Hey Siri!“
„Wie kann ich behilflich sein?“
„Kannst du mir sagen, was es mit dem spaßigen Minizug im Nazibunker auf sich hat?“
„Tut mir leid ich habe diese Frage nicht verstanden.“
„Hatte Walt Disney nicht so eine Klein-Bahn in seinem Garten, seinen Kindheitstraum?“
„Tut mir leid ich habe diese Frage nicht verstanden.“
„Soll ich auf den ‚New Media Express‘ aufspringen, mich fahren lassen, nichts bestimmen, in nur eine Richtung, die Perspektive wechseln, mich klein machen? Ist es die eine Verbindung, Pseudo-Interaktivität, Spektakel? Back and forth? Endstation?“
„Tut mir leid ich habe diese Frage nicht verstanden.“
Ich hatte Josephine Pryde gebeten, ob sie mir ein paar Fragen beantworten könnte. Leider hatte sie keine Zeit. Netterweise meinte sie aber, ich würde es auch ohne sie schaffen.
Wüsste ich nicht, dass sie diesen Zug schon mal in Zusammenhang mit Makroaufnahmen von Händen, die mobile devices halten, in den USA und GB gezeigt hätte, die Überlappung im Telekommunikations-Bunker der Deutschen Reichsbahn wäre wohl zu offensichtlich. Es handelt sich noch dazu um einen Güterzug, auf den ich aufspringen kann, gefahren werde als Ware, von einer Angestellten ziemlich rasant, einmal nach vorn um eine leichte Kurve und dann wieder zurück, rückwärts. Von den Bildern rechts von mir nehme ich nichts wahr, zu schnell ist alles. Den Raum erfahre ich schon eher, dessen ungeheure Dimension wird mir bewusst. Überhaupt dieser Ort mit der düsteren Atmosphäre, kein Blick nach draussen, massenweise Beton. In diesem vergessenen Bunker am Halleschen Ufer lagerten zu Mauerzeiten Teile der Senatsreserve, Güter, die die West-Berliner im Fall einer erneuten Blockade ein halbes Jahr lang versorgt hätten. Heute wurde er behutsam renoviert und beherbergt die Privatsammlung eines Schwaben mit mysteriösem Vornamen.
Schwer gegen den Raum und dessen Düsternis anzukämpfen, der Zug erweckt nur differente Phantasien der Vergangenheit, vielleicht taugt er ja als Metapher für Zeit. Acceleration analog? Oder für den gerichteten Blick, der gelenkten Beobachtung? Ich bin ratlos.
Die zarten Frauenhände auf den Fotografien an der Wand hingegen, ordentlich manikürt und lackiert in den Farben der Saison, geben zumindest den Blick frei auf das Jetzt, das Alltägliche. In einem Interview sagte Pryde einmal: „How “we” live now? What is that? I wanted to work literally too, but against someone like Gursky.“
Pryde zeigt Close-ups von Händen, keine Panoramen, keine Massen, die Porträtierten werden ihrer Umgebung, ihrem Körper, ihres Gesichts und ihrer Individualität beraubt.
Die Hände arbeiten nicht und lassen keine harte körperliche Arbeit mehr zu, tasten, streichen, wischen und umklammern Displays, halten einen Stift in Zugform, berühren sanft den Oberkörper. Wärme ist das Medium. Der Fingerprint der Zugang. Das Display schwitzt, der Nagellack sitzt. Leben ist Arbeit ist Leben ist Kunst ist Leben ist Handy, im besten Sinn der BB9.
Match your work to your nails!
78 % aller Frauen lackieren heute oder lassen ihre Fingernägel lackieren. Nagelstudios sprießen an jeder Ecke aus dem Boden. Mani und Pedi sind zur Freizeitbeschäftigung geworden, lackiert wird am besten von flinken Asiaten. Die allgegenwärtigen Nagellacke haben Phantasienamen wie „Gallery Beige“, „True Blue“, etc. Früher war der schrill bunte Nagellack Zeichen von Prostitution, heute von Individualität.
Das Interessante ist das Persönliche, das Intime, das von den Bildern ausgeht. Tausendmal gesehen, oftmals genervt vom dem ständigen Online-sein, dem Zusammenwachsen mit dem Mobil-Gerät, vermeintlich individuell, dennoch eins geworden mit der Masse, beschäftigt mit dem rechten Bild von einem selbst, posten, checken, daten, antworten, gut aussehen. Telefonieren ist sowieso nicht mehr, und ans Ohr halten schon gar nicht, super uncool. Alles in der Hand halten.
Die Aufnahmen zeigen Hände, die sich einer Unmittelbarkeit, einer Nähe und Wärme vergewissern, wo ansonsten alles Spiel und Flüchtigkeit scheint. Die Modeästhetik der Bilder kontrastiert diesen Wunsch. Catchy sagt man. Wir können nicht an Kunst denken ohne über die Modeindustrie nachzudenken, sagen andere …
Kopflos sind all die Aufnahmen, Frauen sind es immer, das Alter lässt sich gut erkennen. Es sind gepflegte Hände, deren berufliche Tätigkeit endet im Kopf. Nur einmal lässt sich auf dem Display „Your Secure and Private Path“ eine Träne erkennen, die anderen Displays bleiben schwarz. Mit Schweißperlen bedeckt. Drei Geräte werden gleichzeitig bedient. Die T-Shirts der Frauen reden und spiegeln sich in der Oberfläche: Sorry, Star, Vint, die Serviette sagt: „a friend is someone who can see the truth and pain in you even when you are fooling everyone else.“ Asche fällt von der Zigarette auf die blanke iPad-Scheibe. Schmetterlinge flattern auf der Schutzhülle des iPhones. Eine junge Hand versucht eine schlaffe alte Hand zu berühren, ein Tannenzapfen wird mit silbernen Nägeln betastet. Natur, die wohl so fremd geworden scheint. Nichts geht zusammen.
Die Fotografien haben etwas Berührendes durch die dargestellte zaghafte Berührung, zeigen Einsamkeit, Zurückgeworfensein auf das Selbst, Entfremdung trotz der Verbindung – zur Welt, zum Jetzt – gibt es keine Verbindung. Einsamkeit auch in manchen Titeln: „I for me“, Self and selfie, jeder für sich und die Kamera …
Ich brauche keine Gesichter, Gesichter sehe ich ständig, Porträts , Antiporträts, Selbstbildnisse, ich sehe mit den eigenen Augen, dem inneren Auge, auf meine Hände, meine hübsch lackierten Finger und den Zugang zu allem. I’m connected. I’m not.
Schon früher gab es bei Prydes Aufnahmen Frauen zu sehen, die ein Ding in der Hand hielten. Damals war es ein Schwangerschaftstest. Im Gesichtsausdruck hält sich die Begeisterung über das Positiv in dessen Anzeige in Grenzen, auch hier sind die Dargestellten sehr allein.
Das Selbst ist das zentrales Thema der BB9, man will der Figur des Selbst eine Bühne bereiten, auf der die eigene Obsoleszenz durchspielt werden kann, heisst es im Katalog. In der Einleitung von DIS ist eine Frau zu sehen, die fast hysterisch ein Handy in der Hand hält, das aber bloß eine durchsichtige Glasscheibe ist. Eventuell kann man sich noch selbst in ihr spiegeln. In der Akademie der Künste gibt es eine Menge gebückter Puppen, die ihre Selfiesticks auf den eigenen Hintern richten, es geht um künstliche Befruchtung, Liebesarmeen werden aufgestellt, alle super einsam.
Interessant bei Prydes Serie „Hands ‚Für mich‘“ ist auch die Präsentation: kein Display diesmal, C- und Giclée-Prints im Passepartout im silbernen Rahmen. Ganz klassisch, stoisch im gleichen Abstand an der Wand lang gehängt, so untypisch für die anderen Fotoarbeiten auf der BB9.
Sie ist aber auch schon etwas älter.
Mir selbst gefällt es.
Nur der Zug bleibt weiterhin unverständlich, ich bekomme keinen Anschluss.
Josephine Pryde „Here Do You Want to“, 2014
Josephine Pryde „For Myself 2“, 2014 Foto: Stephanie Kloss
beide: Courtesy Galerie Neu, Berlin, Simon Lee Gallery, London und Reena Spaulings Fine Art, New York