Erstens ist festzuhalten: Das Format Ausstellung – im Sinne einer mehr oder weniger repräsentativen Zurschaustellung von Objekten und Informationen in einem oder mehreren physisch abgesteckten Räumen im Inneren oder im Freien – es gibt es noch, auch im Jahr 2016. Ausstellungen gibt es heute sogar in so vielen unterschiedlichen Arten und Ausmaßen, dass einem dieses Format, das untrennbar von der Kunstproduktion und -rezeption zu sein scheint, beinahe inflationär vorkommen muss, dass man schon manchmal die Sinnfrage stellen will.
Ergänzt werden Ausstellungen in realen Räumen von solchen im Internet (Online-Ausstellung) oder in Publikationen (z.B. Ausstellung in Heftform, Insert etc.) und natürlich von jenen Online-Dokumentationsplattformen wie im Besonderen und immer noch „Contemporary Art Daily“, die in ihrer fast perfekten Wiedergabe einen realen Besuch schon beinahe ersetzen können. Die Frage, ob das Material der dort abrufbaren „Ausstellungskonserven“ in vielen Fällen vielleicht nur zu diesem Zweck der Online-Präsenz inszeniert wurde, ist inzwischen keine neue mehr.
Betrachtet man den Kult um die Figur des Künstlers, der Künstlerin, um die Celebrities aus dem Kunst- und Musikbusiness, um deren Performance im Sinne auch von Styling, Click- und Netzwerktauglichkeit, kann man sich zudem fragen, ob das Format Ausstellung nur noch ein Proforma ist, eine Art Laufsteg der Eitelkeiten und der Moden, der den Kreateuren eine dreidimensionale Bühne bietet, ohne die es, wie man meinen könnte, nicht ganz zu gehen scheint.
Denn die Kunstwerke selbst, wer interessiert sich schon noch dafür? Sind sie nicht nurmehr zu vernachlässigende Dekoration, zweitrangige Mittel zum Zweck, vielleicht noch Schmuck für das Ego – im Gegensatz zu den Namen der Orte und Insitutionen, an denen MEINE Show stattfindet?
Wer ist der Kurator, die Kuratorin? Wer sind die anderen Künstler/innen, die dort ausstellen? Wie ist der Kontext, in den ich hinein will, in den ich da hineingerate? Wer tritt z. B. bei der Eröffnung auf meine (Ausstellungs-)Bühne und macht Werbung für mich? Wie ergänzt die Show meinen CV? Welche Art der Währung stellt sie dar und wie kann ich sie zukünftig einsetzen.
Diese Fragen kann man natürlich auch aus der Perspektive der Kurator/innen und der Galerist/innen stellen und auch dort scheint mehr und mehr das Namedropping und das Door-Opening im Vordergrund zu stehen: Welche Kontakte bringen die Künstler/innen mit, die ich einlade, die ich ausstelle? Welche Türen in attraktive Häuser (er)öffnen sie mir? Welche neuen Verbindungen können daraus hervorgehen?
Zweitens gilt: Das physische Format Ausstellung ist bisher keinesfalls aus dem Kunstbetrieb wegzudenken, auch wenn es im Netz und in der VR vielleicht irgendwann attraktivere Parallelen oder Alternativen geben könnte. Denn an ihm hängen – neben den Künstler/innen, Kuratorer/innen, Dealer/innen und Kritiker/innen, denen das Netz möglicherweise als Schauplatz genügen könnte – sehr viele im realen Raum, im realen Material tätige Berufsgruppen dran:
Der Registrar, der Kunstransporteur, der Versicherer, der Aufbauhelfer, die Aufbau-Firma, die Technik- und Geräteausleiher etc.
Drittens sollte man sich dringend die Frage stellen: Ist das nicht eine extrem besondere Zeit? Wenn man sich erst auf den Weg macht, durch die Stadt, extra für die Ausstellung. Nachmittags, nicht für die Eröffnung. Wenn man dann vielleicht eine Klingel drückt, oder eine Karte kauft, oder einfach so von der Straße in einen Raum eintritt. Oder Treppen gestiegen ist, eine Tür öffnet, einem Menschen, der aufpasst, zunickt. Und dann ist man plötzlich vielleicht alleine. Alleine in der Ausstellung und kann solange bleiben wie man will. Und man geht zu den Bildern an der Wand, zu den Filmen hinter den Vorhängen, umkreist die Objekte im Raum. Man nimmt sich den A4-Zettel und fängt an zu lesen, bricht wieder ab. Selten fließen die Informationen so langsam wie in Ausstellungen. Aber man kann die Geschwindigkeit selbst steuern. Mit seinem Körper. Man läuft, man dreht sich, wendet den Kopf, schaut zurück, zögert, läuft vorbei – ganz alleine. Der Körper ist die Maus, der Scanner, der Wischfinger, der ganze Körper mit seinen zwei Beinen, Rumpf, Kopf und Händen. Viel langsamer als sonst. Aber vielleicht schaut man auch nur kurz in den Film rein, geht wieder raus, schreitet an den Bildern vorbei, nimmt das Blatt, nickt dem Menschen zu und ist wieder draußen auf der Treppe, im Foyer, auf der Straße. Dann ist sie wieder vorbei, die ausgestellte Zeit.
Viertens und letztens: Wie ist das aus der Sicht des Künstlers, der Künstlerin, das Ausstellen? Nicht, dass im Grunde die eigentliche Arbeit das Wichtigste ist, die Arbeit und das Arbeiten an der Arbeit.
Aber wenn man das tut, arbeiten, hat man doch immer, je nachdem, je nach Künstlertypus, ein lauter oder leiseres Hintergrundgeräusch im Denkgebäude. Wie ein Ohrwurm beständig durch den Kopf schleift, stellt man sich die Arbeit dem Betrachter gegenüber vor, im Moment ihres Ausgestelltseins. Wie gesagt, bei manchen ist das stärker, bei anderen weniger ausgeprägt, manche verdrängen und verneinen das, und doch arbeitet jeder auch auf das Ausgestelltwerden hin, wie der Schauspieler auf das Gesehenwerden, der Schriftsteller auf das Gelesenwerden.
Das ist das Ziel, die Deadline. Manche fangen erst an zu arbeiten, wenn sie so ein Ziel, so eine Ausstellung zum Beispiel, haben.
Und dann ist es soweit, alles hängt, alles steht, alles läuft. Man hat Jahre, Monate, Wochen darauf hingearbeitet. Noch ist die Ausstellung nicht eröffnet, man läuft noch mal durch die Räume, da noch ein Eckchen, da noch ein Stäubchen, ein Kabel. Man redet mit seinen Helfern, mit dem Galeristen, der Galeristin, dem Kurator, versichert sich noch mal und rauscht dann langsam in den Eröffnungsabend. Hoffentlich kommen viele, hoffentlich nicht zu viele, hoffentlich kommen Wichtige, vielleicht auch sehr Wichtige. Ja, das ist jetzt der Moment, der solange anvisiert wurde. Jede/r geht damit anders um, auch am Morgen danach (hierzu in der „von hundert“ exemplarisch die Reihe „Mit Schnitte“, nun schon in der siebten Folge). War’s das jetzt? Am Abend freute man sich über jeden der kam, am Morgen danach ärgert man sich über jeden, der nicht kam. Doch die Ausstellung steht, jetzt kann man ernten, jetzt ist man für die Laufzeit irgendwie auch verdoppelt. Etwas von einem ist in der Welt und kann gesehen werden. Bis zum Abbau. Und dann geht’s wieder von vorne los. Und das Fragezeichen bleibt.