt wird – dort laut der Gebührenordnung bei etwa 365 Euro liegt. Enthalten ist darin eine Urnenreihenstelle inklusive des üblichen Nutzungsrechts für 20 Jahre, die Bestattungsgebühr, ein Namensschild und die Kapellenbenutzung.
Wichtig war der Verwaltung zu betonen, dass auch bei ordnungsbehördlichen Bestattungen immer eine stille Andacht in der Kapelle mit Aufbahrung der Urne durchgeführt wird, auch wenn keine Gäste da sind: Ausgangspunkt der Beisetzung ist immer die Friedhofskapelle. Es gibt keine anonymen „Schubkarrenbestattungen“, wie sie bereits mehrfach in Zeitungsartikeln im Zusammenhang mit ordnungsbehördlichen Bestattungen beschrieben und kritisiert worden sind.10 Außerdem finden in der Kapelle regelmäßig Andachten für die ordnungsbehördlich Bestatteten statt. Diese richten sich zum Beispiel an Freunde oder Bekannte der Verstorben, sie finden aber auch statt, wenn niemand kommt.
Die Gespräche mit Frau Burhoff und der Friedhofsverwaltung St. Hedwig, die Beobachtung, dass sich die beschriebenen Urnenreihenstätten mitten auf dem Friedhof und nicht in einer Randzone befinden, genauso wie die zahlreich vorgefundenen Informationen über bereits existierende und neu geschaffene „soziale“ Gemeinschaftsgräber – auch über Berlin hinaus – haben mir, wenn natürlich auch nur exemplarisch, das Gefühl vermittelt, dass es durchaus Verantwortliche und Initiativen gibt, die sich der Problematik bewusst sind und die aktiv darüber nachdenken, wie man auch arm und einsam Verstorbenen einen halbwegs würdigen Tod und deren Nachkommen auch einen einigermaßen angemessenen Ort zum Trauern ermöglich kann. Hoffen wir auch zukünftig das Beste.
Dieser Text entstand als Vorfassung für einen Beitrag zum Künstlerbuch „RUHE. STÄTTE“ von Sigrid Weise, das in 2018 erscheinen wird.
1
Als Fachfremde hoffe ich, die mir vorliegenden Aussagen und Zahlen nicht falsch interpretiert zu haben.
2
Die Höhe der Pauschale variiert von Bundesland zu Bundesland.
3
Die Quelle ist hier eine Tabelle, die mir Frau Schemmerling zur Verfügung stellte. Titel: „Anzahl der Bestattungen und Bestattungskosten nach § 74 SGB XII in Berlin nach Bezirken und Jahren“.
4
Härtefallregelungen/Schonvermögen Ziffer 22 Abs. 6: „Als angemessen ist ein zweckgebundenes Vermögen anzusehen, das 5600 Euro (3000 Euro für die Bestattung und 2600 für die Grabpflege) nicht übersteigt. Darüber hinaus gehende Summen können anerkannt werden, wenn die Besonderheiten des Einzelfalles eine abweichende Entscheidung rechtfertigen.“
5
Quelle: Antwort des Abgeordnetenhaus BERLIN auf die Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Fabio Reinhardt (PIRATEN) vom 16.11.2015; Drucksache 17/17 368, 17. Wahlperiode.
6
Die Gesamtkosten einer klassischen Erdbestattung liegen zwischen 3.000 und 12.000 Euro. Die größten Einzelpositionen sind die Beisetzungs- und Grabnutzungsgebühr; der Sarg und der Grabstein. Die seit Jahren im Trend liegende Feuerbestattung ist insgesamt etwas günstiger. Die Gebührenordnungen der Berliner Friedhöfe lassen sich über das Internet ermitteln.
7
Quelle ist ein Dokument der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags, erstellt „vor dem Hintergrund von Überlegungen zur Wiedereinführung des Anspruchs auf Sterbegeld als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung“: Sachstand – Sterbegeld als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung – Rechtshistorische Entwicklung und aktueller Stand, 11.3.2016, S. 7.
8
Eine Bestattung ohne Namensschild ist lt. Frau Burhoff dort nicht mehr möglich.
9
Die Suppenküche der Berliner Kirchengemeinde St. Petri–St. Marien unterhält eine Grabstelle auf dem Parochialfriedhof an der Landsberger Allee. Auf den Friedhöfen vor dem Halleschen Tor hat die Kirchengemeinde Heilig Kreuz-Passion eine Beerdigungsstätte für Mittel- und Obdachlose eingerichtet: das „Grab mit vielen Namen“.
10
Vgl. u.a.: Verena Friederike Hasel: „Ehre Letzte“,
in: Der Tagesspiegel, 11.08.2012, online unter:
http://www.tagesspiegel.de/berlin/ehre-letzte/6988048.html
Alter Domfriedhof St. Hedwig, katholischer Friedhof
in Berlin-Mitte, 2017, Foto: Sigrid Weise
Sigrid Weise „drei Platten 3“, 2015, digitale Mehrfachbelichtung, 65×100 cm