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Thomas Struth
Martin-Gropius-Bau
2016:September //
Elke Stefanie Inders
Thomas Struth / 2016:September
Die Conditio humana oder
die Welt ist ein Themenpark
Ist über Struth nicht schon alles gesagt? Oder hat er doch noch etwas Neues zu sagen? Der Mann darf immerhin die Queen porträtieren. Und das macht er gut. Eigentlich ist der doch saturiert!
Eine Ausstellung „Nature & Politics“ zu nennen, offenbart ja schon den gesamten programmatischen Ansatz. Es wird wahrscheinlich um die Analyse „vermachteter“ Räume (Politics) gehen, deren natürlicher Ursprung gleichermaßen in Frage gestellt wird, weil Natur ebenso ein Konstrukt ist. Und sicherlich geht es um die Umwelt, Ressourcenvernichtung, Nachhaltigkeit usw. und darum, dass Politik und Wissenschaft auch keine hilfreichen Antworten auf die zerstörerische Verhaltensweise der Menschheit finden.
Ja, genauso ist es, aber die Kritik daran ist ja nicht falsch und Struth ist sowieso ein exzellenter Fotograf und sympathischer Künstler noch dazu. Die Becher-Schule ist eben eine hervorragende Photographenausbildungsstätte gewesen, allerdings findet Julian Röder, der durch die Ostkreuz Agentur vertreten wird, für vergleichbare Themen derzeit die besseren Bilder. Ist damit schon alles über die Ausstellung gesagt? Gibt es interessante ästhetische Ansätze?
Am Anfang war die Maus und deswegen trägt Walt Disney eine Mitschuld. Vielleicht sind es aber auch die deutschen Siedler und Gründer von Anaheim in Kalifornien gewesen, an deren unheilvoller Vergnügungspark-Architektur die Welt besser nicht genesen sollte. Für manche ist die Welt ein didaktisierter Themenpark und Ponyhof mit angeschlossenem Rosamunde-Pilcher-Bullerbü, das sich völlig beliebig und überall klonen lässt wie das Klonschaf Dolly. Es ist ihnen egal und sowieso gleich, weil der Apfel nicht weit fällt vom Stamm. Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr und treibt dabei seltsame Stilblüten; könnte man sagen.
All diese hilflos machenden Auswüchse auf der Welt stellt Struth in seinen Bildern dar. Das, was er sieht, mag er nicht unbedingt, aber er findet dennoch in den absurdesten Gegenden „ästhetische Schönheit“, z.B. wenn er die scheinbar unscheinbaren Eingriffe in einer kalifornischen Wüstenlandschaft („Canyon, Anaheim 2013“) darstellt. Die auf den ersten Blick unberührte Natur ist systematisch dressiert und zugerichtet. Wie absurd sind die Trittsteine mitten in der Wüste, die man am linken unteren Bildrand erkennt? Das hat was von Kleinbürger-Vorgartenarchitektur. Es fehlt nur noch der Gartenzwerg.
Postmoderne Disneyland-Architektur rangiert gleich hinter Las Vegas. Love it, let it or leave. Am besten schnell weg! Subtile Kompromisse werden hier nicht gemacht. Alles ist gewaltig gewalttätig in den Bildern Struths, eben weil die dargestellte Realität so gewalttätig ist. Wer einmal einen Vergnügungspark besucht hat, der wird völlig erschlagen von den architektonischen Zitaten, die in diesen falsch kontextualisiert dargeboten werden. Alles ist irgendwie mega! Mega geil, mega scheiße oder supergeil. Diese Schnittstellen fokussiert Struth – die Absurdität, das Monströse und die Perversion solcher Themenparks. Das klein geschrumpfte Matterhorn in Anaheim, Disneyland – so ist es keine tödliche Bedrohung mehr. Man bekommt höchstens Sonnenbrand von der kalifornischen Sonne, wenn man in dem davor liegenden Wassertümpel herumdümpelt, denn die Palmen bieten nicht genügend Schutz. Geht das zusammen? Logisch! Die Postmoderne mixt und remixt alles. Alles fusioniert mit allem. Anything goes! Das geht manchmal etwas besser, aber meist ist es super hässlich. Diese krude Mixtur spürt Struth immer wieder in seinen Bildern auf. Somit ist es eigentlich egal, wo er das tut – bzw. was er porträtiert.
Struth bearbeitet, im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen, seine Bilder nicht digital, um Täuschungen zu evozieren oder das Gegenteil. Er komponiert das Bild von vornherein durch. Wieso auch bearbeiten? Die Lügen sind doch sowieso offensichtlich und warum das nicht auch noch ästhetisieren. Struth findet in der giftgrünen Farbe eines Wellentanks an der University of Edinburgh einen gewissen farblichen Reiz („Curved Wave Tank, University of Edinburgh 2010“). Absurd ist auch das „Chemistry Fume Cabinet“ an der gleichnamigen Universität; es sieht tatsächlich wie eine Raucherlunge aus.
War es das auch schon mit dem vermeintlich höheren Niveau der Wissenschaft? Das stellt Struth hiermit in Frage. High-Tech-Labore an Spitzenuniversitäten wie der Georgia Tech in Atlanta sind letztlich auch nur „Playgrounds“ für Erwachsene. Aber nicht jeder darf auf diesen Spielplätzen spielen oder sie gar öffentlich darstellen.
Thomas Struth aber darf letzteres. Und dass er dahin gelangt, in das Herz solcher Abenteuerspielplätze, um deren fragwürdige (Spiel-)Regeln darzustellen, macht ihn nicht zum Komplizen, zum Romantiker, Hofnarren oder Idealisten, der naive Kritik übt. Der Teufel sitzt wie immer im Detail und manchmal ist er bereits ein gewaltiger Beelzebub, wie das klein geschrumpfte Matterhorn. Danach sucht Struth immer wieder.
Dann wieder findet man den Diabolus in der Charité, als Studie über die Ersetzbarkeit menschlicher Körperteile oder auf Operationstischen, auf denen der Mensch wie eine Laborratte wirkt. Frankenstein lässt grüßen. „Figure II, Charité Berlin 2013“ wirkt wie eine Reminiszenz an Rembrandts Bild „Die Anatomie des Dr. Tulp“ von 1632. Die Gilde der Barbiere und die Chirurgen scheinen bei Struth fast vollständig durch die Technik ersetzt zu sein. Wozu noch der Mensch, wenn er sich ein immer perfekteres Abbild seiner Selbst erschaffen will, und das lediglich, weil er seine eigene Sterblichkeit nicht akzeptieren kann? Die Conditio humana auf dem Höhepunkt ihrer eigenen Schaffenskraft? Wieso hat sich die Elite der Menschheit noch nicht selbst auf den Mond torpediert, wenn sie sich doch ständig dafür hält?
Struth hat seine Zweifel, dass der Mensch lediglich ein l’homme machine à la Mettrie sei. Und wahrscheinlich auch die Forscher selber, oder wieso wird ein menschenähnlicher Roboter ausgerechnet Golem genannt. Das Bild wird treffender weise auch „Golems Playground“ genannt. Ein Nerd-Spielzimmer in der Ingenieurs-Kaderschmiede Georgia Tech. Passenderweise ist der Bildschirm des geöffneten Notebooks völlig speckig. Auch das darf nicht außer Acht gelassen werden. Es fehlen nur noch die vertrockneten Pizza-Pappen und leere Softdrink-Dosen auf dem Bild.
Der Mensch baut, gestaltet, formt, erschafft und reproduziert seine Umwelt, als Abbild seiner Selbst; in Form von neuen Menschen und anderen – oftmals sinnlosen – Dingen. Meist kommt dabei nur Landschaftsverschandelung heraus. Struth kommt zu keinem wohlwollenden Ergebnis. Das Elend der Welt kann man vielleicht nur ästhetisch überhöht darstellen, indem man eine Bohrplattform in ihrer vollen Größe auf Fotopapier bannt. Fast vier Meter breit misst das Bild. Am vorderen unteren Bildrand sind sogar die Taustränge zu sehen, die die Bohrplattform an Ort und Stelle „bändigen“ sollen. „Banish the beast“, scheint hier das Motto gewesen zu sein.
Die meisten seiner Bilder benötigen diese gewaltigen Ausmaße, weil das Ausmaß der faszinierenden Katastrophen in seinen Bildern nicht nur enorm größenwahnsinnig ist, wie z.B. die Startrampe im Kennedy Space Center in Cape Canaveral, sondern auch zutiefst verstörend und diabolisch; verwirrend und spalterisch -wie der Teufel eben. Beispielhaft dafür ist der Stellarator Wendelstein 7-X im Max-Planck-Institut in Greifswald. Verstehen die Forscher in diesem Gewirr noch, was sie machen? Es geht hier schließlich um Kernfusion.
Und ständig macht der Mensch das wieder kaputt, was er aufgebaut hat, weil er ja weiterleben will. Laute, absurde und meist sinnlose Dinge, mit denen sich der Mensch die Zeit vertreibt und die die Natur zähmen sollen, die es ja gar nicht mehr gibt. Oder doch? Wieso findet man dann in der Ausstellung Naturbilder, wie z. B. ein Stück wild brausendes Meer in dem Bild „Seestück Donghae City 2007“? Hier ist der Ausstellungstitel „Nature & Politics“ vielleicht allzu wörtlich genommen!
Und das ist gleichermaßen die Schwachstelle innerhalb der Ausstellung. Es gibt zu viele ästhetische Brüche, die nicht als sinnstiftende Kontrastierung oder gar Provokation aufgefasst werden können. Warum die schwarzweißen Städtepanoramen von Beaugrenelle und Shinju-ku aus den 70er und 80er Jahren, wenn alle anderen Bilder farbig sind? Das erscheint nicht stringent, bzw. es hätte der Ausstellung keinen Abbruch getan, wenn diese frühen Werke Struths nicht dabei gewesen wären.
In den 70er und 80er Jahren ging Struth verstärkt der Unwirtlichkeit unserer Städte (Alexander Mitscherlich) nach. Es braucht aber keine gebaute Architektur, menschenunwürdige Stadt(ver-)planung, um diese Unwirtlichkeit, Entfremdung oder Irritation aufzuspüren. Man kann das freilich als zugerichtete Natur bezeichnen, aber es passt einfach nicht ganz in die Ausstellung. Außerdem wird die analytische Schärfe seiner „Systemkritik“ dadurch verwässert. Wenn Julian Röder das Herzstück des Kapitalismus auf Waffenmessen findet und dies in seiner Serie „World of Warfare“ (2011) durch die Kontrastierung eines Patronengürtels mit bunten Glasdekosteinen dokumentiert, dann verliert man wirklich jegliche Illusion über Gerechtigkeit oder Fairness.
Bei Struth drängt sich immer wieder der Eindruck auf, dass die Ausstellung eine Art Kompendium seines Gesamtwerks sein soll. Und in der Tat sind Arbeiten aus mehr als 37 Jahren zu sehen. Die jüngste ist von 2016 – und zeigt ein Schaltwerk in Berlin.
Der Hauptanteil der Arbeiten ist aus den letzten 20 Jahren und dabei hätte man es belassen können. Damit wäre die Ausstellung inhaltlich und ästhetisch stringenter gewesen.
Thomas Struth „Nature & Politics“, Martin-Gropius-Bau,
Niederkirchnerstraße 7, 10963 Berlin, 11.6.–18.9.2016