Mousse #51

1985–1995 Exhibition Views

2016:April // Andreas Koch

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04-2016

„Viewing a show would mean quite simply visiting it“


Die letzten Lücken werden geschlossen. Während heute die meisten der aktuellen Ausstellungen oft schon vor den Eröffnungen abgebildet und online gestellt werden, und dies auch schon seit vielen Jahren, und dort wie in einem Riesenarchiv abrufbar bleiben, klaffen frühestens vor 1995 und damit vor der Ausbreitung des Internets partielle Löcher. Richtig genutzt wurde das Netz im Kunstbetrieb allerdings erst ab der Jahrtausendwende. Und die coolsten unter den Galerien haben immer noch nur einen Link zur Email-Adresse.
Nicht dass es früher keine Abbildungen gab, auch damals wurden Ausstellungen fotografiert, sonst wären sie ja auch für immer verloren und würden nur noch in den Erzählungen der Älteren weiterexistieren. Aber Kataloge wurden nicht in jedem Fall gedruckt, die Fotografien lagern als echte Abzüge oder Ektachrome in archivierten Schuhkartons und sind genau wie die Kataloge selbst oft schwer bis gar nicht zugänglich.
Ein Beispiel zur dann verbleibenden verbalen Überlieferungsmöglichkeit wäre die Jubiläumsperformance von Karl Holmqvist für „Texte zur Kunst“ im letzten Herbst. Er beschrieb einen Gang zu einer Ausstellung irgendwo hinter dem Ostbahnhof, Klara Liden, irgendwelche trashigen Objekte, das Wetter, das Licht, die Tür, den Schuppen. Er stolperte Holmqvist-mäßig durch seinen Vortrag, als würde er sich im Moment erinnern, brach immer wieder ab, und es entstand ein Bild im Kopf der Zuhörer, ein räumliches, jeweils unterschiedliches, gewiss, aber ein vielfach nuancierteres, als es ein schlechter Schnappschuss hätte leisten können. Passend zum Thema „Kanon“ entstand an diesem Abend im Berliner Festspielhaus eine fast mystische Ausstellung, die kaum einer der Anwesenden gesehen haben dürfte, und doch wird so mancher in Zukunft, vielleicht auch nur mit dem Kopf nicken, wenn er von dieser Ausstellung reden hört, damals 2003 in der Urban Art Gallery von dieser schwedischen Künstlerin. Wie hieß sie noch gleich, ja, die mit den abgefackelten Mülleimern? Er wird mit dem Kopf nicken und er wird sich an diese Ausstellung erinnern, als wäre er dort gewesen.
Die 51. Ausgabe der Zeitschrift Mousse versucht den Weg über die Bilder. Wie ein großes Fotoalbum präsentiert sie Ausstellungen, die zwischen 1985 und 1995 stattfanden. Wie bei Mousse üblich gedruckt auf Zeitungspapier, was den Effekt hat, dass die durchaus unterschiedlichen Qualitäten der Fotografien auf eine Ebene gebracht werden. Viele Künstler, Autoren und Kuratoren, die der Zeitschrift nahestehen, brachten ihre Vorschläge für Ausstellungen mit ein, die dann durcheinander gewürfelt auf über 250 Seiten ohne ersichtlichen roten Faden durch teils einzelne, teils mehrere Fotos repräsentiert werden. Eine chronologische Liste bringt dann hinten etwas Ordnung, zumindest zeitlich.
Es macht Spaß durchzublättern, Namen, Räume, Galerien poppen auf, Krebber 1990 bei Nagel in Köln, Mucha 1985 im Kunstverein in Stuttgart, Koons 1992 in der dortigen Staatsgalerie. Die Jan-Hoet-Documenta von 1992, an die man vielleicht noch vage Erinnerungen hat (gelbe Wanduhren, schwarze Bodenlöcher und kreiselnde, nervig schreiende Videoköpfe), wird durch die schwarzweißen Muschi-Bilder von Zoe Leonhard, den Borofski-Mann auf der Stange und einen Blick in die Documenta-Halle mit u.a. einer Mario-Merz-Hecke und Matt-Mullican-Wandbildern abgedeckt.
Es sind also nur kleine Fenster oder gar nur Spicklöcher in die jüngere Kunstgeschichte. Die Lücken werden hier nicht geschlossen, indem die Zeitschrift umfassende Dokumentationen liefert, die Lücken werden kleiner, indem aktiv in den Prozess der Erinnerung eingegriffen wird. So wie man sich plötzlich nur noch anhand der Kindheitsfotografien an seine Kindheit erinnern kann, schaffen es die ausgewählten Ausstellungen und die Bilder davon, eine allgemeine Erinnerung zu kreieren und die individuelle zu überlagern. Das ist bestimmt nicht schlimm. Ohne die zusammentragende und -fassende Arbeit der Redakteure, wäre zumindest hier auf dem Sofa gar nichts da.
Und auch am Rechner begibt sich mancher eher selten auf ähnliche, noch viel zufälligere Spaziergänge durch die Kunst und ihre Ausstellungen. Durch das Lebenswerk eines Max Hetzler zum Beispiel, der fast alle Ausstellungen schon rela­lativ früh vorbildlich dokumentieren ließ und dies immer weiter verfeinerte. Alle erdenklichen Ansichten sind verfügbar, mittlerweile auch als Videoviews durch die Ausstellungen. Durch alle Ausstellungsräume von Stuttgart über Köln bis Berlin und Paris kann man den Weg Hetzlers nachverfolgen. Nur zwischen 1974, damals noch als Hetzler + Keller in Stuttgart, und 1990 blieben einzelne Ausstellungen undokumentiert, 1974 noch alle, 1990 dann als letzte Lücke die Ausstellung der Malerin Sybille Ungers ohne Abbildungen im Archiv. Und sie ist natürlich auch im Mousse-Heft nicht abgedruckt. Dort fand Hetzler mit der bekannten „Peter“-Ausstellung von Kippenberger in Köln 1987 Eingang. Das ist der Kanon. Auf der gegenüberliegenden Seite ist eine Ausstellung in Antwerpen von 1993 dokumentiert. Sinnigerweise mit dem übersetzten Titel „Die sublime Leere (Im Gedenken an die Imagination)“, welcher auch die Überschrift dieses Textes hätte werden können …
Hahaha-ha-Welt

Lukas Quietzsch und Philipp Simon